Tarifvertrag in der Fleischindustrie: Fleischindustrie reagiert wurstig

Bei Betrieben der Zur-Mühlen-Gruppe wurden die Tarifverträge aufgekündigt. Damit könnten sich bald bundesweit schlechte Arbeitsverträge durchsetzen.

Beschäftigte in Fleischfabrik umringt von Bockwürstchen

Foto: Jens Büttner/dpa

HAMBURG taz | Kündigen Fleischfabrikanten Tarifverträge, um eine Zwei-Klassen-Belegschaft in der Fleischindustrie zu erhalten? Das zumindest befürchtet die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Beim Fleischverarbeiter Könecke in Delmenhorst sowie in drei weiteren Betrieben im Norden, die ebenfalls zur Zur-Mühlen-Gruppe gehören, sollen künftig Arbeitsverträge mit deutlich schlechteren Konditionen durchgesetzt werden als es sie bislang für Beschäftigte gab.

Die NGG sieht darin den Versuch der Fleisch­industrie, nach dem Verbot von Werkverträgen, das seit dem 1. Januar gilt, einen Präzedenzfall für einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag mit schlechten Konditionen zu schaffen.

Die Geschäftsführung von Könecke in Delmenhorst, wo jährlich etwa 278.000 Tonnen Fleischprodukte herstellt werden, hatte zum Jahresende den geltenden Manteltarifvertrag aufgekündigt. Zwar habe sie Verhandlungen mit der Gewerkschaft für einen neuen Tarifvertrag zugestimmt.

Doch soll ihr Angebot für einen neuen Tarifvertrag weit unter dem Niveau der bisherigen Regelungen liegen. „Die Geschäftsführung will Arbeitsbedingungen auf niedrigstem Niveau vereinbaren“, sagt Moritz Steinberger von der NGG.

Reaktion auf Verbot von Werkverträgen

Das gleiche Problem gebe es in drei weiteren Betrieben, die ebenfalls zur Zur-Mühlen-Gruppe gehören: Betroffen sind auch die Angestellten in zwei Betrieben der schleswig-holsteinischen Böcklunder Fleischwarenfabrik sowie bei Schulte Fleisch- und Wurstwaren in Dissen (Landkreis Osnabrück). Auch dort gab es bis zum Jahresende Tarifverträge, die von den Geschäftsführungen gekündigt wurden.

Aus Sicht der NGG reagiert der Konzern damit auf das Verbot von Werkverträgen. Seit Anfang des Jahres sind durch das sogenannte Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) durchgesetzt hatte, Werkverträge in der Fleischindustrie verboten. Ab dem 1. April soll zudem in den Betrieben die Leiharbeit untersagt sein – mit einer auf drei Jahre befristeten Ausnahmeregelung, um Auftragsspitzen abzufangen.

Bei Könecke waren neben rund 430 Beschäftigten mit Tarifvertrag rund 350 Ar­bei­te­r:in­nen mit Werkvertrag beschäftigt. Letzteren muss Könecke künftig einen ordentlichen Arbeitsvertrag geben – offenbar aber nicht zu den Bedingungen, die bislang mit dem Tarifvertrag galten.

„Der Konzern will eine Zwei-Klassen-Belegschaft mit oder ohne Tarif fortsetzen“, kritisiert Moritz Steinberger: Auf der einen Seite Beschäftigte, für die der vergleichsweise gute Tarifvertrag vorerst weiterlaufe, auf der anderen Seite die vormals mit Werkvertrag Beschäftigten, für die sich kaum etwas bessern würde.

Komme es nicht zu einem Tarifvertrag, könnte der Betrieb auch eigenmächtig Arbeitsverträge mit Beschäftigten, vorbei an der Gewerkschaft, abschließen. Durchgesetzte Rechte für langjährig Beschäftigte, etwa bei der Entlohnung für Überstunden oder beim Wochenendzuschlag, seien dann passé.

Langjährig Beschäftigte nichts zu befürchten?

Die Zur-Mühle-Gruppe kann die Aufregung der NGG nicht verstehen. Ziel der Aufkündigung der Tarifverträge sei lediglich, eine einheitliche Tarifstruktur zu schaffen. „Wir sind durchaus überrascht, da wir in den Gesprächen mit der NGG gerade für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag arbeiten“, sagt deren Sprecher André Vielstädte.

Daneben setze sich der Konzern zusätzlich dafür ein, dass die Beschäftigten mit langer Betriebszugehörigkeit bei einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag „ihren Besitzstand wahren“.

Der Konzern mit Hauptsitz in Böklund ist eines der größten Unternehmen der Fleisch- und Wurstbranche in Europa.

Mit über 4.000 Mitarbeiter:innen produziert der Konzern jährlich mehr als zwei Milliarden Packungen und Konserven mit Fleischprodukten.

Ab 2014 war der Fleischfabrikant Clemens Tönnies Alleininhaber des Konzerns. Die schlechten Arbeitsbedingungen in Tönnies‘ Betrieben waren mitursächlich für das durchgesetzte Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie.

2017 hat die Unternehmensgruppe Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück die Zur-Mühlen-Gruppe übernommen. Vorangegangen war ein Streit in der Familie Tönnies, der damit befriedet werden sollte.

Doch dass langjährig Beschäftigte nichts zu befürchten haben, glaubt Steinberger nicht. Er geht davon aus, dass das Unternehmen die besser entlohnten Altbeschäftigten kaum auf Dauer wird halten wollen. „Wenn sich schlechtere Arbeitsverträge durchsetzen, dürften künftige Einsparungen wohl zuerst zu Lasten der älteren Beschäftigten vorgenommen werden“, sagt Steinberger.

Nicht nur deshalb kündigt die Gewerkschaft an, in den kommenden Wochen bei Könecke mit Streiks in den Arbeitskampf zu ziehen: Aus Sicht der NGG hat der Konflikt auch bundesweit Bedeutung. „Ein lokaler Tarifvertrag könnte zum Präzedenzfall für einen bundesweiten Tarifvertrag werden“, sagt Steinberger. Denn einen Tarifvertrag will auch die Arbeitgeberseite in der Fleischindustrie seit Kurzem unbedingt.

Das hatte der Fleischbaron Clemens Tönnies, dessen Holding die Zur-Wiesen-Gruppe besitzt (siehe Kasten), bereits im vergangenen Herbst deutlich gemacht. Ziel sei es, in der gesamten Fleischbranche in Deutschland einen ordentlichen tariflichen Mindeststandard zu schaffen. „Damit bekommen wir Wettbewerbsgleichheit, zumindest im deutschen Markt“, begründete Clemens Tönnies im vorigen September den Vorstoß für eine natio­nale Regelung.

Aus Gewerkschaftssicht gibt es prinzipiell nichts einzuwenden gegen einen bundesweiten Tarifvertrag. Skeptisch ist die NGG jedoch, ob die Fleischindustrie an für die Beschäftigten guten Arbeitsverträge interessiert ist.

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