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Tarifexperte zu Mindestlohn-Debatte"Die Niedriglöhne fressen sich weiter"

Die Ausweitung von Mindestlöhnen über das Entsendegesetz löst das Niedriglohnproblem nicht, so Reinhard Bispinck vom WSI. In vielen Branchen greift das Entsendegesetz nicht.

Mit Riesenplakaten wirbt der DGB in Berlin für Mindestlöhne Bild: dpa

taz: Herr Bispinck, heute treffen sich Spitzenleute von CDU und SPD, um die Mindestlöhne zu diskutieren. Wird es sie in weiteren Branchen geben?

Reinhard Bispinck: Ja, in einigen wenigen Branchen könnte es klappen, Mindestlöhne festzusetzen. Interesse haben ja das Wach- und Sicherheitsgewerbe und die Entsorgerbranche angemeldet. In anderen Wirtschaftszweigen ist die Frage, ob sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf einen akzeptablen Lohn einigen können, der über das Entsendegesetz allgemeinverbindlich gemacht werden kann. Aber dies wird das Problem der Niedriglöhne nicht lösen.

Warum nicht?

Es gibt zwei Hemmnisse: Über das Entsendegesetz, das ja ursprünglich Lohndumping ausländischer Firmen verhindern soll, lassen sich nur Mindestlöhne einführen, wenn für mindestens die Hälfte der Beschäftigen ein Tarif gilt. Leider sind es oft viel weniger, zum Beispiel in der fleischverarbeitenden Industrie. Außerdem sind in einer Reihe von Branchen sogar die Tariflöhne so niedrig, dass es nichts bringt, sie als Mindestlohn zu verallgemeinern. Ein Wachmann, der 4,50 Euro verdient, kann davon kaum leben - egal ob man dies nun Tarif oder Mindestlohn nennt.

Ziel der SPD ist, gegen den Widerstand der CDU einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Ist das realistisch?

Ich glaube: ja. Der Druck in der Gesellschaft ist zu groß. In allen Umfragen spricht sich eine große Mehrheit der Bevölkerung für Mindestlöhne aus - trotz des ideologischen Trommelfeuers von Arbeitgebern und marktradikalen Ökonomen.

Die IG Metall fürchtet Mindestlöhne, weil sich Unternehmen dann ohne schlechtes Gewissen aus dem Tarif verabschieden können. Zu Recht?

Nein. Natürlich ist es besser, wenn starke Gewerkschaften angemessene Gehälter alleine durchsetzen. Aber was macht man in Branchen wie dem Hotel- und Gaststättengewerbe, in denen die Beschäftigten oft den Job wechseln und vielleicht nur fünf oder zehn Prozent in der Gewerkschaft sind? Hier sind Gehaltsuntergrenzen nötig, unterhalb derer keiner arbeiten darf.

Hinter der Äußerung des IG Metallers steckt die Furcht, Macht zu verlieren.

Ich sehe das genau umgekehrt: Ein gesetzlicher Mindestlohn etwa von 7,50 Euro ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Gewerkschaften die Lohngruppen darüber wieder aktiv gestalten können. Die Grenze nach unten verschafft mehr Verhandlungsmacht. Ich bin sicher: Wenn der Staat nicht eingreift, fressen sich Niedriglöhne in immer mehr Branchen hinein.

Mindestlöhne vernichten Jobs, entgegnen Arbeitgeber. Ist das im Baugewerbe passiert, wo es Mindestlöhne bereits gibt?

Nein. Eine aktuelle Studie belegt für die westdeutsche Bauindustrie, dass ein Mindestlohn von über 12 Euro Beschäftigung nicht gefährdet, sondern sogar gefördert hat. Auch da, wo Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt wurden, gibt es keinerlei Nachweis für negative Effekte.

Die Firmen können sich trotz höherer Löhne halten?

Ja. In anderen Ländern wurde die Wirkung intensiv erforscht: In Großbritannien wurde seit 1999 ein Mindestlohn in einer Phase des Aufschwungs eingeführt, der schrittweise stark angehoben wurde - und der Arbeitsmarkt hat ihn hervorragend verkraftet.

Strahlen Mindestlöhne auch auf höhere Gehälter aus?

Natürlich profitieren zunächst die Niedriglöhner. Aber es gibt auch Sogeffekte, das belegt das britische Beispiel: Manche Arbeitgeber legen Wert darauf, über dem Mindestlohn zu zahlen. Die Firmen konkurrieren ja um gut ausgebildete Kräfte.

INTERVIEW: ULRICH SCHULTE

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