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Terror-Gedenken im BundestagHass war keine Option

Was macht man, wenn man seine Liebsten bei einem Terroranschlag verloren hat? Vier Opfer und Angehörige erzählten im Bundestag ihre Geschichte.

Serpil Unvars Sohn Ferhat wurde im Alter von 23 Jahren aus rassistischen Motiven in Hanau ermordet Foto: Patrick Scheiber/imago

Aus Berlin

David Hinzmann

Es war eine besondere Sitzung, die Omid Nouripour am Dienstagabend im Bundestag eröffnete. „Ich hatte Selbstzweifel, ob ich diese Veranstaltung überhaupt moderieren kann“, sagte der grüne Bundestagsvizepräsident. Auf Einladung von Nouripour erzählten vier Überlebende und Hinterbliebene der Terroranschläge von Hanau, Paris und Utøya ihre Geschichte. Anlass war der zehnte Jahrestag der Anschläge vom 13. November in Paris. Was Kjartan Løvaas, Georges Salines, Merete Stamneshagen und Serpil Unvar miteinander vereint, ist ihr zivilgesellschaftliches Engagement für Aussöhnung und Aufklärung.

Kjartan Løvaas war 17 Jahre alt, als er im Juli 2011 an einem Jugendcamp der norwegischen Arbeiterpartei auf der Insel Utøya teilnahm. Der rechtsextreme Terrorist Andres Breivik tötete dort bei einem Amoklauf 69 Menschen. Løvaas berichtete, wie er vor Breivik in den See flüchtete, ans Festland schwamm und sich dabei von einem Freund verabschieden musste, der auf halber Strecke entkräftet umkehrte. „Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah.“ Seit 2018 engagiert sich Løvaas in einer Hinterbliebeneninitiative.

Merete Stamneshagen verlor ihre 18-jährige Tochter Silje bei diesem Attentat. „Ich dachte, mein Leben sei vorbei, aber ich habe zwei Söhne, um die ich mich damals kümmern musste“, sagte Stamneshagen. Trost spende ihr die Arbeit im lokalen Sportverein.

Georges Salines erinnerte sich, wie er nach dem Anschlag auf den Pariser Konzertsaal Bataclan 18 Stunden lang hoffte, um dann doch Gewissheit über den Tod seiner Tochter Lola zu haben. Islamistische Selbstmordattentäter erschossen dort und an fünf weiteren Orten in Paris am 13. November 2015 insgesamt 130 Menschen.

Serpil Unvars Sohn Ferhat wurde im Alter von 23 Jahren aus rassistischen Motiven in Hanau ermordet. Ein Rechtsextremist erschoss ihn und acht weitere Menschen mit Migrationsgeschichte. Seine Mutter sagte, sie beschäftige am meisten, dass ihr Sohn schon sein ganzes Leben Rassismus erfahren habe.

Tränen im Publikum

Als die vier Betroffenen nacheinander das Wort ergriffen, flossen vereinzelt Tränen im Publikum, das aus rund 30 Personen bestand, darunter Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen. Die Po­li­ti­ke­r:in­nen bedankten sich für die Berichte und fragten: Wie haben sie es geschafft, nicht in Hass zu verfallen? Wie ergeht es jemanden, der vom Staat nicht ausreichend geschützt wurde?

Hass, das wurde dabei klar, war für keinen der Anwesenden eine Option. Einzig Stamneshagen gab zu: „Ich hasse keine Menschen, sondern die Ideologie, die hinter einem solchen Anschlag steht. Ich hasse Rechtsextremismus.“ Bemerkenswert ist dieses Bekenntnis auch mit Blick auf die Anwesenheit eines Vertreters der rechtsextremen AfD.

Georges Salines mahnte zugleich: „Nach solchen Anschlägen kann man mit Polizei und Militär vielleicht Sicherheit haben. Aber niemals Frieden.“ Diese Erkenntnis habe neben unvorstellbarer Trauer sein Leben nach dem Tod seiner Tochter bestimmt. Salines hat sich mit dem Vater eines der Terroristen getroffen und ihm vergeben. Die beiden haben darüber ein Buch geschrieben.

Kein Vertrauen in die Polizei

Während Salines und die Hinterbliebenen des Anschlags von Utøya größtenteils positiv auf die staatlichen Reaktionen und die Unterstützung schauten, erklärte Serpil Unvar: „Ich habe das Vertrauen in die Polizei verloren und bis heute nicht zurückgewonnen.“

Notrufe blieben während des Terrorakts in Hanau unbeantwortet. Ein Notausgang in einer Bar war mutmaßlich auf Veranlassung der Polizei verschlossen. Auch heute fühle Unvar sich nicht ausreichend geschützt. Sie werde noch immer regelmäßig vom Vater des Attentäters belästigt.

Kraft habe sie einzig aus ihrem eigenen Engagement gewonnen. Sie hat die „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“ gegründet, die sich für Chancengleichheit und Gerechtigkeit im Bildungssystem einsetzt.

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