Syrischer Flüchtling über Islamisten: „Dann explodieren diese Menschen“
Zaki M. hat einige Wochen in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt, wo er andere Syrer kennenlernte. Manche von ihnen sympathisieren mit dem IS.
taz: Herr M., haben Sie schon mal festgestellt, dass einige Ihrer besten Freunde radikale Islamisten sind?
Zaki M.: Meine besten Freunde sind das nicht. Aber ein paar Freunde von mir, Geflüchtete, die ich hier kennengelernt habe und mit denen ich zusammen untergebracht war, sind Islamisten von ihrem Gedankengut her.
Wie äußert sich das?
Sie sagen, wir wollen unser eigenes Leben führen und nicht das, was man uns sagt.
heißt eigentlich anders und will anonym bleiben. Er floh aus Syrien und lebt seit einiger Zeit in Deutschland. Mit dem IS will er nichts zu tun haben.
Das klingt erst mal vernünftig.
Ja, aber sie sagen auch, dass alle, die nicht ihrer Meinung sind oder nicht ihres Glaubens, Ungläubige sind.
Ist das schon radikal?
Im Koran heißt es: Du hast deinen Glauben und ich habe meinen. Was du glaubst, geht mich nichts an. Aber im radikalen Islam ist es so, dass Menschen andere nach ihrem Glauben definieren.
Wo verläuft die Grenze zwischen jemandem, der einfach nur streng gläubig ist, und radikalen Islamisten?
Jemand, der dich sofort mit deiner Religion identifiziert, ist radikal. Also: Wenn du deine Religion nicht zur Schau trägst oder nicht wie ein typischer Muslim aussiehst, dann bist du für ihn kein Muslim.
Wie zeigt sich der radikale Islamismus bei ihren Bekannten?
Sobald du nicht ihrer Meinung bist, bist du ihr Feind. Wenn wir über die politische Situation in Syrien reden, und du nicht ihrer Meinung bist, bist du in ihren Augen sofort Assad-Anhänger. Und bist des Lebens nicht würdig.
Wie ist deren Frauenbild?
Das verstehe ich häufig nicht: Sie sind Frauen gegenüber nicht offen, aber in der deutschen Gesellschaft verhalten sie sich wie die anderen, also umarmen zum Beispiel auch Frauen, obwohl das hundertprozentig gegen ihr Ideal verstößt. Ich frage mich dann immer, wie sie reagieren würden, wenn ihre Mutter oder Schwester das machen würden – einen fremden Mann umarmen.
Die leben also nach außen hin etwas anderes, als was sich in ihrer Innenwelt abspielt?
Ich denke, es ist so: Solange es eine staatliche Kontrolle gibt, verhalten sie sich genau wie andere Menschen. Aber sobald der Staat kollabiert oder Chaos ausbricht, entfalten sie sich als Anti-Demokraten und Anti-Menschen. Das war in Syrien auch so: Vor 2011 gab es diese Menschen bei uns, aber man hat es ihnen nicht angesehen. Erst mit dem Krieg haben sie sich so gezeigt.
Meiden sie hier Orte wie Schwimmbäder oder die Reeperbahn?
Da gibt es verschiedene Gruppen. Die, die sich hinter ihrer Religion verstecken, tun das.
Sind die organisiert?
Nein. Man kann hier nicht von einer organisierten Gruppierung sprechen. Das sind einfach Leute, die vor dem Terror geflohen sind. Deshalb ist es mir auch ein Rätsel, wie man das dann hier vertreten kann. Wenn es schon so viel Unruhe in das eigene Leben gebracht hat.
Haben Sie eine Theorie dazu?
Das sind ja alles Menschen – sie haben Gefühle wie Hass, Wut, Neid, Frust. Als Flüchtling erfährt man hier sehr viel Druck, von der Gesellschaft, aber auch von den Behörden. Dann können solche Gefühle ausbrechen. Das hat nichts damit zu tun, dass man Muslim ist.
Haben Sie Angst davor, dass sich Gruppen Geflüchteter auf diese Weise radikalisieren und sich organisieren?
Ich habe eher Angst, dass jemand ausrastet. Verzweiflung und Frust führen zu Unsicherheit, zu Wutausbrüchen, und vielleicht auch dazu, dass man ausrastet.
Halten Sie die Islamisten, die Sie kennen und die diesem Druck ausgesetzt sind, für gefährlich?
Eher nicht. Hunde die bellen, beißen nicht. Es kann sein, dass sie eine Gefahr darstellen, aber ich denke eher nicht, dass sie sich trauen, ihre Gedanken in die Tat umzusetzen.
Haben Ihre Bekannten Kontakt zu organisierten Islamisten?
Wenn überhaupt, dann zu Salafisten, die immer versuchen, sie anzuwerben. Wer Frust entwickelt auf diese Doppelmoral der deutschen Gesellschaft, ist eine leichte Beute für Salafisten.
Was meinen Sie mit Doppelmoral?
Wenn von Demokratie und Gleichberechtigung geredet wird, aber ich keine Wohnung bekomme, weil ich einen ausländischen Namen habe. Warum muss ich anders behandelt werden als andere Menschen? Das führt dazu, dass man Hass entwickelt.
Wie sollte man diesem Hass begegnen?
Die Gesellschaft sollte dafür sorgen, dass die Geflüchteten an ihr teilhaben können. Sobald ich mich wohl fühle, kann ich mich mit dem Land identifizieren. Aber wenn mir das Land nicht die Möglichkeit gibt, kann ich auch keinen Draht zur Gesellschaft entwickeln. Wenn die Geflüchteten kein Teil der deutschen Gesellschaft werden können, dann gehen sie zu den Salafisten oder anderen radikalen Islamisten.
Versuchen die manchmal, Sie zu missionieren?
Nein, ich versuche, sie zum Umdenken zu bringen.
Wie?
Ich sage ihnen immer, ohne die deutsche Gesellschaft wärt ihr nicht in der Lage, euch so zu äußern, wie ihr es jetzt tut. Ich bin der Meinung, dass alle Menschen eine zweite Chance verdient haben. Alle die hergekommen sind, sind ja gekommen, um ein neues Leben zu starten. Seien es Assad-Anhänger, Linke, Islamisten – sie sollen die Chance haben, ein neues Leben anzufangen.
Und dann erleben sie lauter Enttäuschungen.
Ja – ihnen wird dann vorgeworfen, dass sie europäische Werte ablehnen. Aber das ist falsch: Wir vergöttern diese Freiheit, diese Werte. Wir sind wegen ihnen hergekommen.
Und wenn es schlecht läuft, radikalisieren sie sich hier.
Aber Menschen, die vor dem IS geflohen sind, werden sich nicht hier dem IS anschließen. Die wollen in Frieden leben. Aber es sind auch nur Menschen – wenn dir immer das Gefühl vermittelt wird, du bist anderswertig, zweitrangig, dann explodieren diese Menschen irgendwann. Es ist wie mit einer Katze: Wenn du sie in einen Sack sperrst, wird sie auch zum Monster.
Aber die größere islamistische Gefahr geht von denen aus, die hier schon lange leben?
Ja – die schlimmsten IS-Anhänger sind Konvertiten oder Menschen, die hier aufgewachsen sind. Die sich hier auskennen, die Struktur des Landes kennen, die Sprache sprechen – aber nie Teil dieser Gesellschaft werden konnten.
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