Technische Universität macht sich beliebt: Auch Roboterhunde gehen mal pinkeln
Mit einer Wissenschaftsshow für die Erstsemester zeigt die TU ihrem Nachwuchs, wie populär und cool Forschung in sein kann. Und es funktioniert: Intelligente Roboter-Haustiere, machen ebenso neugierig wie Gedanken lesende Maschinen
Erstsemestertag an der TU: Während in den Hörsälen der Lehrbetrieb des inzwischen fortgeschrittenen Semesters weiterläuft, bekommen die Frischlinge nach der ersten Orientierungsphase noch einmal die Gelegenheit zum Innehalten. Ihre Alma Mater erinnert einen Tag lang daran, dass zum TU-Alltag mehr gehört als die Mensakarte und das Tutorium. "Naturwissenschaft macht Spaß!", heißt allerorten die Botschaft, die vermittelt werden soll.
Im Foyer spielt die 50er-Jahre-Rock-n-Roll-Band "Ike and the Capers". Das Stück "Moon over Kentucky" haut zwar niemanden um, aber gut zu wissen, dass es TU-Studierende waren, die den von der Band benutzten Verstärker dem Original-"Fender Bassman 5F6" nachgebaut haben: der musizierende Beweis für das Coolnesspotenzial eines naturwissenschaftlich-technischen Studiums.
Drinnen buhlen die üblichen Organisationen, Medien und Kultureinrichtungen um die Aufmerksamkeit der Jungakademiker. Wer im Audimax Platz nimmt, hat bereits mehrere Tageszeitungen, Theaterprogramme und Flyer unterm Arm - und bekommt noch eine 3-D-Brille dazu.
Im großen Saal soll der Nachwuchs mit einer Wissenschaftsshow von den Möglichkeiten der eigenen universitären Karriere beeindruckt werden. Natürlich auch in 3 D. Unter dem Motto "2030 - unsere Welt von morgen" stellen vier zukunftsweisende TU-Projekte ihre Arbeit vor, publikumswirksam moderiert von ZDF-"Abenteuer Wissen"-Moderator Karsten Schwanke.
Für alle, die nach ein paar Wochen Elektrotechnik, Informatik oder Verfahrenstechnik bereits die erste Sinnkrise durchleben, hat Uni-Präsident Kurt Kutzler motivierende Worte bereit. "Die schönen Erfahrungen werden überwiegen", verspricht er und versichert den "Erstis", dass sich die TU um sie kümmern werde. Nachhilfe in Lockerheit braucht der Nachwuchs allerdings nicht: Viele treffen erst nach einem großzügig ausgelegten akademischen Viertel ein und packen dann ganz gemütlich ihr Sandwich aus.
Die im optischen Gewand eines TV-Studios daherkommende Show ist auf ihre Zielgruppe gut zugeschnitten. Mitarbeiter des TU-Labors für künstliche Intelligenz führen zwei Aibo-Roboterhunde vor, die auf dem roten Teppich tanzen, das Bein heben (aber nicht wirklich pinkeln) und auf Zuruf die Zeitung apportieren. Bei aller Niedlichkeit wirkt es beruhigend, dass die von künstlicher Intelligenz beseelten Robotervierbeiner nicht immer alles tun, was sie sollen: Sie geben unmotiviert Sprachfetzen von sich, die weder als Hundebellen noch als englische Sätze durchgehen.
"Von menschlicher Intelligenz sind wir noch weit entfernt", sagt Professor Sahin Albayrak. Auch er kennt die Schreckensmärchen von künstlicher Intelligenz, die seit den 50er-Jahren durch schlechte Science-Fiction-Werke geistern. Im Hörsaal merkt man: Die Angst vor Robotern, die sich nach menschlicher Logik verhalten, ist immer noch da. Es ist einfach gespenstisch, zu sehen, wie sich eine auf den Boden geworfene Maschine selbstständig um die eigene Achse dreht, aufrichtet und unter Umgehung sämtlicher Hindernisse schwanzwedelnd auf einen Sessel springt.
Nicht nur der Moderator sieht erleichtert aus, als das Robotervieh Schwierigkeiten hat, mit seinen Kameraaugen die 3-D-Fotos in der apportierten Zeitung wiederzugeben. Man sei zuversichtlich, dass die Aibos bald als vernünftige Babysitter oder Butler taugten, sagen der Professor und sein Assistent, die dabei ein bisschen wirken wie große Jungs, die ihre Lieblingsspielzeuge vorführen. Der Moderator, ein studierter Meteorologe, bleibt skeptisch: "Mein kleiner Sohn", winkt er ab, " würde das Ding in null Komma nix auseinandernehmen".
Das zweite Projekt besitzt weniger populärwissenschaftlichen Reiz, dafür aber ernster zu nehmende Anwendungsmöglichkeiten: Wissenschaftler des Fachgebiets "Maschinelles Lernen" zeigen die mentale Schreibmaschine - ein Verfahren, mittels dessen man im Hirn imaginierte Hand- und Fußbewegungen in Buchstaben übersetzen kann. Ein nützliches Instrument, etwa für gelähmte Menschen. Mehr Eindruck macht allerdings die Anwendung im Entertainmentbereich. Ein Bild, das den Professor zeigt, wie er kraft seiner Gedanken Pingpong am Computer spielt, sorgt für großes Hallo. Auch die futuristische EEG-Kappe mit Schläuchen und Drähten dran, obwohl die eigentlich jeder Arzt um die Ecke hat. Unruhe macht sich breit, als der Professor von den "Motorkortex-Feldern" seiner Probanden erzählt: Laien sehen auf den Aufnahmen nur bunte Kringel.
Moderator Schwanke versteht es, die Auskunftsfreude der Forscher in "Sendung mit der Maus"-hafte Bahnen zu lenken. Was ist das? Wie forschen Sie genau? Und was kann man damit machen? Um den Interessen der Erstsemester entgegenzukommen, fragt er alle Vorführenden, was und wo sie studiert haben. Vielleicht sollte man solche Wissenschaftsshows schon an den Schulen anbieten, damit sich mehr SchülerInnen für Naturwissenschaften begeistern.
"Massy" jedenfalls ist geeignet, eine Anglistin nachträglich zum Studium der Neurolinguistik zu bekehren: Der von WissenschaftlerInnen des Instituts für Sprache und Kommunikation entworfene künstliche Kopf ist fast so ansehnlich wie ein Roboterhund und dabei doppelt so beredt. Das androgyne Wesen auf der Leinwand übersetzt Mimik in synthetische Sprechsequenzen. Der Satz "Fragen Sie die Erstsemester", von einer Frau aus dem Publikum diktiert, ist schon nach wenigen Sekunden nahezu perfekt und lebensecht aus dem Mund des Geschöpfs zu vernehmen. Prima für die Sprechtherapie oder für bildbegleitete Lautsprecherdurchsagen am Bahnhof: Was man sonst nicht versteht, kann man von Massys Lippen ablesen.
Landläufig "futuristisch" wird es beim vierten Vortrag: Am Beispiel von Videoaufnahmen aus dem Charlottenburger Schlosspark demonstrieren zwei Forscher des Fachgebiets "Nachrichtenübertragung", wie man zweidimensionale Filme in die dritte Dimension überführt. Als alle mit ihren weißen 3-D-Brillen dasitzen und staunend beobachten, wie die Schlosstreppe auf sie zutritt, hat sich ein echt futuristisches Gefühl eingestellt. Die Welt 2030 - das ist an diesem Vormittag in der TU ein Rausch der technologischen Möglichkeiten zur Weltverbesserung. Intelligente Haustiere, die zum Pinkeln nicht rausmüssen und aus der Zeitung vorlesen, die Steuerung von Maschinen via Gedankenkraft, wohlklingende und dialektfreie Zugansagen und Fernsehen in 3 D.
Ganz schön beflügelt sehen die Erstsemester aus, als sie aus dem Audimax strömen. Draußen wartet ein Gratisbuffet mit internationalen Spezialitäten und Lehmanns Fachbuchhandlung mit den Standardwerken "Höhere Mathematik" und "Strömungslehre". Hoffentlich nutzen nicht nur wieder die Frauen das Angebot des Campusradios, beim Tag der offenen Tür das Moderieren zu üben. Bei der Wissenschaftsshow war das Geschlechterverhältnis nämlich erschreckend traditionell. Während die Frauen im Publikum für das "Ahh" und "Ohh" sorgten, präsentierten auf der Bühne ausschließlich männliche Wissenschaftler und Studenten ihre Forschungsergebnisse. Hoffentlich hat sich das bis zum gar nicht mehr so fernen Jahr 2030 an der TU geändert.
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