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Einen Tasmanischen Teufel in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen, ist eher unwahrscheinlich Foto: Jürgen & Christine Sohns/imago

Tasmanien und seine TeufelScheu und sensibel

Die „Insel unter der Insel“ gilt als Naturparadies für Outdoor-Liebhaber. Typisch ist vor allem der vom Aussterben bedrohte Tasmanische Teufel.

R uhiges Land mit ein paar bunten Sittichen und schwarzen Krähen darüber. Ein Bachlauf mit fauligem Schwemmholz. Links und rechts vom zweispurigen schwarzen Asphaltband: immergrüne Rieseneuka­lyp­tus­bäume, deren Borke sich schält; die Blätter der Tasmanischen Buche beginnen sich langsam in leuchtend rotes, orangefarbenes und goldenes Laub zu verwandeln. Es ist Herbst, aber immer noch heiß und schwül.

Wir sind unterwegs zum „Trowunna Wildlife Sanctuary“, drei Autostunden von Tasmaniens Hauptstadt Hobart entfernt. Am Eingang des 37 Fußballfelder großen Parks im Norden der Insel wartet Androo Kelly und begrüßt uns mit einem Teufel auf dem Arm: gedrungener Körper, kurze Beine, schwarzes Fell und spitze Zähne.

Der vierjährige Micktee scheint entspannt zu sein, schaut interessiert und beschnüffelt die Fremden aus dem fernen Europa. Androo Kelly ist auf Tasmanien eine Kapazität, wenn es um Tasmanische Teufel geht. Auf seiner grauen Kappe prangt das Trowunna-Logo. Der „Tassi“ leitet die Tierstation, die sich vor allem dem Schutz und der Aufzucht dieser Beuteltierart widmet und sie den Touristen näherbringen will.

Der Tasmanische Teufel ist das größte fleischfressende Beuteltier der Welt, seine Beißkraft ist ungeheuerlich und in Relation zur Körpergröße etwa so stark wie die eines Tigers. Der Beutelteufel lebte einst in ganz Australien, heute kommt er nur noch auf Tasmanien vor; er frisst Insekten, Kleintiere – vor allem aber Aas. Micktees Schnauze ist breit und wirkt zu kurz, während sein Kopf, der etwa ein Drittel des gesamten Körpers einnimmt, zu groß aussieht. Wenn er läuft, dann scheint es, als könne er den Schädel kaum gerade halten. Tasmanische Teufel sind hyperaktiv und extrem neugierig.

Plötzlich färben sich Micktees Ohren feuerrot; er ist aufgeregt, erklärt Kelly. Wir nehmen einen unangenehmen Geruch wahr, den Micktees Körper verströmt. Passt ihm etwas nicht, fragen wir uns? Sind wir ihm zu nahe gekommen?

Zu Unrecht ein schlechter Ruf

Einen Tasmanischen Teufel in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen ist eher unwahrscheinlich. Die bis zu 12 Kilogramm schweren und bis zu 60 Zentimeter langen Raubbeutler sind bevorzugt im Dunkeln unterwegs und mit ihrem schwarzen Fell nachts kaum auszumachen. Ihr aggressiv klingendes heiseres Fauchen brachte ihnen einen schlechten Ruf ein – zu Unrecht, erklärt uns Kelly.

Die ersten Europäer ängstigten sich vor dem Beutelteufel, als sie fasziniert das wilde grüne Tasmanien erkundeten und nachts ein wildes Kreischen vernahmen. Als gute Christen glaubten sie, den Herrn der Finsternis höchstpersönlich zu hören. Doch tatsächlich war es nur der kleine Beutelteufel, der nach Sonnenuntergang auf Nahrungssuche war.

Auch die britischen Kolonialisten Anfang des 19. Jahrhunderts fürchteten sich vor dem Kreischen der Tasmanischen Teufel und betrachteten sie fälschlicherweise als Hühnerdiebe, denen mit Fallen und Gift nachgestellt wurde – mit dem Ergebnis, dass sie die Spezies fast ausgerottet hätten. Heute ist der Tasmanische Teufel über alle Ländergrenzen hinweg ein Begriff. Zu seiner Bekanntheit trug auch Hollywood bei, das den Beutelteufel auf Zelluloid bannte und in die Wohnzimmerlagerfeuer des 21. Jahrhunderts brachte: das Fernsehen.

Natürliches Habitat des größten fleischfressenden Beuteltiers der Welt in Tasmanien, Australien Foto: Ardea/imago

Androo Kelly berichtet von einem Mythos der tasmanischen Aborigines: Poirina, so heißt der Beutelteufel in der Sprache der indigenen Bevölkerung, sorgte für großen Kummer unter allen Tieren. Er war schwarz wie die Nacht und stahl im Dunkeln die wehrlosen Babys der anderen Tiere. Diese beklagten sich bei den guten Mächten. Und die befanden, dass Poirina nicht ungeschoren davonkommen dürfe. Moinee, der Schöpfergott und Gott Tasmaniens, gab den Beutelteufeln zur Strafe kurze Beine, einen weißen Streifen auf den Rücken und einen weißen Fleck auf der Brust. So konnte Poirina die Dunkelheit der Nacht nicht mehr zur Tarnung nutzen.

Infos

Trowunna Wildlife Park ist ein etwa 26 Hektar großes Naturschutzgebiet im Norden Tasmaniens. Er ist täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Infos: www.trowunna.com.au

Devils@Cradle Der Wild Life Park im Norden Tasmaniens zieht Beutelteufel auf und wildert sie aus. Öffnungszeiten: täglich von 9.30 bis 17 Uhr, Infos: www.devilsatcradle.com

Schlimmer noch, dem Beutelteufel wurde seine vormals liebliche Stimme genommen; stattdessen kann man von Weitem sein Schreien, Fauchen und Knurren vernehmen, wenn er sich mit anderen um seinen Anteil an der Beute streitet. Denn von nun an musste Poirina die Erde säubern, indem er nur noch das Aas verendeter Tiere fressen durfte.

Mit der Ankunft der britischen Kolonialisten und Strafgefangenen 1803 wurde der Lebensraum der tasmanischen Aborigines annektiert und verwüstet, die Urbevölkerung ausgebeutet, christianisiert, deportiert – und ermordet. Ein knappes Jahrhundert nach ihrer Entdeckung durch die Engländer galten die Tasmanier als vollständig ausgerottet. Die Angaben über ihre ursprüngliche Anzahl schwankt zwischen 3.000 und 15.000. Die Natur, die Tiere und ihr Lebensraum waren den tasmanischen Aborigines heilig.

Wer den Konflikt zwischen britischen Kolonialisten und der tasmanischen Urbevölkerung verstehen will, der muss sich vor allem eines vergegenwärtigen: Beide Seiten hatten eine diametral entgegengesetzte Einstellung zu dem Land, das die einen seit 35.000, die anderen hingegen erst seit gut 200 Jahren bewohn(t)en. Das sagt Warren Mundine: „Als die Briten hier ankamen und später die Siedler, hatten sie eine simple Vorstellung von dem Land: dass es dazu da war, erobert und ausgebeutet zu werden.“

Der Katholik vom Clan der Bundjalung ist Politiker und Berater mehrerer Premierminister seines Landes, Wirtschaftsexperte und Aushängeschild diverser Hilfsorganisationen: „Während das Land für die Aborigines vor allem eines ist: heiliges Land. Es ist für uns wie eine Mutter, die uns seit Tausenden von Jahren behütet und ernährt hat. Das sind einfach komplett unterschiedliche Vorstellungen von der Erde.“

Im Trowunna Wildlife Sanctuary beginnt Micktee langsam zu knurren. Auf uns mag das aggressiv wirken, erklärt Androo Kelly, aber das sei es überhaupt nicht, sondern vielmehr eine ganz normale, entspannte Kommunikation. Kelly ist und war so ziemlich alles: Erlebnispädagoge, Wildnisexperte, Spezialist und Retter der Tasmanischen Teufel. Der schlanke, groß gewachsene Endfünfziger mit Rauschebart und langen Haaren ist heute Direktor des 1979 gegründeten Wildlifeparks im Norden Tasmaniens. Ganz in der Nähe liegt der berühmte Cradle Mountain National Park.

Umgeben von Eukalyptuswald und Weidelandschaft ist die Tierstation ein Zufluchtsort für Tasmanische Teufel. Denn die Spezies ist stark gefährdet. 1996 wurde erstmals die Beutelteufel-typische Gesichtskrebserkrankung dokumentiert. „Eine niederländische Fotografin hatte das infizierte Tier im Nordosten Tasmaniens aufgenommen“, so Kelly. „Der erste veterinärmedizinisch dokumentierte Fall stammt von 2003 – in einem Gebiet unweit der Freycinet-Halbinsel an der Ostküste.“

Die Beißkraft des Tasmanischen Teufels ist ungeheuerlich Foto: Danita Delimon/imago

Bei der „Tasmanian Devil Facial Tumour Disease“ werden Tumorzellen durch Bisse und anschließend durch Speichel von einem Tier auf das nächste übertragen. Normalerweise breiten sich Krebszellen nur im eigenen Körper aus: Dann wachsen Metastasen zum Beispiel in der Lunge, im Gehirn, in der Leber oder in den Knochen. Doch der Krebs der Tasmanischen Teufels macht eine Ausnahme: Er ist ansteckend, allerdings nur für die Spezies selbst. Menschen oder andere Tierarten werden nicht infiziert. Durch diesen Gesichtskrebs werden die Tasmanischen Teufel grässlich entstellt.

Viele Tiere verenden qualvoll, weil sie wegen der Geschwulste in Mund und Rachen nicht mehr fressen können, erklärt Anne van der Bruggen, die im Wildlife Park Devils@Cradle als Rangerin arbeitet. „In den letzten zwanzig Jahren sind 80 bis 90 Prozent der Tasmanischen Teufel verendet.“ Heute zählt der Beutelteufel zu den vom Aussterben bedrohten Tierarten.

Roadkill ist in Australien ein riesiges Problem – Beutelfeufel sind als Aasfresser doppelt gefährdet Foto: blickwinkel/imago

Wildlife Parks wie Devils@Cradle und Trowunna widmen sich der Aufzucht gesunder Tiere und können etliche Erfolge bei ihrer Auswilderung vorweisen. In Europa sind Aufzuchtprogramme umstritten. Das Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert sorgte dafür, dass sich Zoos langfristig von Orten des Zur-Schau-Stellens zu Stätten der Wissenschaft wandelten.

Gelehrte forderten, die Leitung von Zoos und Tiergehegen in die Hände fähiger Naturwissenschaftler zu legen – auch um beispielsweise Artenkreuzungen voranzutreiben. Damit war der Grundstein für die Zucht von Tieren in Zoos gelegt. Allerdings waren die Lebensbedingungen der Zootiere bis weit ins 20. Jahrhundert oft so schlecht, dass Verhaltensstörungen auftraten und viele Tiere nicht lange im Zoo überlebten.

Überall am Straßenrand liegen tote Kängurus, Possums, Wombats und Beutelteufel

Diesem Vorwurf sehen sich Zoos auch heute noch ausgesetzt. Und mehr noch: Der Mensch sorgt mit seinem Verhalten selbst dafür, dass Tierarten in der freien Natur vom Aussterben bedroht sind, resümiert van der Bruggen: „In Tasmanien werden jeden Tag viele Tiere auf den Straßen überfahren; Roadkill nennen wir dieses Phänomen. Damit einher geht die Frage: Tun wir das Richtige, wenn wir gesunde Beutelteufel auswildern? Können sie überhaupt überleben? Ich denke: ja, weil das Zuchtprogramm sehr erfolgreich ist und wir damit sicherstellen, dass der Tasmanische Teufel eine Zukunft hat.“

Tote Tierkadaver

Auch auf unserer Fahrt haben wir ständig tote Tierkadaver gesehen – ein Massentöten, das zum tasmanischen Alltag gehört. Roadkill ist Down Under Down ein riesiges Problem. Überall am Straßenrand liegen tote Kängurus, Possums, Wombats und Tasmanische Teufel. Laut offiziellen Statistiken werden knapp 300.000 Tiere jährlich überfahren, und die Beutelfeufel sind als Aasfresser doppelt gefährdet, denn sie überqueren nicht nur nachts die Straßen, sondern nehmen die getöteten Tiere als dankbare Nahrungsquelle an. Wird das angefahrene Tier nicht zur Seite geräumt, ist der Beutelteufel schnell das nächste Roadkill-Opfer.

Tasmanische Teufel leben seit über 600 Jahren auf Down under Down. Seit dem Jahr 1941 steht der Beutelteufel unter Schutz. Derzeit arbeiten Wissenschaftler an einem Impfstoff gegen den Gesichtskrebs. Rettungsprogramme wurden aufgelegt, und jeder Souvenirladen Tasmaniens wirbt mit kleinen plüschigen Stoffteufeln. Androo und sein Team haben eine eigenes Auswilderungsprogamm entwickelt. Jungtiere, deren Mütter überfahren wurden, finden mit etwas Glück über Tierärzte und Parkranger in Trowunna ein neues Zuhause. Am Anfang erhalten sie Zuwendung, Streicheleinheiten und eine eigens auf sie abgestimmte Milchmischung. Streicheleinheiten, sagt Kelly, seien von großer Bedeutung, denn so werde das Immunsystem der Beutelteufel gestärkt. In dieser Phase sind die Jungtiere sehr menschenorientiert.

Wenn die Beutelteufel älter werden und in die Pubertät kommen, werden sie unabhängig. Dann ziehen sie in ein größeres Gehege mit altersgleichen Artgenossen um. Tasmanische Teufel sind Einzelgänger, aber sie kommen auch in kleinen Gruppen zurecht. In dieser Phase beschränkt sich der menschliche Kontakt lediglich auf die Fütterung. Hier lernen die Youngster, sich um ihr Fressen zu balgen. Dieses Stadium bezeichnen die Tierschützer als „soft release“ – als sanften Übergang in die Freiheit: Auf behutsame Art sollen die Tiere wieder an das Leben ohne Menschen in ihrer natürlichen Umgebung gewöhnt werden. All das kann man in den 32 Gehegen von Trowunna besichtigen.

Wie die „Beutelteufel-typische Gesichtskrebserkrankung“ überhaupt entstehen konnte, dafür hat Tierexperte Androo Kelly eine eigene Erklärung, die auf seinen Beobachtungen fußt: Tiefgreifende Umwelt- und Klimaveränderungen hätten zu einem problematischen Fressverhalten geführt. Um die Jahrtausendwende habe es auf Tasmanien viel Regen gegeben, pflanzenfressende Tiere wie Wombats, Wallabys und Kängurus vermehrten sich sprunghaft und dementsprechend auch die Tasmanischen Teufel, die sich vornehmlich von deren Kadavern ernährten. Die Zahl der Beutelteufel nahm ungebremst zu. Dann aber folgte eine Phase großer Trockenheit: „Und was passierte daraufhin? Plötzlich gab es nicht mehr ausreichend Futter, also Aas für die Tasmanischen Teufel.“

Dies führte zu neuen Verhaltensweisen – verbunden mit mehr Konkurrenz, Rivalität und Aggressivität unter den Beutelteufeln. Das wiederum verursachte eine Menge Stress. „Und was geschieht, wenn man fortwährend unter Stress steht? Das Immunsystem wird geschwächt. Das ist also eine mögliche Erklärung: Der Tumor fungiert als ein Mechanismus zur Kontrolle der Populationsgröße.“

Forschungen mit künstlich infizierten, aber nicht gestressten Tasmanischen Teufeln konnten belegen, dass diese nicht erkrankten und keine Tumorzellen entwickelten. Vielleicht gelingt es der Tierart auch, ohne Zuchtprogramme oder Impfstoffe zu überleben: Bereits 2016 kamen Forscher zu dem Schluss, dass die Tasmanischen Teufel womöglich selbst eine Waffe gegen den Krebs besitzen.

Resistenzgene im Erbgut

Die Wissenschaftler interessierte dabei besonders das Erbgut der Beutelteufel, die die Krebsepidemie in ihrem Lebensraum überlebt hatten. Sie fanden unter Angehörigen mehrerer Populationen einige genetische Merkmale, die den Tieren eine Resistenz gegen den ansteckenden Tumor verleihen.

In dieselbe Richtung weist die neueste veröffentlichte Studie der Washington State University hin: Danach führte eine einzige genetische Mutation zu einem verringerten Tumorwachstum des übertragbaren Karzinoms bei Tasmanischen Teufeln. Untersucht wurde das Erbgut in Fällen der Gesichtskrankheit, die sich spontan zurückbildeten – das heißt, der Krebs verschwand von selbst. Die zur sogenannten Tumorregression beitragende Mutation veränderte die Genfunktion nicht, sondern aktivierte vielmehr ein Gen, das das Zellwachstum im Tumor verlangsamte – zumindest unter Laborbedingungen.

Die Ergebnisse könnten auch den Menschen im Kampf gegen Krebs einmal helfen. Aktuelle Krebstherapien beim Menschen konzentrieren sich darauf, alle Spuren eines Tumors zu entfernen – entweder durch operative Eingriffe oder hochtoxische Chemotherapien. Wenn es aber Möglichkeiten gäbe, darauf zu verzichten, wäre dies ein großer Fortschritt – mit erheblichen körperlichen Erleichterungen für die Patienten.

Am Ende des Besuchs ist Androo Kelly vor allem eine Botschaft wichtig: Entgegen ihrem Namen sind Beutelteufel eine ruhige Spezies, sie sind vor allem Einzelgänger, leben relativ friedlich nebeneinander und vermeiden Konfrontation. Beim Fressen werden sie allerdings „gesellig wie Geier“, deren ökologische Funktion sie auf Tasmanien ausfüllen: „Mir geht es darum, die andere Seite des Tasmanischen Teufels zu zeigen. Er ist ein sehr scheues, ja sensibles Tier.“

Beutelteufel sind Spezialisten, wenn es gilt, Konfrontationen zu vermeiden. Die Tiere sind in einer Notlage und leiden an einer schrecklichen Tumorkrankheit. „Wir müssen erkennen, dass unsere tasmanische Identität mit diesem Tier verknüpft ist.“

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