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„Texte aus dem Krieg“Untergang des Menschen und Feldmausrettung in der Ukraine

Einfühlsame Beobachtung gegen mörderische Gleichgültigkeit – Katja Petrowskaja leistet in ihren Fotokolumnen auf ihre Art Widerstand.

Schafe im Trusso-Tal, Georgien, aufgenommen von Katja Petrowskaja. Jeder Text in ihrem aktuellen Buch geht von einem Bild aus Foto: Katja Petrowskaja

Ein schwarzes Schaf springt über einen Bach. Die Schriftstellerin Katja Petrowskaja hat das Foto im Großen Kaukasus aufgenommen. Im Trussotal, nahe dem mythischen Berg Kasbek, ein Fünftausender an Georgiens Grenze zur Russischen Föderation. Von diesem Bild ausgehend hält sie fest: „Es gibt Tage, an denen man so viel Schönes sieht, dass man die Erinnerung wie einen Vorrat benutzt.“

Doch Petrowskaja ahnt, sie wird künftig einen großen Vorrat davon brauchen. Den Text verfasste die preisgekrönte Autorin („Vielleicht Esther“) wenige Tage vor dem 24. 2. 2022, dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Das schwarze Schaf in Georgien macht Sinn, das Land hatte Ähnliches mit Russland bereits 2008 erlebt.

Das Buch

Katja Petrowskaja: „Als wäre es vorbei. Texte aus dem Krieg“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 217 Seiten, 25 Euro

Was im Februar 2022 begann und bis heute fortdauert, verschlägt in seiner Monstrosität oft die Sprache. Petrowskaja, 1970 in Kiew geboren, jüdisch-ukrainischer Herkunft und in Berlin lebend, begehrt schreibend dagegen auf. Wie viele Künstler:innen, Intellektuelle und Schrift­stel­le­r:in­nen der Ukraine. Sie tut dies reflektiert, melancholisch und mit einer Unbedingtheit, die bewundernswert ist.

Band mit Fotokolumnen 2022 bis 2024

Kulturell will sie sich auf keinen Fall von der Rohheit des russischen Angriffskrieg überwältigen lassen. Aber auch nichts beschönigen. Ihre nun in einem Band zusammengefassten Fotokolumnen, von Februar 2022 bis Oktober 2024 überwiegend in der FAS erschienen, sind große Literatur.

Es sind liebevolle, sprachlich um Präzision und Wahrhaftigkeit ringende Miniaturen, in denen die großen Tragödien der Antike heute aufblitzen. Alles hat Sinn, die von ihr ausgewählten Bilder erfassen Momente, Ereignisse, Personen, Landschaften, Kultur, ohne die es kein Gedächtnis, keine Erinnerung gibt. Sie sind nicht voyeuristisch, die Autorin beschreibt, was abbildbar ist und was nicht. Der Tod, die Amputation, das „natürliche“ Sterben des Vaters. Sie verbindet Privates und Politisches, wie es im Leben ist.

Der Band enthält allegorische Erzählungen wie die von der Feldmaus und dem Hund, die nach der Bombardierung des Staudamms aus den Fluten gerettet werden. Die ganze geschundene Nation freute sich. Oder von King Arthur aus Kiew, „einem Engel der Queerbewegung“, gefallen 2024. „Ich wollte viele Freunde treffen“, schreibt die mit der Kiewer Kulturszene tief verbundene Autorin, „und ging zu Arthurs Trauerfeier, so ist es jetzt, wenn man alle sehen möchte.“

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