„Tatort“ aus Wien: Stachel im Fleisch
Die Kommissare vom Wiener „Tatort“ liefern sich ein Hase-und-Igel-Spiel mit israelischen Mossad-Agenten. Es geht um Wirtschaftskriminalität.
Von Silvester ist Ihnen noch ein wenig flau im Magen? Klemmen Sie sich die ersten vier Minuten dieses „Tatorts“, falls Sie nicht wollen, dass Ihnen der Heringssalat und die zwei Gläser Fürst Metternich zu viel wieder hochkommen: Andächtig schiebt da die querschnittsgelähmte Tochter von Hauptkommissar Eisner (Harald Krassnitzer) einen Nagel durch den Stoff ihrer Jogginghose – ratsch – ins Fleisch – knirsch – und verbirgt das Ergebnis schnell unter den hübsch lackierten Fingernägeln. Zu spät: Entsetzt schaut der Vater auf das blutige kleine Loch im Oberschenkel seiner Tochter.
„Aufpassen, dass ma jetzt nichts übersehen“, sagt der Papa wenig später an einem anderen Wiener Tatort – offenes Hotelfenster, toter iranischer Diplomat auf dem Gehweg davor –, und während er bei dem Satz vielleicht auch an seine Tochter denkt, nimmt der erste Fall des neuen Jahres für die Wiener „Tatort“-Ermittler Eisner und Fellner (Adele Neuhauser) seinen Lauf.
Da hetzen plötzlich israelische Mossad-Agenten auf den Fersen von iranischen Diplomaten durchs pittoreske Wien, basteln dem Hauptkommissar einen Trojaner aufs Handy und huschen mit ihren dunklen Limousinen durch die Rückspiegel. Das iranische Atomprogramm, das Handelsembargo der EU – und seine Schlupflöcher: Hier geht es um die ganz große Wirtschaftskriminalität.
Das Schöne: Man nimmt dem Film die Mossad-Agenten zwischen den Kaffeehäusern tatsächlich ab. Wo der „Tatort“ manchmal nur umso piefiger wirkt, je weltpolitischer er sein möchte, hat man hier einen unaufgeregt konstruierten Fall, bei dem die Kommissare am Ende einsehen müssen, dass sie das Hase-und-Igel-Spiel, zumindest mit ihren Mitteln, nicht gewinnen können: das Übel, es sucht sich seinen Weg in die Welt – ein Stachel im Fleisch, könnte man sagen, falls Sie die Anfangsszene doch sehen wollen. Na dann: Frohes neues („Tatort“-)Jahr.
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