Terror in Norwegen: Attentat mit Pfeil und Bogen
Im norwegischen Kongsberg hat ein Däne mindestens fünf Menschen getötet und mehrere verletzt. Der Geheimdienst spricht von einer „Terrorhandlung“.
Die Gewalttat, die sich am Abend zuvor in der 70 Kilometer von Oslo entfernt liegenden Stadt Konsberg zugetragen hatte, warf einen dunklen Schatten auf die Amtsübergabe. Ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter Mann hatte fünf Menschen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, vier Frauen und einen Mann, getötet und drei schwer verletzt, bevor die Polizei ihn eine halbe Stunde nach dem ersten Alarm nach einem umfassenden Einsatz festnehmen konnte. Er soll am Freitag dem Haftrichter vorgeführt werden, bereits am Donnerstag fand eine erste rechtspsychiatrische Begutachtung statt.
Gleich nach Bekanntwerden der Tat waren schon am Mittwochabend in den Medien Vermutungen über eine mögliche Terrortat geäußert worden. Auffallend schien der Zeitpunkt der Bluttat einen Tag vor dem Antritt einer sozialdemokratisch geführten neuen Regierung. Natürlich wurde an die Taten des rechtsterroristischen Massenmörders Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 und an den gescheiterten Angriff auf eine Moschee im August 2019 erinnert.
„Die Ereignisse in Kongsberg erscheinen derzeit als Terrortat“, teilte der norwegische Verfassungsschutz PSI am Donnerstagmittag in einer Erklärung mit: Aber die genaue Motivlage müsse durch die von der örtlichen Polizei geführten Ermittlungen erst noch aufgeklärt werden. Der zuständige Polizeichef Ole Bredrup Sæverud wollte einige Stunden zuvor auf einer Pressekonferenz einen terroristischen Hintergrund nicht ausschließen. Allerdings gebe es dafür noch keine konkreten Hinweise, betonte er, man ermittle auf breiter Grundlage: „Es gibt komplizierte Einschätzungen zum Motiv, und es wird Zeit brauchen, bis dies geklärt ist.“
Wegen psychischer Probleme in Behandlung
Der Verhaftete, der 37-jährige Espen B., ist ein zum Islam konvertierter dänischer Staatsangehöriger, der eine dänische Mutter und einen norwegischen Vater hat und der seit Jahren in Kongsberg lebte. Er hat laut Sæverud Verbindungen zu „radikalen Milieus“, und die Polizei habe zuletzt 2020 „mehrfach Kontakt wegen mutmaßlicher Radikalisierungstendenzen“ mit ihm gehabt. Der Polizeichef betonte aber auch, dass der Mann, der noch im Laufe der Nacht bei ersten Polizeiverhören die Tathandlungen zugegeben habe und „zusammenarbeitswillig“ sei, mehrfach wegen schwerer psychischer Probleme in Behandlung gewesen sei. Auch ansonsten sei er für die Polizei „kein Unbekannter“.
Erika Fatland, Terrorismusexpertin
Nach Medieninformationen soll er wegen geringerer Straftaten vorbestraft sein, im vergangenen Jahr war wegen Bedrohung mit einer Waffe gegen ihn ein gerichtliches Besuchs- und Kontaktverbot zu seinen Eltern verhängt worden. Die Tageszeitung Aftenposten berichtet von einem etwas wirren Video aus einem mittlerweile gelöschtem Facebook-Account, in dem B. 2017 äußerte: „Ich bin ein Bote. Ich komme mit einer Warnung. Ist das wirklich das, was ihr wollt?“ NachbarInnen berichteten der Zeitung, der Mann habe in seinem Garten Kampfsport ausgeübt, mit Baseballschlägern und anderen Schlagwaffen trainiert, und er sei wiederholt von der Polizei aufgesucht worden.
Auch die norwegische Schriftstellerin und langjährige Terrorismusexpertin Erika Fatland zögerte, die Tat zuzuordnen, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind. „Im Moment ist es unsicher, ob es Terrorismus war, etwas Psychisches oder etwas anderes“, sagt sie. Fatland hat schon wenige Monate nach den Anschlägen von Oslo und Utøya die Zeugnisse der Überlebenden gesammelt und in dem auch auf Deutsch erschienen Buch „Die Tage danach“ veröffentlicht. Bevor der Terror 2011 aus der Mitte der Gesellschaft ihr Land heimgesucht hat, beschäftigte sie sich auch mit islamistischen Attentätern. Gleichgültig, welches Motiv den Mörder von Kongsberg antrieb, einen zweiter Anders Behring Breivik sei aus ihrer Sicht nicht am Werk gewesen, so Fatland. „Die Tat scheint mir nicht so sorgfältig geplant, wie es damals Breivik getan hat.“
Dass diesmal eine beschauliche Kleinstadt das Ziel war und nicht wie 2011 das Stadtzentrum von Oslo und die für Norwegens Sozialdemokratie als Versammlungsort so historisch bedeutsame Insel Utøya, bezeichnet sie als „Schock“. Die Norweger hätten nach 2011 entschieden, sich ihr Selbstbild als friedliche Nation zu bewahren, meint Fatland. Bis auf Poller in der Innenstadt von Oslo findet sich tatsächlich wenig von dem, was in anderen europäischen Ländern zur Abwehr von Terrorgefahren längst alltäglich geworden ist.
Zwei Utøya-Überlebende sind MinisterInnen
Norwegens neuer Regierungschef reagierte nun umgehend auf die aktuelle Entwicklung und teilte mit, er werde sofort zusammen mit seiner Justizministerin die Arbeit in Sachen der Kongsberg-Tat aufnehmen. Die 28-jährige Emilie Enger Mehl ist das jüngste Kabinettsmitglied der sozialdemokratisch-liberalen Regierung und zugleich die bislang jüngste norwegische Justizministerin. Sie werde „in ihrem jungen Alter“ gleich mit einer schweren Aufgabe konfrontiert, sagte Gahr Støre: „Aber wir sind überzeugt, dass wir mit ihr eine visionäre und energische Politikerin haben, die dem gewachsen ist.“
Enger Mehl ist eine der zehn Ministerinnen im achtzehnköpfigen Kabinett. Mit dieser Zusammensetzung besteht eine norwegische Regierung erstmals aus mehr Frauen als Männern. Er sei bei allem traurigen Hintergrund, den der Tag mit sich gebracht habe, „stolz über diese Mannschaft“, erklärte Gahr Støre und betonte auch, dass zehn Jahre nach dem 22. Juli 2011 nun mit der 33-jährigen Bildungsministerin Tonje Brenna und dem 35-jährigen Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre erstmals zwei Überlebende der Terrortat auf Utøya norwegische MinisterInnen geworden seien: „Menschen, die unser Land politisch aufbauen. Die ihr Leben der Politik gewidmet haben. Und die für uns alle eine Inspiration für unsere Aufgabe sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen