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■ Italien: Di Pietro kapituliert vor korrupter ÜbermachtSystem ohne Gemeinwohl

Man muß kein Fan von Ex-Staatsanwalt und Ex- Minister Antonio Di Pietro sein, um die Vorgänge um ihn als Skandal zu empfinden. Denn sein Rücktritt ist das Resultat eines Scheibenschießens von bemerkenswerter Hinterhältigkeit, der Korruptionsvorwurf ein Vorwand.

Die Akteure dahinter sind prestigesüchtige Staatsanwälte, die Di Pietro um jeden Preis drankriegen und sich damit „oben“ Liebkind machen wollen, Politiker, die ihre Unantastbarkeit beweisen wollen, Unternehmer, die sich für seine Ermittlungen rächen wollen, Beamte, deren Machenschaften sich der Minister für öffentliche Arbeiten soeben anschickte zu durchleuchten. So wird ein System erkennbar. Weder die politische Klasse noch die Medien sind noch in der Lage, mit Blick auf das Gemeinwohl zu handeln.

Die Opposition wird von einem aktiven Medienunternehmer geleitet, der seine maroden Konzerne saniert und seine Straftaten verdecken muß. In der Regierung denkt man mehr darüber nach, wer die beste Startposition für die nächste oder übernächste Regierung bekommt – anstatt eine vernünftige Politik für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Italien zu projektieren. Und die Presse verkommt mehr und mehr zum Schakalverein und veröffentlicht rücksichtslos manipulierte Auszüge aus Protokollen von Lauschangriffen. Das Staatsvolk verfolgt die Hahnenkämpfe der Mächtigen mit mehr sportlichem denn gesellschaftlichem Interesse. Zumindest solange sich die Regierung nicht allzu schlimm in die Privatangelegenheiten der Bürger einmischt, bleibt das Volk ruhig.

Es könnte allerdings auch sein, daß das Faß überläuft. Denn Di Pietro war der letzte Hoffnungsträger der Nation – und die wird schon mangels Alternativen darauf bestehen, daß er es bleibt. Italien hat schließlich immer Erlösergestalten gesucht. Sollte die Straße Di Pietro nun auf ihr Schild heben, droht alles außer Kontrolle zu geraten. „Besorgte Appelle“ verbreiten inzwischen auch bereits manche Obere der bisher noch zurückhaltenden Streitkräfte, darunter die früher in Putschversuche verwickelte Carabinieri-Armee und die schwerbewaffnete Finanzwache, deren Generalität just von der Di-Pietro-Sonderkommission „Saubere Hände“ in strafrechtliche Bedrängnis gebracht worden ist. Ein Szenario, das dem krisenhaften Europa gerade noch gefehlt hat. Werner Raith

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