TRITTIN NUTZT DEN BSE-SKANDAL FÜR EINE ÖKOLOGISCHE FLURBEREINIGUNG: Der Anfang vom Ende der Agrarfabriken
So zynisch es klingt: Jedes BSE-Rind, das an den extremen Folgen der industriellen Landwirtschaft zugrunde geht und medienwirksam ausgeschlachtet wird, trägt zum Ende dieser Agrarindustrie bei. Plötzlich können Umwelt- und Landwirtschaftsministerium eine ökologisch verträglichere Herstellung von Fleisch, Milch und Getreide vorschlagen – ohne die BSE-Panik der letzten Wochen undenkbar. Umwelt- und Verbraucherschutz sind in aller Munde; die Agrarlobby hält sich nicht nur zurück, im Gegenteil: Sie will schon immer die verträgliche Landwirtschaft gefordert haben.
Das Timing für eine Wende im Agrobusiness ist perfekt: Das Interesse ist hoch, die BSE-Not groß, und zudem wissen eigentlich alle, dass die EU-Subventionen neu gelenkt werden müssen. Die Welthandelsorganisation hat klargestellt, dass die schlichte Förderung jedweder Landwirtschaft eine unakzpetable Wettbewerbsverzerrung bedeutet. Schon deswegen ist politische Fantasie gefragt. Geschickt haben Trittins Beamte die Themen Verbraucherschutz (da, wo es um die Wurst geht) und Umweltschutz (das, was uns meist wurscht ist) verbunden. Die Rückendeckung des Kanzlers ist gesichert. Schließlich liest der sehr genau die Meinungsumfragen. Sein populäres Versprechen, das Ende der Agrarfabriken einzuleiten, war sorgfältig einstudiert. Und wie weit die „Machtworte“ von Schröder politisch tragen, ließ sich nicht nur bei der verfehlten Entfernungspauschale studieren: Nachdem der Kanzler versprach, dass Deutschland sein Klimaziel erreichen werde, wurde das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung verabschiedet.
Trotzdem ist der Umbau der Agrarindustrie zur naturverträglichen Landwirtschaft noch längst nicht sicher. Sobald wir Journalisten die nächste Sau durchs Dorf jagen und der Leidensdruck der Fleischfresser nachlässt, wird sich das ehrgeizige Konzept wie von selbst zeitlich ein wenig strecken. Es gibt eine schöne Parallele: Im Oktober 1986 beschloss die SPD nach dem Schock der nuklearen Katastophe von Tschernobyl, so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen. In den nächsten 14 Jahren tat sich nichts. Nur das allgemeine Desinteresse an der Ökologie nahm zu. Dann das Jahr 2000: Nachdem die SPD die Macht im Bund mühsam wiedergewonnen hatte, wurde der Atomausstieg endlich durchgesetzt. Mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Vielleicht erteilt das Landwirtschaftsministerium also 2015 die letzte Betriebsgenehmigung für eine Rinderfarm. Endgültig auf die Weide kommen die Kühe dann im Jahr 2045. BERNHARD PÖTTER
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