Täter von Aschaffenburg: Wohl nicht der erste Angriff mit einem Messer
Enamullah O. hatte offenbar bereits im August 2024 in seiner Unterkunft eine Frau mit einem Messer angegriffen. Die Polizei ermittelte zunächst nicht.
Das geht aus einer Antwort aus dem bayerischen Innenministerium von Joachim Herrmann (CSU) auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag hervor. Diese liegt der taz vor. Darin heißt es, die Polizei sei am 29. August in die Asylbewerberunterkunft in Alzenau wegen einer Streitigkeit unter Bewohnern gerufen worden. Beim Eintreffen der Polizei sei O. von Mitbewohnern in seinem Zimmer fixiert gewesen.
O. habe sich verbal aggressiv verhalten und sei sichtlich alkoholisiert gewesen. Ebenso eine Geschädigte, die Verletzungen aufwies. Diese seien jedoch nicht zuzuordnen gewesen, weil weder die Verletzte noch die Mitbewohner zum Verlauf der Streitigkeiten Angaben gemacht hätten. Der Beschuldigte sei dennoch „zur Unterbindung von Sicherheitsstörungen“ über Nacht in „Unterbindungsgewahrsam“ genommen worden, wie es in der Antwort heißt. Bei Erhebungen im Nachgang hätten sich keine weiteren Hinweise auf strafbares Verhalten ergeben. Weitere Ermittlungen gab es zunächst nicht.
Mittlerweile ermittelt die Polizei in dem Fall allerdings wegen gefährlicher Körperverletzung, weil O. eine Frau in der Asylbewerberunterkunft Alzenau mit einem Messer attackiert haben soll. Eine Anzeige habe die Frau erst nach der Tat von Aschaffenburg erstattet, heißt es in der Antwort.
Es kursiert inzwischen auch ein Video von dem Vorfall, über das zuerst die Bild berichtete. In dem Mitschnitt ist zu sehen, wie mehrere Bewohner einen Mann, offenbar O., am Boden festhalten. Ebenfalls soll die verletzte Frau kurz zu sehen sein. Zu sehen ist eine kleinere blutende Verletzung am Ellenbogen. Laut Bild soll sie mehrere Schnittwunden gehabt haben, die ihr mit einem Hackmesser zugefügt worden seien. Unklar ist, warum die Polizei ob der Verletzungen nicht von sich aus, also von Amts wegen, ermittelte.
Schlagstock entwendet, Polizisten leicht verletzt
Ebenso enthält die Antwort des Innenministeriums neue Details zu einem mutmaßlichen tätlichen Angriff Os. auf Vollstreckungsbeamte im Mai 2024. O. soll dabei eigenständig die Bundespolizeiinspektion Aschaffenburg aufgesucht und über Schmerzen geklagt haben. Der Grund: Er habe Diamanten geschluckt und glaube nun zu sterben.
Nach der Durchsuchung von O. sei es zu massiven Widerstandshandlungen gekommen, er habe dabei mehrfach versucht, den Beamten die Dienstwaffe zu entreißen, zudem habe er einen Schlagstock entwendet. Bei dem Einsatz wurden drei Bundespolizisten leicht verletzt. Noch am selben Tag wurde O. wegen Eigen- und Fremdgefährdung polizeilich untergebracht.
Insgesamt liefen gegen O. 18 Strafverfahren in 12 Tatkomplexen in Bayern, hinzu kommen 4 Strafverfahren in Hessen. Dreimal wurde er psychiatrisch untergebracht, zweimal davon auch wegen Fremdgefährdung. Von den 12 bayerischen Tatkomplexen wurden 5 eingestellt, in 2 Verfahren Geldstrafen verhängt. Die restlichen fünf Verfahren sind noch anhängig.
Die bayerische Landtagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der SPD, Christiane Feichtmeier, sagte der taz: „Es drängt sich immer mehr die Frage auf, warum der Tatverdächtige nicht längst untergebracht war.“ Zudem forderte Feichtmeier, selbst Polizistin, weitere Aufklärung im Zusammenhang mit dem Unterbindungsgewahrsam im August 2024 und des Angriffs auf eine Frau mit einem Küchenbeil. „Die Frau hatte Schnittwunden. Wieso hatte diese Tat keine Konsequenzen? Wieso wurde hier kein Ermittlungsverfahren eingeleitet?“ Sie erwarte von Innenminister Herrmann, „dass sämtliche Fakten auf den Tisch kommen“, so Feichtmeier.
Der SPD-Abgeordnete Florian von Brunn kritisierte zudem mangelnde Behördenkommunikation: „Der Tatverdächtige war etliche Male auffällig. Die Behörden wirken völlig unkoordiniert. Allein wegen der Körperverletzungsverfahren hätte man das Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, d. Red.) durchaus informieren können.“ Spätestens nach dem Vorfall im Mai 2024 hätten sämtliche Alarmglocken schrillen müssen, so von Brunn. Bevor Ministerpräsident Markus Söder von der Grenzpolizei als „Nachtwache“ aus der Fernsehserie „Game of Thrones“ schwadroniere, solle er sich lieber um die Sicherheit auf Bayerns Straßen kümmern, so von Brunn.
Abschiebung scheiterte wohl wegen Bamf
Bayerns Innenministerium machte in seiner Antwort geltend, dass die Deliktschwere für eine Meldung der Straftaten an das Bamf in keinem Fall erreicht worden sei. Tatsächlich informieren Strafbehörden oder Justiz das Bamf erst ab einer Deliktschwere mit zu erwartenden Mindeststrafen von einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei gefährlicher Körperverletzung liegt das Strafmaß zwischen 6 Monaten und 10 Jahren.
O. war im November 2022 über Bulgarien nach Deutschland gekommen und ausreisepflichtig. Er hatte sein Asylverfahren abgebrochen und angegeben, ausreisen zu wollen. Eine Abschiebung nach Bulgarien über das Dublin-Verfahren scheiterte 2023 allerdings wegen verpasster Fristen, dafür war maßgeblich die Überlastung im Bamf verantwortlich.
Über die Verantwortung für die gescheiterte Abschiebung gibt es seit der Tat gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Bayern und dem Bund. Mittlerweile soll das Bamf personell gestärkt worden sein, lange Verfahrensdauern sollen der Vergangenheit angehören – 2024 habe das Innenministerium von Nancy Faeser (SPD) Personalmittel für 1.140 zusätzliche Stellen bereitgestellt.
O. hatte im Innenstadtpark Schöntal in Aschaffenburg, nahe seiner Unterkung, auf mehrere Menschen mit einem Küchenmesser eingestochen. Er hatte laut CSU-Innenminister „unvermittelt und gezielt“ eine Kita-Gruppe angegriffen, dabei einen zweijährigen marokkanischen Jungen und einen 41-jährigen Mann getötet, zwei weitere Menschen schwer verletzt. Ein zweijähriges syrisches Mädchen ist außer Lebensgefahr, ebenso ein 72-jähriger Mann, der zur Hilfe kam. Der getötete 41-Jährige soll ein Passant gewesen sein, der O. von weiteren Taten abgehalten habe. Die Polizei nahm O. kurz nach der Tat fest, brachte ihn in einer geschlossenen Einrichtung unter. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen Mordes und versuchten Mordes.
Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt
Der mutmaßliche Angreifer und Asylbewerber wohnte in einer Unterkunft in der Nähe des Parks, in dem der Angriff geschah. und war laut bayerischem Innenministerium in psychiatrischer Behandlung. Herrmann hatte zunächst gesagt, der Mann sei bereits mindestens dreimal wegen Gewalttaten aufgefallen, in psychiatrische Behandlungen gekommen und wieder entlassen worden.
O. war in der Vergangenheit zeitweise in einer allgemeinpsychiatrischen Tagesklinik untergebracht sowie in einer psychiatrischen Klinik in Werneck. Der Innenminister sprach von einer „zeitweiligen“ Schizophrenie, es seien Medikamente verschrieben worden, mit denen er in die Asylunterkunft zurückkehren durfte. In einer geschlossenen Einrichtung war er nicht untergebracht. Allerdings war Betreuung abgeordnet worden – zu einem vereinbarten Termin sei er aber nicht gekommen, so Herrmann.
In zwei seiner Strafverfahren wurde O. bereits zu Geldstrafen verurteilt, eines davon wegen Körperverletzung, das andere wegen Betrugs beim Fahren ohne Fahrschein. Weil er die erste Strafe nicht zahlte, sollte er kurz vor Weihnachten eine einmonatige Ersatzfreiheitsstrafe antreten. O. erschien allerdings nicht. Weil wegen der weiteren Geldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe hätte gebildet werden müssen und sich das Verfahren und die Vollstreckung des Haftbefehls somit verzögerte, blieb O. auf freiem Fuß.
Die mutmaßlichen Morde haben Aschaffenburg und die Bundesrepublik erschüttert. Zahlreiche Politiker gedachten kurz nach der Tat vor Ort. 3.000 Menschen gedachten schweigend vor Ort am Tag danach im Park. Seit der Tat streiten die Parteien im Wahlkampf vor allem um die Begrenzung von Migration und Abschiebungen. Die mangelnde Versorgung psychisch kranker Geflüchteter ist dabei kaum Thema. Bayern lehnt es auch nach der Tat ab, präventiv die unzureichende psychosoziale Betreuung für Geflüchtete weiter auszubauen.
Laut Experten erhalten nur drei Prozent der versorgungsbedürftigen Geflüchteten in Deutschland auch eine Versorgung. Einer Metastudie zufolge haben rund 30 Prozent der Geflüchteten eine Traumastörung. Ein Bruchteil psychisch erkrankter Menschen werde dabei auch straffällig. Während der Anteil von Gewalttätern in der Bevölkerung bei 2 Prozent liegt, liegt er bei psychisch Kranken bei 4 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!