„Tatort“ aus Wiesbaden: Same same but different
Eigentlich hatte die ARD für ihren „Tatort“ die Devise ausgerufen: „Keine Experimente mehr“. Jetzt gibt es doch wieder eines – und auch noch ein gutes.
![Tatort-Darsteller Ulrich Tukur mit Dienstwaffe Tatort-Darsteller Ulrich Tukur mit Dienstwaffe](https://taz.de/picture/3247515/14/murot.jpeg)
Die Kugel trifft den Kommissar von hinten, er reißt die Augen auf – zum Glück nur ein Traum. Da piepst das Handy auf dem Nachttisch, die Kollegin Wächter (Barbara Philipp) ist dran. Murot (Ulrich Tukur) möge schnell kommen, ein Banküberfall mit Geiselnahme. Grummelnd schiebt der Kommissar sich aus dem Bett: Wächter soll schon mal ein Fluchtauto organisieren und genug Lösegeld, aber bitte „in kleinen Scheinen“. Denn Murot weiß, wie so ein Bankräuber tickt: „Kennste einen, kennste alle.“ Routine.
Murot schlappt ins Badezimmer und weiter zum Kleiderschrank. Draußen vor der Wohnungstür joggt die Nachbarin grüßend durchs Treppenhaus: Routine. Der Nachbar von unten hat wieder mal die Musik zu laut gedreht. Wie immer. Auf dem Weg zu seinem Auto stolpert Murot über eine Mutter, die ihr unwilliges Kind in die Kita lotst. Was Menschen morgens eben so machen. Am Tatort angekommen, kippt ihm der junge Polizist den unvermeidlichen Kaffee über die Hose. SEK und Einsatzleitung stellen sich vor, die üblichen Handshakes.
„Ich gehe da jetzt mal rein“, sagt Murot und schmeißt sich mit seiner ganzen gelangweilten Routine in die kugelsichere Weste. Ein bisschen einfühlsames Gequatsche, gelernt ist gelernt auf der Polizeischule, und schon ist der Amateurräuber entwaffnet. Da löst sich ein Schuss von einer unerwarteten Komplizin des Bankräubers im Rücken des Kommissars, er reißt entsetzt die Augen auf – nur ein Traum?
Murot ist in einer Art Zeitschleife gefangen. Das piepsende Handy, die joggende Nachbarin, das renitente Kind, der Kaffee auf der Hose. Und immer wird Murot am Ende erschossen. Und immer fängt dann alles wieder von vorne an.
Wiesbaden-"Tatort": "Murot und das Murmeltier", So. 20.15 Uhr, ARD
Anfangs kämpft der Kommissar gegen diesen Alptraum an, bis er erkennt: Erst wenn er es schafft, den Fall zu lösen, ohne dass er selbst oder der Geiselnehmer sterben, ist der Bann gebrochen. Der Überdruss an der Routine des Alltags wird auf die Spitze getrieben: Wieso eigentlich immer weitermachen, wenn doch jeder Tag derselbe ist, fragt sich der Kommissar. Klar, weil der Alltag zwar ein Hamsterrad ist, aber Aufgeben deshalb noch lange keine Option, wie Murot lernt.
Und natürlich ist dieses interessante stilistische Experiment von Regisseur Dietrich Brüggemann auch eine clevere Kritik am Krimi-Einheitsbrei: der Klassiker Banküberfall in Endlosschleife. Kennste einen „Tatort“, kennste alle „Tatorte“? Nee, in diesem Fall eben nicht.
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