Tavares Strachan in Mannheim: Sie umgarnen Geist wie Auge
Die Kunst Tavares Strachans will hegemoniales Wissen kritisieren. Der Künstler hat in der Mannheimer Kunsthalle seine erste Soloschau in Deutschland.

Wo Dunkelheit ist, ist auch Licht. Dennoch hänge alles davon ab, ob jemand in der Lage sei, Licht ins Dunkel seiner Existenz zu bringen. So hat es der Schriftsteller James Baldwin in seinem 1964 erschienenen Essay „Nothing Personal“ als Mantra der Selbstermächtigung formuliert. Mit der entsprechenden Passage, zitiert in Leuchtbuchstaben, beginnt die Ausstellung von Tavares Strachan in der Kunsthalle Mannheim.
Der 1979 auf den Bahamas geborene Künstler platziert sich gerade in der vordersten Reihe der internationalen Kunstszene. Seine Schau „Supernovas“ macht seinem vorauseilenden Ruf alle Ehre. Mit seinen Werken übt er geistreich Kritik an der hegemonialen Wissensproduktion der weißen Mehrheitsgesellschaft.
Der Konzeptkünstler war der Mannheimer Kuratorin Luisa Heese auf der Biennale von Venedig aufgefallen. Sie besuchte Tavares Strachan in seinem Atelier in New York und konnte ihn zu einer ersten Tuchfühlung mit Deutschland überzeugen. Im vergangenen Sommer hatte er in der Hayward Gallery in London ausgestellt.
Wichtige Teile seines Werkes waren also erreichbar, konnten zwischengelagert werden, damit sie weiter nach Mannheim reisen konnten. Inzwischen scheint es so gut wie sicher zu sein, dass der Künstler an der nächsten Documenta in Kassel teilnimmt. Die Leiterin des 2027 stattfindenden Mega-Events, Naomi Beckwith, ist vor Kurzem bei einer Präsentation ihres Konzepts auf das Werk von Tavares Strachan eingegangen. Die Kunsthalle Mannheim gibt also einen Vorgeschmack auf die d16.
Tavares Strachan: „Supernovas“, Kunsthalle Mannheim, bis 24. August
Als Künstler sucht Strachan die Herausforderung, feiert das Unmögliche. Seine „Enzyklopädie der Unsichtbarkeit“ setzt ganz oben an. Mit diesem Langzeitprojekt strebt er eine Neufassung der Encyclopædia Britannica an. Ein Pavillon zeigt – flächendeckend bis unter die Decke gehängt – Beispiele der bislang siebzehntausend, in den letzten zehn Jahren zusammengetragenen Einträge.
Sie sind grafisch überblendet mit geometrischen oder schematischen Zeichnungen und Fotografien. Lesbar sind sie nicht, seine „Enzyclopedia of Invisibility“ ist eine Utopie. Mit diesem Projekt reagierte der 45-Jährige auf ein frühkindliches Erlebnis. Bei seinen Großeltern in Nassau hatte eine Ausgabe der Encyclopædia Britannica im Regal gestanden. Doch stellte er damals fest, dass sie nichts enthielt, was sein eigenes Leben auf den Bahamas ausmachte.
Astronautentraining in Russland
Tavares Strachan denkt in großen Bögen. Im Laufe seines Studiums war ihm aufgefallen, dass afroamerikanische Personen mit Heldenpotential wie der Polarforscher Matthew Henson oder der Pilot und Astronaut Robert Henry Lawrence Jr. so gut wie unbekannt geblieben sind. Er vertiefte sich in ihre Geschichten, absolvierte selbst eine Expedition in die Arktis und ein Astronautentraining in Russland, wollte körperlich erfahren, was seine Protagonisten empfunden haben.
Gemessen an üblichen Spielräumen seines Berufsstandes, macht es sich Strachan nicht gerade bequem. Eine Skulptur eines fallenden Körpers aus Neonelementen erinnert an Henry Lawrence Jr., der bei einem Starfighter-Testflug mit einem Flugschüler am Steuer verunglückte. Seine Ehefrau musste rassistische Häme erdulden.
Tavares Strachans aufwendige Szenarien umgarnen Geist und Auge. Alles ist perfekt durchdacht, perfekt und feinsinnig umgesetzt, als handle es sich um etwas, das nach strengen Maßstäben evaluiert wird. Er arbeitet mit einem Team zusammen, das die Realisation seiner Abenteuer und Inszenierungen organisatorisch und in der Herstellung betreut. Er sei aber dennoch ein sehr guter Handwerker, sagt Luisa Heese. Der Künstler, der an vier verschiedenen Kunsthochschulen Erfahrungen gesammelt hat, begann seine Karriere als Maler. An die Porträtplastiken einiger seiner Installationen legte er selbst Hand an.
Atemberaubend schön ist die Serie „Mind Field. A Map of the Crown“. Mehrere Bronzebüsten von Frauen und Männern sind bekrönt mit kunstvollen Frisuren aus schwarzem, gekräuseltem Echthaar. „Der skulpturale Umgang mit Haaren stellt eine eigene Kulturgeschichte dar“, erklärt Kuratorin Heese. Strachan habe sich auf traditionelle Frisuren aus verschiedenen Regionen Afrikas bezogen, die eine eigene Ästhetik entwickelt haben. Mit dem bei Friseuren auf den Bahamas und Jamaika gesammelten Material sind auch einzelne Tafeln beflockt. Sie sind als „Gedankenfelder“ hinter den Büsten aufgehängt und spielen auf das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch an, eine Ikone der ungegenständlichen Kunst.
Die Geschichte von jedermann
Tavares Strachan möchte sein Werk als universelle Geste verstanden wissen: „Die Geschichte, die ich erzähle, ist die Geschichte der Menschheit. Das Spezifische meiner persönlichen Geschichte ist mit der Menschheitsgeschichte verbunden. Wenn man tiefer in die eigene Geschichte blickt, findet man die Geschichte von jedermann darin. Das interessiert mich.“ Mit seinem Selbstverständnis, Denker, Erzähler, Musiker, Wissenschaftler und Künstler in einer Person zu sein, ist Strachan sicherlich nicht allein. Doch gelingt es ihm, Szenarien zu kreieren, die mitteilsam sind und verführerisch.
Zentral für sein Werk ist die Dimension der Zeit als fluider Raum der Reflexion. Die Vorstellung von linearer Entwicklung ist für den Yale-Absolventen von vorgestern. „Jeder verantwortungsvolle Künstler denkt über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft nach. Ich mache das eben gleichzeitig. Wenn du die Vergangenheit nicht verstehst, hast du weniger Relevantes zu sagen. Wenn du die Gegenwart nicht verstehst, hast du kein Bewusstsein für den Moment. Wie soll man da in einen Dialog mit der Zukunft kommen? Also sind mir alle drei Aspekte wichtig.“ Ähnlich äußerte sich James Baldwin in seinem erwähnten Essay.
Wie Yael Bartana pflegt Strachan eine futuristische Attitüde. Bartana schuf 2024 für den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig mit „Light to the Nations“ eine virtuelle Raumstation für einen utopischen jüdischen Staat. Das Werk basierte zwar auf jüdischen Traditionen, ging aber über „religiöse, ethnische, nationale, staatliche und Stammesgrenzen hinaus“, wie es im kuratorischen Statement heißt. Light, Licht, steht auch hier für Hoffnung und Erkenntnis. Die Idee des Enlightenment, der Aufklärung ist entgegen manchen Kritikern nicht zum Auslaufmodell geworden.
Das gilt auch für Tavares Strachan, der auf Botschaften der Reggaemusik genauso schwört wie auf das Wissen der Naturwissenschaften. Ihm geht es um das Ganze. Er versetzt Wissenschaft, Musik und Geschichte in eine gemeinsame Schwingung. Mit seinem „Intergalaktischen Palast“ blickt er in die Zukunft. Von außen zitiert das in den Ausstellungssaal gestellte Gebäude eine Urform menschlicher Behausung, während innen die geodätische Konstruktion des US-Architekten Richard Buckminster Fuller sichtbar wird. Im Zentrum steht ein DJ-Pult, im Takt der Musik leuchten Sterne auf. Es erklingt der Sprechgesang „Whitey on the Moon“ des amerikanischen Jazzpoeten Gil Scott-Heron von 1970. Der Soundtrack für Strachans Reise in unbekannte Welten.
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