Syrischer Menschenrechtsanwalt al-Bunni: „Gerechtigkeit wird kommen“
Anwar al-Bunni baute als junger Mann mit an der Folterhölle von Saidnaya. Nun sammelt er als Anwalt Beweise gegen das Assad-Regime.
Fast 40 Jahre nach dem Bau Saidnayas, im März 2017, spricht Anwar al-Bunni bei einer Konferenz in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) will die Stiftung die Möglichkeiten einer Strafverfolgung des Assad-Regimes diskutieren. Al-Bunni ist einer von zwei syrischen Menschenrechtsanwälten, die am Vortag mit dem ECCHR beim Generalbundesanwalt erstmals Anzeige gegen ranghohe syrische Geheimdienstoffiziere erstattet haben.
Der schmächtige Mann mit dem Schnauzbart spricht zunächst ruhig, dann immer leidenschaftlicher und unterstreicht mit erhobenem Finger seine Botschaft: „Gerechtigkeit wird kommen, es kann keine politische Lösung mit Assad geben. Das syrische Volk wird ihm nicht vergeben!“
Al-Bunni spricht über die Qualen, die Assad den Syrern angetan habe, kritisiert die Weltgemeinschaft, meint, die Aussicht auf eine politische Lösung habe Assad erst ermutigt, Kriegsverbrechen zu begehen. Er macht klar, dass niemand nach Syrien zurückkehren könne, bevor nicht Gerechtigkeit geschaffen worden sei. Für ihn bedeutet das: Assad und sein Geheimdienstapparat müssen vor Gericht. Immer wieder scheint al-Bunni ans Ende gekommen, entschuldigt sich dann höflich und lacht verlegen, er müsse doch noch etwas hinzufügen.
Strafverteidiger in Schauprozessen
In Syrien war Anwar al-Bunni über Jahrzehnte einer der wichtigsten Oppositionellen. Seit 1986 verteidigte er politisch Verfolgte vor Gericht, meist vergeblich, handelte es sich doch um Schauprozesse. „Es war klar, dass wir nicht gewinnen können“, erzählt al-Bunni wenige Tage nach der Konferenz in seinem Berliner Büro. „Aber für mich war es ein Sieg, wenn ich die Ungerechtigkeit ansprechen konnte.“
Seit ihrer Machtübernahme 1963 inhaftiert, foltert und tötet die Baath-Partei Oppositionelle. Hafiz al-Assad, bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Präsident Syriens und Vater von Baschar, baute ab 1970 zudem einen erbarmungslosen Geheimdienstapparat auf. Von dessen Willkür zeugt auch die Geschichte der Familie al-Bunni.
Anwar Al-Bunni
Anwar al-Bunni kommt 1957 in Hama als jüngstes von fünf Geschwistern zur Welt. Schon mit sieben erlebt er, wie seine Stadt von der Baath-Partei bombardiert wird, weil sich dort die in Syrien verbotenen Muslimbrüder organisieren. In den siebziger Jahren werden seine Geschwister immer wieder inhaftiert, weil sie in der Kommunistischen Partei aktiv sind.
Das Massaker von Hama
Sein Bruder Akram ist außerdem Schriftsteller. Er wird einer der ersten Häftlinge im Gefängnis Saidnaya. Im Februar 1982 wird Hama von Hafiz al-Assad wegen der Muslimbrüder erneut angegriffen. Er lässt die 350.000-Einwohner-Stadt mit Flugzeugen bombardieren und mit Granaten beschießen. Das historische Zentrum liegt in Trümmern. Insgesamt sterben etwa 20.000 Menschen. Anwar al-Bunni ist Augenzeuge.
Seine Ausführungen geraten meist zu langen Monologen, die in herzhaftes Lachen oder trauriges Kopfschütteln münden. Nebenbei zieht al-Bunni an einer E-Zigarette und reibt sich den Unterarm. Im Hof raucht er zwei Zigaretten hintereinander. „Ich bin ein emotionaler Mensch“, sagt er. „Ich lache über alles und weine wegen allem.“ Immer wieder rufen ihn Zeugen und Anwälte an, dann entschuldigt er sich und spricht mit ihnen, als wären sie alte Freunde.
Im Laufe der neunziger Jahre verteidigt Al-Bunni mehrmals auch seine Geschwister. Er erlebt, wie seine Familie vom Geheimdienst überwacht wird. 2006 schließlich unterzeichnet er ein Plädoyer für die Normalisierung der syrisch-libanesischen Beziehungen und gründet mit Unterstützung der EU ein Zentrum für Menschenrechte,das von den Behörden nach einer Woche geschlossen wird. Damit hat er den Bogen überspannt. Wenig später verschleppt ihn der Geheimdienst. Al-Bunni wird 2007 unter anderem wegen Gefährdung des Nationalstolzes zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Versammlungen der Opposition
„Das war seltsam, neben aller Bedrückung herrschte große Freude im Gerichtssaal“, erinnert sich Kristin Helberg an al-Bunnis Prozess. Sie war lange als Journalistin in Syrien. „Für Oppositionelle war es ja kaum möglich, sich zu treffen. Deshalb wurden solche Prozesse zu Versammlungen. Freunde trafen sich wieder, umarmten und besprachen sich. Und hinterher sah man sich lange nicht.“ Helberg traf sich in den Jahren zuvor oft mit al-Bunni. Die westlichen Medien, das erzählt auch al-Bunni, seien ihre einzige Waffe gewesen.
Seine Haftzeit verbringt er mit Straftätern, deren Opfer er teilweise verteidigt hat. Sie jagen ihn. Einmal versucht man, ihn vom Balkon zu stürzen, ein anderes Mal soll er gehängt werden. Doch al-Bunni hat genug Verbündete, um mit dem Leben davonzukommen. 2011 wird er entlassen. Bis heute haben er, seine vier Geschwister und zwei Schwäger zusammen 74 Jahre im Gefängnis gesessen. Allein sein Bruder Akram saß zwanzig Jahre lang ein.
Als die Revolution ausbricht, ist al-Bunnis Stadtteil al-Kabun der erste in Damaskus, der von Assad befreit wird. Al-Bunni spricht auf Demonstrationen. Mit der Zeit aber wächst deshalb der Druck auf ihn, und weil in al-Kabun Kämpfe toben, versteckt er sich in einem anderen Teil der Stadt.
Flucht nach Berlin
Lange traut sich al-Bunni nicht mehr aus Damaskus, später nicht einmal mehr aus dem Haus. Als der Geheimdienst im März 2014 al-Bunnis Bruder verhaftet und verhört, um ihn selbst zu finden, entschließt er sich mit seiner Frau und den drei erwachsenen Kindern zur Flucht. Über Beirut fliegen sie mithilfe des Auswärtigen Amtes nach Berlin.
Seither arbeitet Al-Bunni daran, die Aussagen von Folteropfern zu sammeln. Zeugen melden sich über Facebook bei ihm und er trifft sich mit ihnen. „Er ist die Brücke zur syrischen Community“, erklärt Patrick Kroker, der als Anwalt beim ECCHR an dessen Syrienprojekt arbeitet. Beide Seiten würden voneinander lernen, meint er. Für al-Bunni sei ein Rechtsstaat mit seinen Formalitäten neu, für das ECCHR sei al-Bunnis Wissen um die Vorgänge in Syrien unverzichtbar.
Bislang prüft die Generalbundesanwaltschaft ihre erste Anzeige gegen sechs Geheimdienstoffiziere, die Foltergefängnisse leiten. Das Ziel ist ein Haftbefehl gegen sie. Die Anzeige folgt dem Weltrechtsprinzip, nach dem in Deutschland Straftaten verfolgt werden können, die im Ausland und an Ausländern verübt wurden. Es ist bislang die einzige Möglichkeit, gegen das Regime vorzugehen. Den Internationalen Strafgerichtshof blockiert ein Veto Russlands und Chinas.
Zu Gast im Kollwitzkiez
Al-Bunni hat ein Büro im Kollwitzkiez, auf einem Gewerbehof. Auf seinem Schreibtisch stehen eine Tasse und der Computer, daneben ein Drucker, ein weiterer Tisch und blaue Stühle. Sonst nichts. „Ich bin zu Gast hier.“ Ihm gefällt Deutschland, in Gedanken aber ist er in Damaskus. „Ich würde zerbrechen, wenn ich nicht wieder nach Syrien könnte.“
Auch die Wände sind kahl, bis auf ein kleines Poster: Es zeigt Khalil Ma’touq, seinen Kollegen, der ihn 2007 verteidigte. Seit 2012 fehlt von Ma’touq jede Spur. Im Gefängnis schrieb al-Bunni ein Manifest an die UN, ein neues Parteien- sowie ein neues Wahlgesetz für Syrien. Er notierte alles auf kleine Zettel und schob sie seinem Freund Ma’touq in der Besuchszeit zu.
Das kahle Büro, das unscheinbare Hemd, die Jacke – wer al-Bunni sieht, denkt an Durchschnitt. Doch das täuscht. Die Welt, in der Anwar al-Bunni große Teile seiner Zeit verlebt, ist eine innere. „Meine Aufgabe ist es, Syrien wiederaufzubauen“, sagt er. Er arbeite immer, sagt al-Bunni. Man glaubt es ihm, glaubt, dass es außer dem Anwalt Anwar al-Bunni keinen anderen Anwar al-Bunni gibt.
Woher er seinen Optimismus nimmt? „Jesus sagt, der Glaube an Gott könne Berge versetzen.“ Al-Bunni blickt aus dem Fenster. „Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube, dass ich Gott bin, so wie jeder Mensch Gott ist. Und wenn wir wollen, können wir Berge versetzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit