TV-Show "Die Vorleser": Buchkaufhaus trifft Feuilleton
Die erste Sendung von "Die Vorleser" funktionierte noch nicht recht. Amelie Fried und Ijoma Mangold zeigten nur Ansätze eines Duetts zwischen U- und E-Kultur.
Bei Anna Katharina Hahn oder Alice Greenway kann man es in den kommenden Tagen nachprüfen. Ob sich jetzt erkennbar mehr Bücher verkaufen als zuvor. Bei "Lesen!" von Elke Heidenreich, der Vorgängersendung der neuen ZDF-Literaturvermittlungsshow "Die Vorleser", war das der Maßstab gewesen. Ja, ihre Wertungen sind platt, und ihre Daueremphase kann einem auf den Senkel gehen, hieß es immer über Heidenreich, aber sie hatte eben einen riesigen Effekt auf die Verkaufszahlen.
Hahns "Kürzere Tage" und Greenways "Weiße Geister" waren die Romane, auf die sich die Nachfolger Amelie Fried und Ijoma Mangold während ihrer ersten Sendung einigen konnten. Die ZDF-Programmdirektion würde es sicher freuen, wenn sich auch die Empfehlungen der "Vorleser" auf die Verkaufszahlen niederschlagen würden. Leute zum Lesen zu bringen kann der Sender als Erfolg verkaufen in unserer ziemlich lesebeflissenen Gesellschaft.
Dass man mit den Verkaufszahlen anfängt, zeigt aber auch schon eins: Mit dem Gespräch hat es in der Auftaktsendung am Freitag noch nicht richtig geklappt. Das Konzept ist auch durchaus ambitioniert: eine Fusion aus dem "Dieses Buch wird ihr Leben ändern"-Gerede von Elke Heidenreich und dem inszenierten Literaturstreit im fast schon legendären "Literarischen Quartett". Amelie Fried, bekannt aus der Radio-Bremen-Talkshow "3 nach 9" und selbst Bestsellerautorin, steht für einen selbstbewussten Nutzwertanspruch in der Art von: Wenn ich Bücher lese, will ich auch was davon haben - große Gefühle! Anlässe für leidenschaftliche Schwärmereien! Ijoma Mangold, der Literaturkritiker seiner Generation, der wirklich in der Öffentlichkeit anzukommen scheint, steht für profunde Kenntnisse und intellektuelle Analyse. Diese beiden Moderatoren in derselben Sendung auf nebeneinanderstehende Sofas zu setzen und über Literatur reden zu lassen heißt, E- und U-Kultur zusammenzubringen. Könnte was Hübsches bei rauskommen. Aber es funktionierte eben noch nicht recht. Heraus kam gebremste Emphase und höchstens zaghafte Ansätze eines literarischen Duetts.
Zweimal waren sie sich nicht einig, da blitzte Interessantheit auf. Amelie Fried bemängelte bei Peer Olov Enquists Autobiografie "Ein anderes Leben" breit ausgemalte Familiengefühle, Ijoma Mangold wertete das als Ausdruck "höherer Einsamkeit" des Erzählers. Joey Goebels Roman "Heartland" fand Amelie Fried ganz toll, weil sie darin alle Klischees eines jugendlich-wilden Abarbeitens am schlimmen Bush-Amerika wiederfand, Ijoma Mangold sah nur einen gescheiterten Gesellschaftsroman: "Das Buch ist nicht wild. Das Buch ist brav und bieder."
Es wäre interessant, solche unterschiedlichen Wertungskriterien über Literatur breiter ausgeführt aufeinandertreffen zu lassen: Buchkaufhaus trifft auf das System Feuilleton und umgekehrt. Aber erst mal mussten sich Fried und Mangold noch aufeinander einspielen. Und Schauspieler Walter Sittler als Gast sowie das saublöde Zwischenfilmchen über Literatur in der Familie von heute waren unter jeglichem Niveau. In diesen Sequenzen sah Ijoma Mangold wie ein rührender Vorzeige-Intellektueller beim Kaffeeklatsch aus. Man sah da auch, welches Risiko er mit der Sendung eingeht. Nicht die Undifferenziertheit des Fernsehens ist ein Problem - Fernsehen ist eben undifferenziert -, sondern die biedere Kulturbeflissenheit, die sich in den Sendeanstalten tummelt. Dem sollte man sich intellektuell nicht angleichen.
In manchen Passagen sah man aber auch schon, dass auch Amelie Fried ein Risiko eingeht. Vielleicht wird sie demnächst mal über ihre Urteile nachdenken müssen, bevor sie sie schwärmerisch verkündet. Mit genau so einem Schritt fängt ernsthafte Literaturkritik an. Der unterschwellige Spaß an den nächsten Sendungen wird darin bestehen zu verfolgen, wer wen mehr in seine Richtung zieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!