TSCHETSCHENISCHE TERRORISTEN HABEN SICH DAS FALSCHE ZIEL GESUCHT: Türkische Strategien gestört
Meine Terroristen, deine Terroristen. Die Geiselnahme im Istanbuler Luxushotel „Swissotel“ durch Tschetschenen oder Türken kaukasischer Herkunft hat wieder einmal gezeigt, dass es sehr auf den Standpunkt des Betrachters ankommt, was als Terrorismus und was als Freiheitskampf beurteilt wird. Noch vor zwei Jahren gingen in der Türkei die Emotionen hoch, als man wütend feststellte, dass viele in Westeuropa und in Russland die Aktionen von Abdullah Öcalan und seiner kurdischen Anhänger nicht nur als Terrorismus beurteilten, wie dies der Mainstream in der Türkei tat. Nun ist es an Russland, sich darüber zu empören, dass die Türkei gegen die angeblichen tschetschenischen Terroristen nicht angemessen vorgeht.
Dennoch ist abzusehen, dass die türkische Regierung künftig ihren Kurs gegenüber den Tschetschenen verändern wird. Denn ob Terroristen bzw. Freiheitskämpfer unterstützt oder stillschweigend geduldet werden – dies wird ja nicht nur durch Gerechtigkeitsgefühle oder die emotionale Nähe zu den Tätern beeinflusst, sondern in aller Regel auch durch handfeste eigene Staatsinteressen. So wie Syrien die kurdische PKK jahrelang nicht aus Altruismus unterstützt hat, sondern weil man die türkische Regierung zu Kompromissen beim Euphratwasser und anderen Streitigkeiten zwingen wollte, so verfolgt auch die Türkei eigene strategische Interessen im Kaukasus, wenn sie den Tschetschenen beisteht. Schließlich konkurrieren Russland und die Türkei schon seit dem Osmanischen Reich um die Hegemonie im Kaukasus. Für die Terroristen/Freiheitskämpfer ist es deswegen entscheidend, den Interessen ihres jeweiligen Protektors nicht in die Quere zu kommen. Diesen Grundsatz haben die Hotelbesetzer sträflich verletzt.
Sie haben die türkische Regierung desavouiert und – schlimmer noch – den entscheidenden Wirtschaftszweig beschädigt. Dabei lässt sich die türkische Finanzkrise nur durch steigende Touristenzahlen mildern. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Geiselnehmer dieses Mal nicht so glimpflich davonkommen wie nach der Entführung der Fähre 1996. Die türkische Regierung wird zu „ihren Terroristen“ auf größere Distanz gehen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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