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TTIP und regionale LebensmittelDammbruch in der Regierung

Niedrigere Standards durch Freihandelsabkommen: Bundesminister Schmidt hält Kennzeichnungspflicht für verzichtbar.

Herrenlose Würste unbekannter Herkunft in einer Markthalle in Rotterdam Bild: imago/jochen tack

BERLIN taz | Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat in einem Interview zum geplanten EU-Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) die Katze aus dem Sack gelassen: „Seine Äußerungen in puncto Regionalkennzeichnung von Lebensmitteln zeigen: Die sogenannten Standards bei einem wichtigen Thema wie Transparenz und Herkunftskennzeichung bleiben nicht aufrechterhalten“, sagte Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, am Montag der taz. Bei TTIP werde darüber verhandelt, die Regeln anzugleichen, „und da muss natürlich jede Seite nachgeben. Schmidt ist hier extrem offen.“

Zuvor hatte der CSU-Politiker sich erstmals bereit erklärt, die gesetzlich geschützte Herkunftskennzeichung regionaler Spezialitäten für TTIP zu opfern. „Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen, können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen“, zitierte ihn der Spiegel. Die geltenden EU-Regeln für regionale Lebensmittel seien „sehr bürokratisch“.

„Die EU schützt auch solche Spezialitäten, deren Grundstoffe längst nicht mehr nur in ihren Heimatregionen hergestellt werden“, womit er offenbar das blaue EU-Siegel „geschützte geographische Angabe“ (g.g.A.) meinte.

Das trägt zum Beispiel der Schwarzwälder Schinken, dessen Fleisch auch aus dänischen Massenställen kommen darf, wenn es nur im Schwarzwald wie vorgeschrieben verarbeitet wird. Bisher hatte Schmidt immer versprochen, dass die europäischen Lebensmittelstandards „nicht verhandelbar“ seien.

Unglaubwürdiges Dementi

Zwar ruderte der Minister nach Veröffentlichung des Spiegel-Interviews zurück. „Er rüttelt da nicht an den Herkunftsbezeichnungen“, sagte sein Vizesprecher Christian Fronczak der taz. Die Regeln müssten nur einheitlich angewendet werden. Doch diesem Dementi glaubt kaum ein Kritiker. Denn Schmidt behauptet ja nicht, dass er falsch zitiert worden sei, und es ist unwahrscheinlich, dass die Spindoktoren eines Bundesministeriums derart brisante Äußerungen aus Versehen lancieren. Und selbst während seines Dementis betonte Fronczak, die geschützten geografischen Angaben führten „zu Missverständnissen“ bei Verbrauchern.

Tatsächlich verwirren die g.g.A. viele Verbraucher: Viele Konsumenten, die „Schwarzwälder Schinken“ hören, denken, die Schweine kämen aus der Region. „Diese Missverständnisse müssen europaweit ausgeräumt werden, damit wir auf einheitlicher Ebene mit den Amerikanern verhandeln können“, so Fronczak.

Foodwatch-Chef Bode würde den g.g.A. keine Träne nachweinen. „Bei uns könnte der Schwarzwälder Schinken schon jetzt aus Neuseeland kommen“, kritisiert er. Es sei zu begrüßen, dass Schmidt nun erstmals zugebe, dass die aktuelle Herkunftskennzeichnung nichts tauge.

„Die größte Gefahr ist aber, dass schlechte Standards eingefroren und die Verbesserung von Standards verhindert werden.“ Angesichts der starken Lobby der Lebensmittelindustrie in den USA und der EU sei es wahrscheinlich, dass das Abkommen beispielsweise eine von Foodwatch geforderte verbindliche Herkunftskennzeichnung der wichtigsten Zutaten blockiere. „Wir machen Fortschritte bei gesellschaftspolitischen Standards abhängig von der Zustimmung eines Handelspartners“, warnt Bode.

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10 Kommentare

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  • Meiner Meinung nach steigt das Bedürfnis der Menschen, Informationen über Herstellung, Herkunft, Qualität, Wege etc. zu erhalten. Durch die Globalisierung sind diese Hintergründe (nicht nur bei Nahrungsmitteln) ohnehin schon kompliziert genug. Genau diese bisher recht schwache Transparenz wieder weiter zu senken, ist nicht das, was die Menschen hier wollen und was uns gut täte!

  • ... und CETA, TTIP und TISA gehen anstandslos durch.

  • Was für ein Ablenkungsmanöver soll das denn nun schon wieder sein?

     

    TTIP hat nun wirklich noch ganz andere Größenordnungen in der Risikoskala.

     

    Gib dem Volk einen neuen Aufreger nach dem Chlorhühnchen. Dann strampelt sich die Regierung daran redlich ab, um schließlich erschöpft zu seufzen - "Wir haben getan was wir konnten. Mehr war wirklich nicht drin."

     

    Und alle werden zustimmend nicken und ihr Kreuzchen bei der nächsten Wahl wieder an der richtigen Stelle machen - wie immer...

  • 'Schwarzwälder Schinken' kommt aus Dänemark, das sagt doch schon alles...

  • Hans-Wurst-Politik. Und der sollen wir vertrauen?



    Pro und Contra TTIP/CETA/TiSA:



    Anstatt ein ungewisses und umstrittenes Wirtschaftswachstum in Milliardenhöhe bzw. neuerdings den Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze in Aussicht zu stellen, sollten doch die beteiligten Regierungen erstmal die gewissen und unumstrittenen Milliarden entgangener Steuern von den Großkonzernen eintreiben, die geschickt Steuerschlupflöcher im globalen Maßstab nutzen, und damit z.B. neue Arbeitsplätze schaffen. Und anstatt die Globalisierung noch weiter zu treiben, sollten die Regierungen erstmal die Globalisierung beherrschen lernen.



    Und anstelle der Sonderrechte des Kapitals (Schiedsgerichte zur Sicherung des Kapitals) wird es Zeit, wieder die Pflichten (Eigentum verpflichtet) in den Vordergrund zu stellen! Wenn man diese Themen auf der politischen Bühne verfolgt, wird einem klar, warum die Politikverdrossenheit zunimmt.



     

     

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  • Eine Frage der Glaubwürdigkeit von Politikern. Nach meiner Auffassung sind ausschließlich Politiker der Partei DIE LINKE glaubwürdig. alle anderen können erzählen, was sie wollen. Meine Stimme bekommen die nie (wieder).

    • @Willi:

      Außerdem lehne ich TTIP und CETA ab und beteilige mich an Aktionen gegen diese marktradikalen und das Leben zerstörenden Abkommen.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ein Deutungsversuch: Da Herr Schmidt ja häufig recht verschmitzt aussieht und Querschüsse aus der CSU zum Alltag gehören, nehme ich an, daß er diese Meldung, garniert mit klaren Beispielen, vielleicht absichtlich lanciert hat. Er weiß, daß die Deutschen bei diesem Thema besonders empfindlich sind und gar kein Pardon kennen. Ich finde es super, daß der Minister gerade so eine sensible Geschichte veröffentlicht und uns TTIP-Gegnern mit seinen Beispielen, auf was wir verzichten müssten, wenn TTIP käme, ordentlich hilft. Danke Herr Minister. (Was bei g.g.A. nicht ganz in Ordnung ist, das sollten die Europäer selbst regeln. Dazu brauchen wir die Amerikaner nicht).

  • Wer schon mal in den USA war weiß, das man dort genauso gut, zum Teil besser essen und Lebensmittel kaufen kann, als gerade in Deutschland ( ALDI+ Billig und schon schmeckt´s) Franzosen und Italiener haben da sicher mehr zu verlieren als wir und die Holländer, Dänen, Briten, Finnen ect.....

    Es geht aber eher um die, das Recht ausschließeden privaten Schiedsgerichte, den Investorenschutz und die Möglichkeit entgangene Gewinne von der Allgemeinheit erstatten zu lassen. Solche abstraken Vertragsinhalte machen den Widerstand gegen Titip erforderlich. Leider auch schwierig, darum ist ein tolpatschiger Provinzminister der CSU zwar ein Aufreger, aber er bringt die gesellschaftliche Diskusion eher auf den falschen Weg ,als voran.

    Hier muß am Vertrag geändert werden, nicht am Einheitlichen Blinker für Autos oder der möglichkeit Kentucky Steaks oder Californische Nüße, Saft oder Wein zu kaufen oder eben im Regal stehen zu lassen.

    • @horst schmitzberger:

      "Wer schon mal in den USA war weiß, das man dort genauso gut, zum Teil besser essen und Lebensmittel kaufen kann, als gerade in Deutschland ( ALDI+ Billig und schon schmeckt´s)"

      Bei dem "gut schmecken" scheiden sich des öfteren die Geister. Die Frage ist überdies: Was ist drin, das es so "gut" schmecken lässt?