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Syrische Flüchtlinge im LibanonAls Arzt im Grenzgebiet

Viele Flüchtlinge aus dem Nachbarland brauchen eine medizinische Versorgung. Ein kleines Krankenhaus nimmt sich der Mammutaufgabe an.

Ein verletzter syrischer Flüchtling im Krankenhaus von Arsal. Bild: reuters

ARSAL taz | Doktor Bilal* wartet vor dem Eingang des Krankenhauses, das von außen wie ein einfaches Wohngebäude aussieht. Ein junger Mann, gestützt von zwei Freunden, humpelt dem Arzt entgegen. Die drei halten die Köpfe gesenkt, um ihre Gesichter vor dem Sand zu schützen, den der heiße Wind aufwirbelt. Bilal führt die Gruppe ins Innere. Er ist Kieferorthopäde, aber im Krankenhaus kümmert sich jeder um jeden.

Im Wartezimmer drängen sich Patienten und deren Angehörige. Die Wände sind kahl. Glänzende Rohren und nackte Glühbirnen hängen von der Decke. Die Arbeiten in dem Krankenhaus von Arsal sind noch nicht ganz abgeschlossen, aber der Betrieb läuft bereits auf Hochtouren.

Es ist kein gewöhnliches Krankenhaus, sondern das letzte vor der syrischen Grenze im Nordosten des Libanon und das einzige in Arsal. Die sunnitische Kleinstadt liegt im Herzen des Anti-Libanon-Gebirges. Über 100.000 syrische Flüchtlinge flohen seit dem Ausbruch des Krieges dorthin. Täglich werden es mehr. Viele brauchen medizinische Versorgung, um die Wunden des Krieges zu heilen, gegen die es Mittel gibt.

Jeden Tag werden bis zu 200 Patienten behandelt

Bilal und sein 30-köpfiges Team versorgen täglich bis zu 200 Patienten – eine große Belastung. Das Personal verfügt nur über die nötigsten Instrumente. Durch Gelder der Hilfsorganisation Relief and Development Association wurden im Februar ein Operationssaal, eine Notfallstation und eine kleine Röntgenstation fertiggestellt. Die Bauarbeiten an der Kinder- und Entbindungsstation sollen bald beginnen.

Fast alle Ärzte und Assistenten kommen aus Syrien. Den meisten fehlen die offiziellen Papiere, um über die Stadtgrenze in den Libanon zu reisen.

An den Checkpoints innerhalb und außerhalb Arsals kontrolliert die libanesische Armee Personen und durchsucht Autos nach Waffen und Sprengstoff. Bilal unterstützt die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Doch auch er kann weder vor noch zurück, seit das Regime Assad die syrische Grenzregion Kalamun eingenommen hat.

Syrische Kampfflugzeuge kreisen über dem Ort

„Ein Arzt ist für das syrische Regime gefährlicher als ein Rebell. Denn er rettet auch das Leben jener, die die Soldaten töten wollen“, behauptet der Arzt und fügt hinzu: „In Syrien bombardiert das Regime Krankenhäuser wie dieses.“

Das Krankenhaus in Arsal ist wie viele in Syrien für den Luftraum nicht als solches gekennzeichnet. Fast täglich kreisen syrische Kampfjets über Arsal. Nach der Niederlage in Kalamun flüchteten viele Rebellen der Freien Syrischen Armee in die umliegenden Berge. Die Angst der Bewohner ist deshalb groß, dass Arsal bald angegriffen wird.

Jedem wird geholfen, egal, ob es Zivilisten oder Kämpfer sind

Die Ärzte behandeln jeden, der Hilfe braucht. „Wir fragen die Patienten nicht, ob sie Zivilisten, Rebellen, Sunniten, Schiiten oder Christen sind. Es ist unsere Pflicht zu helfen“, betont Bilal. Sein Blick schweift ab zu dem jungen Mann auf der Trage – einem syrischen Rebellen, der am Bein verletzt wurde.

In Syrien hat Bilal einst einen Kämpfer der Schabiha, einer der Assad-Milizen, verarztet. „Natürlich musste ich mich um ihn kümmern. Das ist ein Akt der Menschlichkeit.“ Nach einer Pause sagt er: „Meine politische Einstellung ist eine ganz andere.“

Auch im Libanon verfolgt den Arzt der Schrecken des Krieges. Er erinnert sich an einen Vorfall, es fällt ihm schwer, darüber zu reden. Nach einer Explosion an einem Checkpoint schossen die verunsicherten Soldaten auf ein herannahendes Auto. Doch darin saß nur eine syrische Familie auf der Flucht. Die Kugeln trafen einen kleinen Jungen in den Kopf. Bilal versuchte, das Kind wiederzubeleben – es war vergeblich.

*Name geändert

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