Tagebuch aus der Ukraine: Vorurteile, die auch der Krieg bestehen lässt
Kateryna Mykhalko ist Managerin in der Rüstungsindustrie. An ihrer Arbeit gibt es keine Kritik. Aber sie ist 24 Jahre alt, und sie ist eine Frau.
M itten im Krieg wird in der von russischen Raketen und Drohnen zerrütteten Ukraine wird über die Top-Managerin eines der größten privaten Rüstungsunternehmen diskutiert. Eine ganze Reihe bekannter Politiker und Blogger stellen die Fähigkeit von Kateryna Mykhalko infrage, effektiv im Bereich des Waffenexports zu agieren. Grund: Sie ist eine 24-jährige Frau. Es ist also nichts anderes als Sexismus und Altersdiskriminierung.
Mykhalko ist CEO von Technological Forces of Ukraine. Das ist ein Zusammenschluss von über 20 privaten Unternehmen, die Drohnen, Kommunikationssysteme, Mittel zur elektronischen Kriegsführung, Software, Artilleriesysteme und Kamikaze-Drohnen herstellen. Vor dieser Tätigkeit hatte Michalko Start-ups gegründet und geholfen, in der Ukraine eine Rüstungsindustrie auszubauen.
All das hinderte Politiker und Blogger – einige von ihnen gelten in der Ukraine als pro-russisch – nicht daran zu behaupten, dass Michalko aufgrund ihres jungen Alters und angeblich mangelnder Erfahrung nicht die Leitung dieses Firmenzusammenschlusses übernehmen sollte, der die Armee mit modernster Militärtechnologie versorgt und der auch für den Export ukrainischer Waffen verantwortlich ist.
Onlineeinträge über Kateryna Michalko
Gegen Mykhalko werden sexistische und altersdiskriminierende Vorwürfe erhoben, in den Sozialen Medien wird sie richtiggehend gemobbt. Der Parlamentsabgeordnete Alexei Goncharenko schreibt ironisch, diese Frau solle doch mal die Geschichte ihres „glänzenden beruflichen Erfolgs“ erzählen. Er illustrierte seine Bemerkungen, mit einem Foto, wo Mykhalko neben Emmanuel Macron bei einem nichtöffentlichen Treffen in Kyjiw zu sehen ist.
In Sozialen Netzwerken findet man auch Fotos, die die Managerin bei einem Treffen mit dem damaligen Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, General Valery Zaluzhny, mit dem früheren Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, mit dem ehemaligen britischen Premierminister David Cameron sowie mit dem Hersteller türkischer Kampfdrohnen, Haluk Bayraktar, zeigen.
Zu schön, zu jung, zu weiblich
Statt aus solchen Kontakten gute Vernetzung und berufliche Expertise zu folgen, ist so etwas zu lesen: „Ohne Kampferfahrung, ohne Lebenslauf“, sei sie. „Wessen Tochter ist das, oder wessen kleines Kätzchen?“ Mykhalko sei ja nur „gehorsam gegenüber der Regierung und dem Militärkommando“.
Schaut man auf die Urheber und auch Urheberinnen solcher Posts, zeigt sich sehr deutlich, dass talentierte Frauen in meinem Land nicht nur mit dem Sexismus der Männer, sondern auch mit dem der Frauen zu kämpfen haben. Schön zu sein, bedeutet, dass man inkompetent ist. Jung zu sein, bedeutet, von jemand protegiert zu sein. Frau zu sein, bedeutet, sich rechtfertigen zu müssen.
Als ich mir die Vorwürfe gegen Mykhalko näher angeschaut habe, erinnerte ich mich an eine Verwandte von mir. Vor vier Jahren, also vor Beginn des Kriegs, hatte sie sich bei einer Bank beworben. Sie wurde wegen ihres Alters abgelehnt. 42 Jahre, sagte man ihr, sei „zu alt“. Doch vor ein paar Wochen rief die Bank wieder bei ihr an und fragte, ob sie immer noch auf Stellensuche sei.
Diesmal wurde meine Verwandte nicht nach ihrem Alter gefragt – jeder kompetente Mensch ist in der Ukraine Gold wert. Hunderttausende von Männern mit Ausbildung und Qualifikation verbrachten mehrere Jahre in den Schützengräben. Tausende wurden getötet oder verwundet. Sie sind vom Arbeitsmarkt verschwunden und werden auch so schnell nicht wieder auftauchen. Deshalb bilden die Behörden Frauen als Straßenbahn-, Bus- und Traktorfahrerinnen aus.
Wir sollten jetzt für vernünftige und gebildete weibliche Führungskräfte in der Ukraine beten und ihnen weder ihr Alter noch ihren angeblichen Mangel an Erfahrung vorwerfen. Mir ist es egal, wie alt Kateryna Mykhalko ist, solange sie weiß, wie man für mein Land über Waffen verhandelt.
Juri Konkewitsch berichtet als freier Journalist aus der Ukraine. Er lebt im westukrainischen Luzk und schreibt oft für die taz.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.
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