TV-Serie „Wenn die Stille einkehrt“: „Du denkst also nicht an Terror?“
Eine dänische Arte-Serie erzählt die Geschichten von Menschen, bevor sie Opfer eines Terroranschlags werden – und nachdem sie es wurden.
Ein hippes Restaurant, Sichtbeton und Grünpflanzen, offene Küche, nordische Küche. Die Kamera wandert von Tisch zu Tisch, ein paar Gesprächsfetzen hier und da, Geburtstagskuchen und Hochzeitsmenü, Dates und Zukunftspläne. „Wie läuft’s mit Kasper?“ … „Wovon willst du denn später leben, als Erwachsener?“ Am äußersten rechten Bildrand eine Maschinenpistole, MP5, made in Germany. Es wird sofort geschossen. Schwarzblende. Ein Mann rennt, nur mit der Unterhose bekleidet, aus seiner Wohnung und in das Restaurant gleich gegenüber. „Albert!“ Überall auf dem Boden Tote. „Albert?“ Der Mann steigt über die Toten. „Albert!“ Schwarzblende mit Einblendung: „9 Tage zuvor.“
So geht sie los, das sind die heftigen ersten zwei Minuten einer neuen dänischen Serie: „Wenn die Stille einkehrt“. Und das tut sie dann auch, wenn auch erst einmal anders, als der Titel das meint. Ohne den Prolog könnte man sich nämlich auch in einer Familienserie wähnen. Oder in mehreren Familienserien. Da erzählen die beiden Autorinnen Ida Maria Rydén und Dorte Warnøe Høgh („Dicte“) erst einmal sehr ausführlich über vier von zehn Folgen die Vorgeschichte(n) von einigen der Menschen aus dem Restaurant in Kopenhagen.
Zum Beispiel: Albert. Im Krankenhaus kennen sie ihn schon, diesmal war es wirklich knapp, obwohl es doch nur Pilze waren, wie er sagt. Der Vater Morten (Jacob Lohmann) ist Klempner, und man staunt wieder einmal nicht schlecht, wie gediegen geschmackvoll da in unserem nördlichen Nachbarland – oder wenigstens in seinen Fernsehserien – alle wohnen, selbst bei den Handwerkern stehen die Designs von Jacobsen und Henningsen.
Und wenn dort ein Gefängnisneubau eröffnet wird, von dem man sich wünschen würde, dass hierzulande die Schulen so aussähen, dann ist es der Justizministerin (Karen-Lise Mynster) ein Anliegen, vor den „Bewohnern“ über die dort installierte Kunst zu sprechen. Okay, auch in Dänemark wohnen nicht alle, gibt es Obdachlosigkeit und sogar Pflegenotstand, wie Morten erfährt, als er bei einem Job im Pflegeheim den alten Holger kennenlernt. Holger ist der Vater von Stina, der Ehefrau der Justizministerin.
Denkbar ungelegen
Die hat Stina versprochen, nicht wieder zu kandidieren. Um so wichtiger ist es ihr, einen Gesetzentwurf noch durchs Parlament zu bringen, der es verbietet, abgewiesene Asylbewerber einfach einzusperren: „Wir berauben zurzeit 1.800 unschuldige Menschen ihrer Freiheit. Erwachsene und Kinder. Das ist doch viel wichtiger als sechs Waffen in einer gefundenen Sporttasche!“ Der Fund, den die neunjährige Marie direkt neben einer Geflüchtetenunterkunft gemacht hat, ihre Mutter kellnert übrigens in dem Restaurant, kommt der Ministerin denkbar ungelegen.
Donnerstag, 29. Juli, 22 Uhr, Arte und bereits vorher in der Mediathek
Als in Nordrhein-Westfalen einmal das Justiz- und das Innenministerium zusammengelegt werden sollten, war das ein Fall für den dortigen Verfassungsgerichtshof. In Dänemark scheint es solche Bedenken nicht zu geben – ist es die Justizministerin, die von der obersten Polizistin des Landes wissen will:
„Aber was würdest du vermuten? Wer könnte es sein?“
„Momentan gibt es in der Gegend immer wieder Eskalationen im Banden- und Rocker-Milieu. Daher –.“
„Du denkst also nicht an Terror?“
„Wir haben bisher keinerlei Hinweise gefunden, die in diese Richtung weisen.“
„Gut. Gut: Wir können also ausschließen, dass die Tasche was mit dem Lager zu tun hat.“
Liberale Überzeugungen
Als Deutscher möchte man nicht ausschließen, dass die heute sogenannten NSU-Morde, deren terroristischer Hintergrund zunächst ausgeschlossen wurde, ungefähr ziemlich genau so erörtert wurden. Französische Arte-Zuschauer werden nicht umhinkönnen, das Massaker in dem Restaurant mit den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris kurzzuschließen. Nicht dass es in jenem Jahr 2015 nicht auch islamistisch motivierte Anschläge in Kopenhagen gegeben hätte.
Die liberale Überzeugung der Ministerin wird jedenfalls auf eine harte Probe gestellt, als in der langen Folge fünf, die den Anschlag in aller schwer erträglichen Ausführlichkeit zeigt, auch Stina zu den Opfern zählt. Und als der Verdacht auf den Palästinenser Jamal (Arian Kashef) fällt. Dessen Klassenlehrerin in der Schule wiederum Camilla ist, die Mutter von Albert, für den der Job in der Restaurantküche die Rettung sein sollte.
Und dann kam der Anschlag und es kehrte die Stille ein, die der Serientitel wohl meint. Und die Serie dauerte noch weitere fünf Folgen. Die Autorinnen haben Paul Haggis' „Crash“ gesehen und wissen, dass es darauf ankommt, die Wege ihrer Protagonisten einander kunstvoll sich kreuzen zu lassen. Damit der Kritiker dann sagt, nicht Familienserie, sondern: Gesellschaftspanorama.
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