Tanz von Trisha Brown in Berlin: Wenn die Zeit rückwärts läuft
Von der radikalen Avantgarde zum leisen Abschied: Die Trisha Brown Company aus New York zeigte in Berlin zum letzten Mal frühe Stücke.
Was für ein fröhlicher Abschied! Leicht, flirrend und verspielt sind die vier Tanzstücke, mit denen die Trisha Brown Company aus New York in der Akademie der Künste in Berlin gastiert. Beinahe scheinen die Tänzer zu fliegen, werden gehoben und durch die Luft geschoben, steigen über Knie und Schultern der anderen aufwärts und abwärts.
Hier trat Trisha Brown vor beinahe vierzig Jahren das erste mal in Deutschland auf, als ihre radikal reduzierte Tanzsprache als Körper gewordene Skultptur vor allem bildende Künstler begeisterte. Eingeladen hatte sie damals schon Nele Hertling, die auch jetzt wieder Initiatorin des Gastspiels ist. Kommendes Jahr wird Trisha Brown achtzig Jahre alt, neue Stücke choreografieren kann sie seit ein paar Jahren nicht mehr. Deshalb zeigt ihre Company 2015 einige frühen Stücke zum letzten Mal auf der Bühne, um sie danach nur noch in Museen oder site specific Situationen aufzuführen. Sicher keine einfache Entscheidung.
Wie gut ihre Arbeiten aber in den Kontext der künstlerischen Aufbrüche der frühen siebziger Jahre in New York eingebettet sind, wird auch in den Filmausschnitten klar, die im Foyer der Akademie noch bis zum Ende des Gastspiels am 26. April zu sehen sind. Tänzer umkreisen Bäume an einem Seil; sie erproben, sich zu halten, auf der Straße; ein Tänzer gar läuft in die Waagerechte gekippt die Fassade eines Hochhauses herab.
Gekippt, gedreht, gefaltet
An der Schnittstelle zum öffentlichen Raum entstanden so Erkundungen eines Bewegungsvokabulars, das teils ungeheuer einfach war, wie gehen, stehen, liegen, das aber, aus der Senkrechten gekippt, der Auftakt zur Entwicklung komplexer Choreografien war, die sich mit Verschiebungen, Drehungen, Kippen vielfach ausdifferenzierten.
„Everyone reverse“, die letzte Sequenz rückwärts tanzen, ruft einer der Tänzer in „Solos Olos“ (von 1976) seinen Kollegen zu. Was nach trockener technischer Anweisung klingt, entfacht Bewegungswitz und Konzentration, der wie ein Funke von den jungen Tänzern auf das Publikum überspringt. Als ob die Zeit selbst plötzlich rückwärts laufen könnte. Dass Strukturen keine bloße Formen sind, sondern Modelle sozialer Regelwerke, macht den Tanz so spannend.
Etwas hört auf. Etwas anderes fängt an. Trisha Browns Kunst lebt von solch klaren Setzungen. Die frühen Tänze ab jetzt im Kontext der Kunst zu zeigen und sich der Historisierung zu stellen, ist solch eine Entscheidung, die bei aller Wehmut auch mutig anmutet. Man muss die Company dafür bewundern.
Etwas hört auf, etwas anderes fängt an. Wie schwer das doch oft zu akzeptieren ist; die Gedanken schweifen in der Berliner Aufführung ab zu der Aufregung um Chris Dercon, den designierten Intendanten der Volksbühne in Berlin ab 2017. Der leise Rückzug von Trisha Brown wirkt da aufeinmal wie ein Symbol, sich von den alten Avantgarden zu verabschieden.
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