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The Doors-Revue am Theater LübeckHelden braucht das Land

Das Lübecker Monodrama über Jim Morrison bleibt blass. Da waren die vorigen Rockstar-Stücke des Schauspielchefs Pit Holzwarth überzeugender.

Naive Kopie ohne Verführungskraft: Andreas Hutzel als Jim Morrison Bild: Heiko Schäfer

LÜBECK taz | Helden braucht das Land. Vor allem Lübeck, mag Pit Holzwarth denken, der Schauspielchef des örtlichen Stadttheaters. Und er beglückt – im heroischen Kampf für Spielplan-Blockbuster – die Hansestädter Jahr für Jahr mit neuen Geschichten von Göttersöhnen aus Geschichte, Literatur und vor allem der Popmusik.

Nie versiegt wohl die Sehnsucht nach übermenschlich großen Taten und ikonenhaft bewunderter Begabung, verehrter Stärke und geliebter Schönheit. Immer auf der Suche nach Neuem scheint die Lust, Eigenschaften, die unsere Fähigkeiten übersteigen, als produktive Tugenden anzuerkennen und einer großen Idee zuzuordnen.

Ignoriert wird dabei oft, dass die dafür notwendigen Rebellen für ihre Mitmenschen häufig soziopathische Nervensägen sind. Und das deshalb, weil sie ihren Narzissmus maßlos ausleben, um gegen die Konventionen aufbegehren, sich in zorniger Wildheit über die Welt erheben und ihr die Wahrheit ins Antlitz brüllen zu können. Als Stellvertreter quasi für den Rest. Und in genau dieser Identifikation mit demjenigen, der sich für uns verschwendet, fühlen wir uns schlauer, tragischer, größer, attraktiver, als wir es sind.

Im Gegensatz zu den übermenschlichen Superhelden, verstehen es die human noch verortbaren Heroen des Musikbusiness aber auch, emotional zu berühren; schließlich verdienen sie ihr Geld ja als Heizer fürs Kraftwerk unserer Gefühle. Diese schiere Rock-’n’-Roll-Energie, die Kunst transzendiert, versucht Lübecks Schauspielchef Pit Holzwarth schon seit seinen Lehrjahren bei der Bremer Shakespeare Company für die Bühne nutzbar zu machen.

Gefeierte Matadoren

Denn er will mit Liedern und Lebensstationen der Stars etwas über uns erzählen. Wobei er nicht Helden analysiert und die Mechanismen daraufhin hinterfragt, wie sie im Kontext der Zeitgeschichte funktionieren. Er erweckt vielmehr die Matadoren aus der Binnenperspektive zum Bühnenleben und feiert sie, um auch ihre Ideen mit so naturalistischem Furor, wie es Reenactment möglich macht, ans Publikum zu bringen.

Und ob er das nun mit Rio Reiser tut, mit Edith Piaf oder mit Johnny Cash: Es wird vom Virus Mumm erzählt, unbeirrbar an sich, an individuelle Freiheit, Selbstverwirklichung und den Kampf um Gerechtigkeit zu glauben – bis der Tod vom Sisyphoskampf ums Paradies erlöst. In diesem Kontext ist Jim Morrison nicht weit mit seiner Sentenz „We want the world and we want it – now!“.

Der Lübecker Schauspieler Andreas Hutzel war schon Rio Reiser, der junge Johnny Cash, Udo Lindenberg, Frank-N-Furter, aber auch Willy Brandt, Stanley Kowalsky (Marlon-Brando-Rolle in „Endstation Sehnsucht“), Thomas Buddenbrook, Adrian Leverkühn, Faust und Macbeth – jetzt gibt er den Jim Morrison, im jüngst uraufgeführten Stück „Riders on the Storm“. Der Schauspieldirektor selbst hat es geschrieben. Damit hat Holzwarth, der bis dato eher klassische Biografie-Musicals schrieb, erstmals ein Monodrama gewagt – was als Form prima zum Narzissmus passt.

Der Palast der Weisheit

In dem Stück deliriert sich Morrison im Interview mit sich selbst durch sein Leben; Hutzel spielt auch alle imaginierten Gegenüber. Dabei zitiert er sich wie im Fieberrausch durch Morrisons Gedichte und Song-Lyrics, webt Zitate von dessen Helden Baudelaire und Nietzsche ein, feiert die Liebe als „natürlichstes Schmerzmittel, das es gibt“ – und behauptet mit William Blake, nur der Weg des Exzesses führe zum Palast der Weisheit.

Um dann Grenzen zu überschreiten: „Break on through to the other side“ singt Hutzel unterm indianischen Federschmuck, innig ein Skelett umarmend. Ein todwärts experimentierender Schamane, Anführer der Enthemmung und folgerichtig auch ihr Opfer. Und alles nur, um seine „Schüchternheit zu überwinden“. So krabbelt Hutzel schließlich, sich entblößend, durchs Publikum, fordert Befreiung von Zwängen, ausziehen, Sex mit dem Sitznachbarn?

Nur passiert das alles eben anno 2014 vor 327 Premierenbesuchern in den Kammerspielen Lübeck und nicht in Miami 1969 vor 12.000 Zuschauern, wie es in den Doors-Geschichtsbüchern steht. Holzwarth bricht als Uraufführungsregisseur seines Stückes den Messianismus nicht, lässt ihn allzu häufig nur imitieren. Das wirkt atemberaubend naiv. Die Wirkung ist nicht befreiend, sondern teilweise lächerlich. Und das Publikum lacht: Die Kopie ist zu deutlich nicht das Original, setzt auch nichts Eigenständiges dagegen.

Bluesrock auf Stadtfestniveau

Ein handwerklich solides Bluesrocktrio gibt auf Stadtfestniveau eine Doors-Coverband, kann nie den Sog der psychedelischen Jazz-Wallungen erzeugen, der sich auch heute noch in den Konzertmitschnitten vermittelt. Hutzel würde trotz Lockenmähne, weißen Flatterhemds, knallenger Lederhose und rein äußerlicher Nachahmung fast aller Rockstarposen Morrisons nie einen Lookalike-Wettbewerb gewinnen, weil er so gar nicht der laszive Adonis ist und als Hohepriester des „live fast, die young“ nicht überzeugt.

Im Gegensatz zu Jim Morrisons kuschelig rauem, brünftig hervorgequältem, baritonalem Pathos bleibt Hutzels Gesang außerdem blass, nachtwandelt ohne hypnotische Kraft durch die Alptraum-Texte, kann das Verführerische dieser Show nie ins Bedrohliche verwandeln. Aber immerhin kann er das dauerbedröhnte Ausbrennen eines von Drogen und Visionen besessenen Junkies andeuten. Die Revolution frisst ihre Helden.

Was auch immer man inhaltlich davon halten mag: Die Biopics über Edith Piaf (mit Marion Cotillard, Regie: Olivier Dahan), Johnny Cash (mit Joaquín Phoenix, Regie: James Mangold) und Jim Morrison (mit Val Kilmer, Regie: Oliver Stone) können gerade das besser, was in Lübeck mit diesen Helden versucht wurde: ihre Magie von einst frisch entfachen und ihre Passionsgeschichten rührselig zelebrieren. Aber Holzwarth wird weiter Popstarmythen auf der Theaterbühne beschwören. In der nächsten Spielzeit ist Leonard Cohen dran.

Weitere Aufführungen von „Riders on the Storm“: 23. 5. sowie 13. und 27. 6., jeweils 20 Uhr, Lübeck, Kammerspiele

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