Syrische Künstlergruppe über Krieg: „Keine Zeit für Polemik“
Das berühmte syrische Multimedia-Kollektiv Masasit Mati hat ihre Strategie im Jahr 2013 radikal verändert. Das Wichtigste ist jetzt die Theaterarbeit im Land.
taz: Satire im Krieg – Masasit Mati ist in Syrien Kult. Im Jahr 2011 liefen die ersten Folgen von Ihrem animierten Puppenspiel „Top Goon“ auf Youtube. Ihre Witze über Assad und das Regime wurden auf jeder Demo skandiert. Jetzt haben Sie aufgehört, warum?
Masasit Mati: Weil das Tabu gebrochen ist. Öffentlich Witze über Assad zu machen, war vor zwei Jahren noch undenkbar, darauf standen Gefängnis und Folter. „Top Goon“ war Teil des demokratischen Aufbruchs. Unsere große Linie war Selbstermächtigung mithilfe von Polemik. Wir wollten polemisieren und so die Strategie des Regimes nachzeichnen und auch selbstkritisch die Probleme bei den Revolutionären ansprechen. Das haben wir erreicht.
Jetzt geht es um etwas anderes. Es reicht nicht mehr, sich über den faschistischen Assad und sein Regime lustig zu machen. Auch die Verbreitung durch soziale Medien, so wichtig sie war, sie funktioniert heute nicht mehr.
Warum?
Weil die Lage eine ganz andere ist. Bis vor einem Jahr hatten die meisten Leute Internetanschluss und mussten sich nicht darum kümmern, wie sie zwei oder drei Stunden pro Tag an Strom kommen. Überhaupt war die Versorgung vergleichsweise gut. Inzwischen geht es vor allem ums Überleben. Außerhalb von Zentral-Damaskus gibt es in ganz Syrien keine Stadt und keinen Ort mehr, an dem ein normales Leben möglich ist.
Es gibt kaum noch Wasser, kaum zu essen, und mindestens zwei Millionen Syrer sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Die Medienaktivisten, die noch Zugang zum Internet haben, müssen die kurze Zeit nutzen, um sich ein Bild von der Lage zu machen und die Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Für „Top Goon“ fehlen inzwischen schlicht die Ressourcen und auch die Zeit.
Die Künstlergruppe arbeitet seit 2011 zusammen und besteht aus rund zehn KünstlerInnen, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben müssen. Ihre Satireserie über Assad und das Regime, „Top Goon“ (Topverbrecher) ist auf Youtube zu sehen. Sie stellen eine Chronik der Revolution bis Anfang 2012 dar. Die Mitglieder reisen auch nach Europa. In Berlin findet am 2. Oktober eine Diskussion über Satire in Syrien, „Who wants to kill a Million?“, in der Heinrich-Böll-Stiftung statt.
Welche Konsequenzen ziehen Sie?
Für uns ist seit Anfang des Jahres klar, dass wir alles daransetzen müssen, so oft wie möglich an verschiedene Orte nach Syrien zu reisen, dass wir bei unseren Landsleuten sein müssen. „Top Goon“ wurde ja zum Teil außerhalb von Syrien produziert. Zudem leben einige aus unserer Gruppe inzwischen im Exil, etwa in Beirut oder Kairo. Viele Tage sind wie eine Achterbahn: Man arbeitet voller Energie an Projekten für die Revolution und dann stürzt man ab.
Es ist so schrecklich vor dem Computer zu sitzen und zu denken: Oh Gott, was passiert da nur! In Syrien geht es inzwischen ja fast zu wie in Afghanistan! Doch wenn man hinfährt, dann verändert sich das Bild: So brutal und katastrophal die Lage ist, es gibt immer noch ganz viele Leute, die zuversichtlich sind, die für ein neues Syrien arbeiten, und Kinder spielen noch immer auf der Straße, trotz allem. Es gibt Hoffnung.
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Wie sieht Ihre Arbeit in Syrien aus?
Im Januar zum Beispiel waren wir in Aleppo und haben mit den Leuten dort Theater gemacht. Der Zuspruch war enorm. Syrer müssen die Möglichkeit bekommen, eine Sprache für ihre Geschichten zu finden, für das Schreckliche, was sie sehen und erleben. Theater kann da helfen. Wir wissen nichts besser, aber wir können ein bestimmtes Wissen anbieten, und die Leute entscheiden, was sie damit anfangen möchten.
Die meisten waren so froh darüber, dass jemand zu ihnen kommt und nicht wieder nur ein international finanzierter Workshop irgendwo in der Südtürkei in einem schicken Hotel stattfindet. Übrigens ist es auch gar nicht gesagt, dass wir nicht irgendwann wieder Folgen von „Top Goon“ produzieren. Aber im Moment hat für uns die Arbeit in Syrien Priorität.
Gleichzeitig wird „Top Goon“ international von immer mehr Leuten entdeckt.
Ja, wir bekommen fast jede Woche E-Mails mit Anfragen aus der Kulturszene, aber auch von Konfliktforschungsinstituten und Unis, die sich mit gewaltfreier Kommunikation beschäftigen. Wir fahren also zweigleisig: Einerseits die Arbeit im Krieg, andererseits sind wir viel in Europa auf Diskussionsveranstaltungen unterwegs. In Europa ist die Sicht auf Syrien häufig sehr verengt. Die meisten denken, bei uns wären nur Extremisten zu Gange. Unsere Aufgabe ist es, Europäern das zivile, demokratische Gesicht der syrischen Revolution zu zeigen.
„Top Goon“ wird auch auf der just eröffneten Biennale in Moskau gezeigt.
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Ja, wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen, da wir in etlichen Folgen von „Top Goon“ sarkastisch die Rolle Russlands und Putins beleuchten. Zunächst wurden wir gefragt, ob wir für die Biennale neue Folgen produzieren. Das haben wir abgelehnt. „Top Goon“ wurde von Syrern für Syrer gemacht, das soll auch so bleiben.
Die Revolution hat in Syrien alles verändert, auch die Rolle der Künstler und Intellektuellen. Jetzt sind Leute wichtig, die vorher niemand kannte. Was der alten kulturellen Elite nicht immer gefällt, auch wenn sie zu den Liberalen zählen.
Vor der Revolution kannten sich Intellektuelle und Künstler ohnehin kaum untereinander. Es gab keine Öffentlichkeit, die sie hätten teilen, wo sie sich hätten begegnen können. Das gilt aber auch für die „einfachen“ Leute. Man kannte sich in Syrien nicht. Weil es eben viel zu gefährlich war, seine Meinung öffentlich zu äußern. Mit der Revolution begann der Austausch. Zwischen Künstlern, Aktivisten und ganz normalen Leuten. Aufseiten der Revolution gibt es ja nie die eine Führungsfigur, aber die Bandbreite von Führungsfiguren, auch kultureller Art, hat sich enorm erweitert.
Aus welchen Familien kommen Sie und Ihre MitstreiterInnen?
Wir kommen alle aus einfachen Verhältnissen. Meistens ist ein Elternteil Analphabet, bei mir war es meine Mutter, mein Vater hat als Krankenpfleger gearbeitet.
Und Sie wurden zu einem erfolgreichen Schauspieler, das ist ein ganz schöner Sprung!
Ja, aber ich bin keine Ausnahme, der Bildungssprung ist typisch für meine Generation.
Es sieht nun so aus, als ob die USA nicht intervenieren werden. Wie bewerten Sie das?
Wir setzen unsere zivile Arbeit fort. Natürlich wäre es eine Erleichterung gewesen, hätten die USA Flughäfen und Landebahnen beschossen, dann müssten wir täglich viel weniger Tote beklagen. Gleichzeitig war uns immer klar, dass eine Intervention – zumal sie ja nur als Erziehungsmaßnahme für Assad gedacht war – keinen Frieden bringen wird. Insofern waren unsere Erwartungen begrenzt.
Und Deutschland?
Hat bislang nicht weiter mit Hilfsmaßnahmen geglänzt. Bei den Programmen, die jetzt vor allem im Norden Syriens aufgelegt werden, geht es um so kleine Summen und alles ist so bürokratisch organisiert, das bringt nicht viel. Und das gilt leider nicht nur für Deutschland, sondern für Europa insgesamt. Es fehlt der Mut, unkonventionelle Wege zu gehen. Wenn aber Krieg herrscht, muss man anders denken und handeln als unter Normalbedingungen. Das ist ja klar. Wir versuchen das mit unserer Theaterarbeit. Und würden uns hierfür mehr Unterstützung aus Europa und auch Deutschland wünschen.
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