„Tatort“ aus Dresden: Mehr Mut zur Kürze
Wie in Dresden ermittelt wird, macht in der Regel Spaß. Diesmal erwartet die Zuschauer ein Kommentar zur Lage der Nation.
Weniger ist manchmal mehr. Das gilt auch für Krimis wie diesen hier, um es mal gleich vorneweg zu monieren. „Katz und Maus“, der neue Dresden-„Tatort“, hätte einige Kürzungen gut vertragen. Mitunter geraten einige Szenen zu langatmig und entstehen wahrscheinlich nur, damit die vom linearen Programmschema vorgegebenen 90 Sendeminuten – okay, exakt sind es 87 Minuten, die restlichen 3 Minuten sind für Programmhinweise eingeplant –, ausgefüllt sind. Wenn die meisten Menschen aber heute mit linearen Programmen nichts mehr am Hut haben, warum greifen die Sendeverantwortlichen dann nicht endlich zur (Zeit)Schere im Kopf und schmeißen sie endgültig über Bord.
Streamingdienste machen es vor. Es ist doch egal, wie lang ein Spielfilm oder der einzelne Teil einer Serie ist. Oder wie kurz. Das kann die Sache nur besser machen. Mit Kolumnen übrigens verhält es sich ja ähnlich – die Krimi-Kolumne in der wochentaz ist ja nun auch länger geworden. Dem Tatort „Katz und Maus“ jedenfalls hätte eine Viertelstunde weniger gut getan. Denn der Krimi ist empfehlenswert und durchaus spannend. Aber der Reihe nach.
Die Redakteurin eins boulevardesken Blättchens wird in Dresden auf offener Straße gekidnappt, entführt und dann öffentlich zur Schau gestellt. Anders kann man es nicht nennen. Mit den modernen digitalen, allseits verfügbaren technischen Mitteln ist so was ja ein Kinderspiel.
Ein Countdown läuft. Per Videobotschaft verkündet der Entführer – seinen Kopf hinter einer unförmigen Mausmaske verborgen – dass die Frau in seiner Gewalt binnen 24 Stunden sterben muss. Es sei denn, die Kripo schafft es, angeblich 150 in Sachsen vermisste, weil entführte Kinder zu finden und zu befreien, sie sollen in einem Dresdner Keller gefangen gehalten werden. Was für ein Plot.
Dresden-„Tatort“: „Katz und Maus“, So., 20. November, 20.15 Uhr, ARD sowie 21.45 Uhr, ONE und in der ARD-Mediathek
Das Internet verblödet die Leute
Michael Schnabel (Martin Brambach), der charmant altmodische Kripo-Chef, bringt es in seiner gewohnt leicht schnoddrigen Art gleich zu Beginn des Krimis auf den Punkt, wenn er sich aufregt: Das Internet verblödet die Leute, die drehen doch alle völlig durch.
Hier wird nicht zu viel verraten, denn schnell legt die Dramaturgie nahe, wie das Katz-und-Maus-Spiel enden wird: Nachdem die entführte Frau vor laufender Kamera erschossen wird, gerät Schnabel selbst in die Fänge des Täters. Die Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkel (Cornelia Gröschel) nehmen die Fährte des Mannes auf, der fest daran glaubt, dass Staat und Polizei gemeinsame Sache machen und nur eins richtig gut können: vertuschen. Die da oben wollen die Kinder doch gar nicht finden. Dass alles hat der Mann (Hans Löw als Michael Sobotta) aus dem Internet, woher sonst. Und da kommt die Katz ins Spiel – aber schauen Sie doch selbst.
Wie in Dresden ermittelt wird, macht in der Regel Spaß, weil Spannung aufkommt, so bald Druck entsteht und die Nerven blank liegen, so auch dieses Mal. Und weil es stimmige Szenen gibt, die emotional nahe gehen. Weil Fragen gestellt, Antworten nahegelegt werden. Weil zwei toughe Frauen ermitteln, die sich über die Mittel und Wege dabei auch gar nicht immer einig sein müssen. Weil auch Kleinigkeiten, etwa die Musikauswahl, passen.
Das hier ist kein normaler Whodunit-Krimi, sondern vielmehr eine Art Kommentar zur Lage der Nation in Spielfilmlänge. Es gibt ja anscheinend immer mehr Menschen in diesem Land, die auf ihr demokratisch verbrieftes Recht auf Meinungsfreiheit pochen und abstruse Behauptungen aufstellen, weil sie im Internet Aufmerksamkeit und damit Klicks und Geld generieren können. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Skrupel. Ohne Scheu.
Ein Satz aus diesem hübsch konstruierten Katz-und-Maus-Spiel bleibt besonders haften: Man muss nur etwas behaupten, was man nicht beweisen kann. Was für ein perfides Geschäftsmodell.
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