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Tarifverhandlungen bei CFMDie verlorene Tochter

Die Beschäftigten des Charité-Tochterunternehmens verdienen deutlich weniger als beim Mutterkonzern. Verdi will eine Angleichung erstreiken.

Haben keine Lust mehr, auf Versprechungen zu warten: CFM-Mitarbeitende beim Warnstreik am 6. März Foto: Ilkin Eskipehlivan | Anadolu

Berlin taz | „Natürlich habe ich keinen Bock, ein Krankenhaus zu bestreiken“, sagt Marcel. Der Dreißigjährige möchte seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen, arbeitet seit zwei Jahren als Kältetechniker an der Charité, sorgt dafür, dass Klimaanlagen für die Intensivstationen und Kühlsysteme für empfindliche Medikamente unterbrechungslos funktionieren. „Aber es gibt Kolleginnen, die sich die Miete nicht mehr leisten können.“

Marcels täglicher Arbeitsort ist die Charité, beschäftigt ist der Kältetechniker aber bei einem Tochterunternehmen des landeseigenen Krankenhauskonzerns, der Charité Facility Management (CFM). Die Beschäftigten der CFM werden deutlich schlechter bezahlt als ihre Kol­le­g:in­nen beim Mutterkonzern. Deswegen fordert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in den aktuell laufenden Tarifverhandlungen eine Angleichung.

Auch die letzte Verhandlungsrunde am Montag brachte keinerlei Fortschritte. Obwohl es schon der dritte Termin war, habe die Arbeitgeberseite kein konkretes Angebot vorgelegt, berichtet Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer: „Es gibt eine absolute Verweigerungshaltung der Chefetage.“

Verdi fordert eine volle Eingliederung der CFM-Beschäftigten in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvÖD), der auch für die Pfle­ge­r:in­nen der Charité gilt. Doch die Unterschiede sind teilweise beträchtlich. Verdi selbst beziffert den Gehaltsunterschied zum TvÖD auf durchschnittlich 20 Prozent. Die Unternehmensleitung spricht sogar von Lohnkostensteigerungen von mehr als 40 Prozent, sollte sich Verdi mit der Forderung durchsetzen.

Warnstreik: Müllabfuhr fällt bis Wochenende aus

Anfang dieser Woche startete der Warnstreik bei der Berliner Stadt­reinigung. Bis einschließlich Freitag sollen die Restabfall- und Biogut-Tonnen sowie die Wertstofftonnen nicht geleert werden, wie die Berliner Stadtreinigung (BSR) mitteilte. Nachgeholte Leerungen der Mülltonnen am Samstag sind demnach nicht geplant. „Die Entsorgung erfolgt erst wieder beim nächsten regulären Abfuhrtermin“, hieß es. Bis einschließlich Samstag bleiben zudem alle 14 Recycling­höfe der BSR geschlossen.

Die Gewerkschaft Verdi hatte die Beschäftigten der Berliner Stadt­reinigung zum Warnstreik auf­gerufen. Laut BSR sind wegen der Warnstreiks in dieser Woche bei der Straßen­reinigung „er­hebliche Einschränkungen“ zu erwarten. (dpa)

Verhandlungen festgefahren

Gehaltserhöhungen in der Höhe würden zu einer „Existenzgefährdung der CFM“ führen, sagt Geschäftsführerin Juliane Kaufmann bei einem Pressegespräch am Donnerstag.

Die rund 3.500 CFM-Beschäftigten erledigen in der Charité alle Aufgaben, die nicht Teil der direkten Krankenversorgung sind: Reinigung, Sicherheit, Krankentransport, Sanitär- und Hausmeisterdienstleistungen, Sterilisierung von medizinischem Gerät und noch vieles mehr. „Das sind Kolleginnen und Kollegen des Krankenhauses, keine externen Dienstleister“, sagt Neunhöffer. Sie als schlechter qualifizierte Mitarbeiter zweiter Klasse darzustellen, wie es die ungleiche Bezahlung nahelegt, sei ein „Schlag ins Gesicht für die Kolleginnen“.

Das Unternehmen argumentiert, es würde vergleichsweise gute Löhne zahlen: „Derzeit liegt der Entgelttarifvertrag der CFM im Vergleich, beispielsweise in der Reinigung, Sicherheit und Catering über dem Branchentarif“, sagt Geschäftsführerin Kaufmann.

Doch für Gewerkschaftssekretärin Neunhöffer hinkt der Vergleich: „Krankenhausreinigung ist nicht nur Besenschwingen im Büro, das ist Desinfektion, Blut, Schweiß, Kot und Erbrochenes.“

Überbleibsel aus Sparjahren

Kältetechniker Marcel berichtet, dass es aufgrund der im Unternehmen weitverbreiteten Teilzeit es sogar Kol­le­g:in­nen gäbe, die am Ende des Monats kaum noch genug Geld zum Essen hätten. „Wenn du 1.600 Euro bekommst und 1.000 Euro für Miete draufgeht, bleibt da nicht mehr viel.“

Das Tochterunternehmen ist ein Überbleibsel aus den Sparjahren der 2000er Jahre. Damals sollte der Betrieb der landeseigenen Krankenhäuser kosteneffizienter gestaltet werden. Eine Maßnahme war, die Aufgaben der CFM, die zuvor von rund 200 externen Kleinfirmen erbracht worden sind, in einem Unternehmen zu bündeln.

2006 gründete der Senat zusammen mit einem Konsortium privater Großkonzerne die CFM. Das Lohnniveau orientierte sich schon damals am untersten Ende der Lohnskala, die Arbeitsbedingungen standen oft in der Kritik.

Rund 1.000 Mitarbeitende wurden damals aus der Charité ausgelagert und erstritten erfolgreich weiterhin nach TvÖD bezahlt zu werden. Die Regelung galt allerdings nicht für Nachbesetzungen, wodurch von diesen 1.000 TvÖD-Beschäftigten nur noch 250 in der CFM arbeiten. So ist es weiterhin der Fall, das Kol­le­g:in­nen für die gleiche Arbeit im gleichen Unternehmen sehr unterschiedliche Gehälter bekommen. „Teilweise bekommt jemand 700 Euro mehr für die gleiche Tätigkeit“, erzählt Marco.

Schon 2016 versprach der damals Rot-grün-rote-Senat die Wiedereingliederung des Tochterunternehmens in die Charité. 2019 übernahm Berlin zumindest die Anteile des privaten Konsortiums, eine Angleichung der Löhne erfolgte jedoch nicht.

Gebrochene Versprechen

Die versprach allerdings Kai Wegner, die CFM solle „schnellstmöglich“ Teil der Charité werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Doch passiert ist seitdem wenig. Die Senatsverwaltungen gründete eine verwaltungsübergreifende Arbeitsgruppe, die Wege zur Wiedereingliederung diskutieren sollte. Deren Abschlussbericht stellte die Kommission vor wenigen Wochen fertig, nur veröffentlicht wurde er nicht. Auf eine Anfrage der taz reagierte die Senatsverwaltung nicht.

Schmerzhaft deutlich wurde der Wortbruch, als den Charité- und Vivantesbeschäftigten 2023 ein Inflationsausgleich von 3.000 Euro ausgezahlt wurde – die CFM-Mitarbeiter:innen aber mit 115 Euro abgespeist wurden. „Das alles führt dazu, dass wir uns mittlerweile nur noch verarscht vorkommen“, sagt Marcel.

„Der Senat duckt sich weg“, kritisiert Gewerkschaftssekretärin Neunhöffer. Aber die Beschäftigten seien nicht bereit, länger auf die Versprechungen zu warten. Verdi kündigte den laufenden Tarifvertrag zum Jahresanfang und will die Lohnangleichung durch Arbeitskampf erstreiten.

In der vergangenen Woche gab es bereits einen Warnstreik. Auch einen unbefristeten Streik schließt Verdi nicht aus, sollte sich in der nächsten Verhandlungsrunde am 25. März wieder nichts bewegen.

Unterstützung dafür kommt aus der Zivilgesellschaft. Die Bündnisse „Berlin steht zusammen“ und „Gesundheit statt Profite“ sammeln gerade mit einer Spendenkampagne Geld, um die Streikenden zu unterstützen. Denn die Bezahlung sei derzeit so niedrig, dass viele Kol­le­g:in­nen mit dem Streikgeld nicht lange zurechtkämen, sagt CFM-Mitarbeiter Marcel.

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