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Theater im Raum

Werkschau Eine tolle Ausstellung des Architekten und Bühnenbildners Friedrich Kiesler im Berliner Martin-Gropius-Bau

Schrägansicht von Kieslers Space House, 1933 Foto: Fay S. Lincoln/Friedrich Kiesler Stiftung

von Antonia Herrscher

Karel Čapeks Drama „W.U.R.“ entwirft 1920 die postindustrielle Dystopie einer Welt, in der künstliche Menschen als rechtlose Arbeiter ausgebeutet werden und schließlich gegen ein System rebellieren, das die Welt in eine Katastrophe treibt – die Revolution dieser „Robots“ allerdings vernichtet die Menschheit.

Als der Künstler und Architekt Friedrich Kiesler in Wien von der geplanten deutschen Erstaufführung durch Eugen Robert in Berlin erfährt, bietet er an, Bühnenbild und Kostüme zu entwerfen. Robert kommt auf das Angebot zurück und erhält von Kiesler umgehend ein Telegramm: „Ankomme Montag mit fertigen Skizzen“. Uraufgeführt wird „W.U.R.“ am 29. März 1923 im Berliner Theater am Kurfürstendamm mit Kieslers spektakulärer elektromechanischer Kulisse.

Nach der zweiten Aufführung stürmte eine „Bande“ von Künstlern das Theater – Theo von Doesburg, Kurt Schwitters, Hans Richter, László Moholy-Nagy, El Lissitzky und Werner Graeff verschleppen Kiesler in einen Club, wo er etwa mit Mies van der Rohe über die Zukunft von Architektur und Theater diskutiert. Im dadaistischen Tonfall fordert der selbstbewusste Kiesler kurz darauf die radikale Erneuerung des Theaters und formuliert damit sein zentrales Lebensthema: „Die Künste, Malerei, Plastik, Architektur, Musik, das Wort, der Tanz, besonders die bildenden Künste als individualistische Gestaltungsform, müssen aus dem Theater verschwinden. Sie müssen ihren Selbständigkeitscharakter verlieren, um Teil einer Bühnentotalität zu werden.“

Der überraschende Erfolg hatte den 33-Jährigen auf die Bühne der Avantgarde gehoben. Berlin ist denn auch als Ort gut gewählt, wenn der Martin-Gropius-Bau nun dem austroamerikanischen Architekten, Bühnenbildner, Designer, Künstler und Theoretiker Kiesler eine umfangreiche und äußerst sehenswerte Werkschau widmet. Friedrich Kiesler, 1890 in Czernowitz geboren, hatte sich in Wien mehr schlecht als recht durchgeschlagen. 1908 begann er Architektur und Kunst zu studieren, ohne Abschluss. Als er die Philologiestudentin Stefi Frischer 1920 heiratet, leben die beiden zeitweise von Arbeitslosenunterstützung. Kieslers Werk hat seine Wurzeln dennoch im Wien des frühen 20. Jahrhunderts, als Künstler aller Disziplinen das Ziel formulierten, alle Lebensbereiche des Menschen zu vereinen. Doch während in der Totalgestaltung des Jugendstils der Mensch als störend empfunden wird, entwickelt Kiesler mit seiner Correalismus-Theorie einen ganzheitlichen Designansatz, der den Menschen ins Zentrum stellt.

Gleichzeitigkeit der Sparten

Dem interdisziplinären Schaffen Kieslers begegnet die Schau mit einem chronologischen Ausstellungskonzept, das die Gleichzeitigkeit der verschiedenen künstlerischen Sparten ebenso dokumentiert wie den unermüdlichen Produktionsdrang des Visionärs, der keine Angst vor großen Lösungen hatte: Seine Bühnen bewegen sich frei im Raum, auf der Pariser Weltausstellung für Kunstgewerbe und Industriedesign formuliert er 1925 die Utopie einer Megacity, die als „Raumstadt“ im freien Orbit schwebend föderativ dezentralisiert ist. Als er 1926 in New York eine Theaterausstellung konzipieren soll, zieht das Ehepaar kurzerhand um. 1929 entwirft Kiesler das „erste 100 Prozent Cinema“, in dem neben der zentralen Leinwand auch Seitenwände und Decke für Projektionen vorgesehen sind.

In den vierziger Jahren beginnt Kiesler Skulpturen und Bilder zu gestalten, die die Trennung zwischen Werk und Betrachter aufheben sollen. Dafür brauche es „lediglich zwei Magier und ein Objekt: den Künstler, den Beschauer und das Werk.“. Er betreibt Wahrnehmungsstudien, forscht in den Bereichen Paläoarchäologie, Kulturanthropologie, Mensch-Tier-Psychologie und Biologie. In Peggy Guggenheims „Art of This Century Gallery“ revolutioniert er zeitgenössische Ausstellungspraktiken: Er löst Kunstwerke von Wänden und Rahmen ab und rückt den Betrachter in das Werk hinein. Ausgehend von frühen Entwürfen eines „Endless Theatre“ 1925 und dem „Space House“ 1933, wendet er sich radikal vom rechtwinkligen Gestaltungsprinzip von Kons­truk­tivismus und Funktionalismus ab und entwickelt ein biomorphes Formenvokabular. Ab 1950 entwirft er das Modell einer Behausung als „Epidermis des menschlichen Körpers“. Bis zu seinem Tod 1965 in New York formuliert Kiesler in zahlreichen Texten, Modellen und Zeichnungen das Konzept des „Endless House“, das zu seinem Lebenswerk, und mit seinen überfließenden Oberflächen, die einfallendes Licht multiplizieren, und der selbsttragenden Schalenkonstruktion zu einer Blaupause von visionärer Architektur des 20. Jahrhunderts wird.

Es wurde, wie die meisten seiner Entwürfe, niemals realisiert – als Serie von Modellen und Blow-up-Fotografien des Innenraums jedoch 1960 im New Yorker MoMa präsentiert .

Zur Inszenierung seiner Projekte wie seiner Person setzte Kiesler auf die Wirkmächtigkeit von Fotografien. Schon seine Ankunft in New York ließ er 1926 fotografisch in Szene setzen. Zahlreich in der Ausstellung vertreten sind auch Originale und Nachbauten seiner biomorphen Möbel, die er unendlich variierte. Kiesler nannte seine Arbeiten „Raumtheater“, „Raumbühne“ oder „Raum-Zeit-Architektur“. Seine Konstruktionen sollten abheben vom alten Europa, Bauten einer neuen Welt sein. Mit seinem einzigen, 1960 zusammen mit ­Armand Bartos in Israel realisierten Gebäude, dem „Shrine of the Book“ – es beherbergt alttestamentarische Schriftrollen –, verleiht Kiesler seinem Spätwerk zusätzlich sakralen Charakter. Doch erst ­moderne Baustoffe und die Computertechnologie ab den 1990er Jahren ermöglichten, diese in Raum und Zeit fließende Formensprache 1:1 zu realisieren. Sie begegnen uns später etwa als „Blob-Architektur“, in den Bauten Zaha Hadids oder den Ideen des Science-Fiction-Architekten Greg Lynn.

„Friedrich Kiesler: Architekt, Künstler, Visionär“, Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 11. Juni, Katalog 29 Euro

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