„Tatort“ aus dem Schwarzwald: Ermittelt wird nur am Rande
Es geht um Abhängigkeiten, um Eifersucht, um Angst: Wenn es im „Tatort“ auf gar keinen Fall ein „Für immer und dich“ geben darf.
Stark will Martin Nussbaum (Andreas Lust) sein. Der Bestimmer. Er sagt dann Sachen wie: „Pass mal auf, du kleine Schlampe, wir müssen da einiges zurechtrücken.“ Er tut Emily Arnold (Meira Durand) dann nichts. Er bricht auf ihr zusammen. „Manchmal denke ich, du magst mich nicht mehr.“
„Doch, doch“, sagt sie dann – und nimmt ihn in den Arm.
Martin ist um die 40. Emily war 13, als er 2017 mit ihr abhaute. Und auch, wenn er ihr körperlich in diesen Momenten nichts antun mag und sie auch nicht gezwungen hat, mit ihm unterzutauchen, manipuliert er sie: „Wofür reiß ich mir den Arsch auf?“; „Willst du plötzlich wieder zurück zu Mama oder was?“; „In diesen scheiß Hochhäusern vermisst dich keine Sau, die wollen dich gar nicht zurück!“
Natürlich vermisst in diesen scheiß Hochhäusern jemand Emily: ihre Mutter natürlich, und ihre Schwester. Nur die Polizei in Person von Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) vermisst Emily anscheinend nicht mehr. Erst als Kollegin Franziska Tobler (Eva Löbau) sich noch mal des Falls annimmt und Berg sich um die Fahrerflucht nach einem tödlichen Unfall kümmert, kommt Bewegung in den Fall. „Ich helf Ihnen, wenn ich hier fertig bin“, sagt Tobler. „Damit wirst du nicht fertig“, sagt Berg.
Eine toxische Verbindung
Wie unrecht er haben wird: Denn der Unfallverursacher war Nussbaum. Bald finden sie auch seinen roten Zafira, mit DNA-Spuren von Emily drin. Und dann beginnt die Suche. Wobei die Aufklärung des Falles und die Ermittlungsarbeit in diesem „Tatort“ kaum eine Rolle spielen. Im Mittelpunkt steht die toxische Verbindung zwischen Emily Arnold und Martin Nussbaum.
Es geht um Abhängigkeiten, um Eifersucht, um Angst, um das Besitzen-Wollen, um ein Mädchen, das merkt, dass es eine falsche Entscheidung getroffen hat – und um einen Mann, der immer die falschen Entscheidungen trifft. Und der genau weiß, dass das, was er tut, Unrecht ist. Und der nur will, dass am Ende doch alles mal so läuft, wie er sich das vorstellt. Dass er mal etwas zurechtrückt.
Die MacherInnen (Regie: Julia von Heinz, Buch: Magnus Vattrodt) schaffen es, Nussbaum in seiner Zerrissenheit zu zeigen – ohne allzu große Sympathien für ihn aufkommen zu lassen. Das ist nicht schlecht. Und sie schaffen es, den namensgebenden Interpreten Rio Reiser nur zwei Mal und das sogar recht passend singen zu lassen.
Wenn der „Tatort“ nur noch ein bisschen spannender geraten wäre.
Leser*innenkommentare
vergessene Liebe
Naja Herr Kruse... "noch spannender" (?) ..wie denn ? .. etwa mit Elementen von `action´, im Sinne der USA Filmkultur ? Trotzdem Respekt ihrem Text! Dieser "TATORT" von Frau Julia von Heinz und Herrn Magnus Wattrodt trifft m.E. das oftmals verzweifelte Lebensgefühl und die verratene Sehnsucht vieler junger Menschen !
Einerseits Flucht, weg von der als hart und langweilig empfundenen Wirklichkeit, im Feld des `sozial unschicklichen´.. in ein fragiles Kontinuum flachen Glücks : der schwache Mann und das naive Kind. Die Lust.. eine nachvollziehbare Eskalation der Ereignisse.. Eigentlich ist die Tötung des Hundes , des geliebten Spielgefährten der Emily , durch die Panik Nussbaums .. der moralische Wendepunkt des jungen Mädchens! Nussbaum verbleibt als der missratene und kriminelle Sohn einer solidarischen alten Mutter! Die filmische Darstellung der polizeilichen Ermittler: die emphatische , gerade schwangere Komissarin, die offen und mit Gefühl auf die Mutter der vermissten Emily zuging.. im Kontrast zur harten Vernunft ihres männlichen Kollegen: ein (leider) normales Klischee deutscher Polizeikultur?
Ein guter "TATORT" ! Nachvollziehbar, aus dem Leben in der Provinz.. und obendrein moralisch wertvoll...