TV-Duell vor Wahlen: Die Frisur entscheidet gar nichts
Bereichern TV-Duelle die Demokratie? Die Forschung bereichern sie jedenfalls. Viele denken zudem erstmals darüber nach, was überhaupt zur Wahl steht.
Genau 220 Frauen und Männer, jung und alt, sehen sich am Sonntagabend knapp vor dem Fernsehduell von Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erst einmal einen Loriot-Sketch an. Das dient zur Einstimmung – weniger auf den politischen Wettstreit als auf den kleinen grauen Kasten vor ihnen.
Daran üben sie, Eindrücke in Bewegung umzusetzen. Mit dem Drehregler am Kästchen drehen sie links oder rechts, um erst bei Loriot, dann bei Merkel und Steinbrück spontan ihre Reaktion wiederzugeben: wem sie zustimmen, wem nicht. 30 Euro bekommen sie dafür, an diesem Experiment der Universität Hohenheim teilzunehmen.
Der Drehknopf, erklärt Studienleiter und Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider, hat schon oft Aufschluss darüber gegeben, was wahlkämpfende PolitikerInnen in den Köpfen bewirken. Dazu gehören auch zwiespältige Erkenntnisse: Mit brisanten Fakten, neuen Argumenten und politischem Angriff beeindruckt man kaum jemand.
Auf taz.de begleiten wir das TV-Duell am Sonntagabend mit einem Liveticker. KollegInnen berichten live aus dem TV-Studio in Adlershof, unsere Kolumnisten Friedrich Küppersbusch und Silke Burmester kommentieren in Echtzeit.
Zum ersten Mal veranstalten wir im taz-Cafe in der Rudi-Dutschke-Straße auch ein public viewing. Wie die Stimmung dort ist, werden wir ebenfalls im Liveticker abbilden.
Nein: „Bei Allgemeinplätzen geht’s bei allen hoch“ auf der Zustimmungskurve, sagt Brettschneider. Es lohnt sich also, andauernd mehr Frieden, glückliche Kinder und eine gute Zukunft für alle zu fordern, ohne dies mit Umsetzungsvorschlägen zu beschweren.
Wer ist ein Problemlöser?
Was nicht heißt, dass die Leute keine politischen Maßstäbe haben. Im gängigen Politschnack, sagt Brettschneider, „wird Äußeres überschätzt“. Über Frisuren oder Übergewicht plaudert man vielleicht gern. Nach allem, was die Wissenschaft bislang hergibt, treffen die noch Unentschlossenen – und um die geht es – aber ihr Urteil danach, wer ein Problemlöser sein könnte, wer führungsstark und wer vertrauenswürdig wirkt.
Bei der Wahl selbst werden solche Eindrücke von Personen mit einem großen Quantum Parteipräferenz abgemischt. Den KritikerInnen der „Personalisierung von Politik“ hält die Soziologin Sigrid Roßteutscher aus Frankfurt entgegen, die Leute wählten jedenfalls noch nicht rein nach persönlichen Sympathien. „Sonst hätte Merkel beim letzten Mal schon 30 Prozent Vorsprung gehabt“, argumentierte Roßteutscher jüngst bei einer Bundestagsanhörung. Zwar lag 2009 die CDU weit vor der SPD, doch eben nicht so weit, wie Merkels Zustimmungswerte die von SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier überragten.
Die Debatte über Personalisierung und Zuspitzung des Wahlkampfs auf zwei Gesichter begleitete 2002 den Import des US-amerikanischen Fernsehformats „Duell“ in den Bundestagswahlkampf. Immerhin 15 Millionen ZuschauerInnen sahen zu, wie Kanzler Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber (CSU) gut, aber nicht so gut wie gedacht abschnitt. Damit bestätigte sich gleich die seit dem mythischen Fernsehduell von 1960 – John F. Kennedy gegen Richard Nixon – herrschende Weisheit, dass ein Duell vor allem die Chance des Herausforderers ist.
Erfolgreich im demokratischen Sinne
Nixon machte damals vieles falsch. Der Bartschatten, der Blick weg von der Kamera wurden nur zur Metapher dafür, dass es ihm an Ernsthaftigkeit und Engagement zu fehlen schien.
Angesichts des großen Zuspruchs auch in Deutschland – 2005 schauten bei Schröder und Merkel gar 21 Millionen zu – gilt das Duellformat auch in hier inzwischen als erfolgreich im demokratischen Sinne: Viele Menschen geben an, sich anlässlich der Duelle erstmals damit zu befassen, worum es bei der Wahl überhaupt geht.
Wobei die Gegenprobe eben nicht zu machen ist: Man weiß nicht, ob und wie diese Leute sich informieren würden, wenn es keine Duelle mehr gäbe.
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