Syrisch-türkische Beziehungen: Tauwetter im Sinne Putins

Syriens Diktator Assad und der türkische Präsident Erdoğan nähern sich an. Vor einer echten Verständigung sind aber komplexe Fragen zu klären.

Zwei Militärsfahrzeuge fahren duch einen Chekpoint

Gemeinsame Patrouille des russischen und türkischen Militärs in der syrischen Provinz Latakia Foto: Andrei Gryaznov/TASS/imago

ISTANBUL taz | Was jahrelang undenkbar war, könnte demnächst tatsächlich stattfinden: ein Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit Syriens Diktator Baschar al-Assad. Es wäre eine Entwicklung im Sinne Putins. Die russische Regierung treibt das Projekt seit Wochen voran, würde ihr eine türkisch-syrische Annäherung angesichts des Krieges gegen die Ukraine doch Entlastung auf dem Kriegsschauplatz Syrien bringen.

Putin drängt Erdoğan seit Langem, sich mit Assad zu verständigen, um weitere kriegerische Ausein­andersetzungen in Syrien zu verhindern. In einem ersten Schritt hatten sich vor zwei Wochen der türkische und der syrische Verteidigungsminister in Moskau getroffen, nun hat Russlands Außenminister Sergei Lawrow ein baldiges trilaterales Treffen der Außenminister angekündigt. Läuft dieses gut, soll auch ein Treffen auf höchster Ebene stattfinden. Putin will in Moskau direkte Verhandlungen zwischen Assad und Erdoğan moderieren.

Die Pläne sind Putins Alternative zu Erdoğans angedrohtem Einmarsch in Nordsyrien. Zwar wäre Assad von einer erneuten türkischen Invasion nur mittelbar betroffen, weil das Gebiet, das Erdoğan im Nordosten Syriens besetzen will, von den syrischen Kurden der DYP mit ihrer YPG-Miliz kontrolliert wird. Doch ein erneuter türkischer Einmarsch würde Syrien insgesamt destabilisieren und das derzeit fragile Gleichgewicht im Land infrage stellen. Außerdem will Assad auf längere Sicht wieder die Kontrolle über das gesamte syrische Staatsgebiet erlangen, statt Teile des Landes mit der Türkei teilen zu müssen.

Doch eine Vereinbarung zwischen Erdoğan und Assad bleibt schwierig – nicht nur weil beide Seiten jahrelang erbittert gegeneinander gekämpft haben, sondern auch weil die dabei zu lösenden Probleme hochkomplex sind.

Drei Schritte müssen erfüllt sein für ein Treffen

Damit Erdoğan auf ein Treffen eingehen kann, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss Assad eine sichere Rückkehrmöglichkeit für mindestens einen Teil der knapp vier Millionen syrischer Flüchtlinge schaffen, die teils seit Jahren in der Türkei leben.

Für Assad wäre eine Vereinbarung nur attraktiv, wenn er die Kontrolle über Idlib zurückbekommt

Zweitens muss Assad Garantien für Erdoğans syrische Partner geben, also für verschiedene sunnitisch-islamistische Organisationen, die an der Seite der türkischen Armee gekämpft haben und jetzt in den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien eine wichtige Rolle spielen.

Drittens muss Assad dafür sorgen, dass in Nordsyrien kein kurdischer De-facto-Staat wie im Nordirak entsteht, denn die türkische Seite geht davon aus, dass einen solchen die PKK kontrollieren würde.

Für Assad wiederum wäre eine Vereinbarung mit der Türkei nur attraktiv, wenn er die Kontrolle über die nordwestliche Provinz Idlib zurückbekommt, den letzten Zipfel Syriens, der noch mit türkischer Unterstützung von bewaffneten Aufständischen kontrolliert wird, die einst Assad stürzen wollten.

Schon jetzt gibt es Proteste bei Erdoğans syrischen Verbündeten. Sie haben Angst, die Türkei könnte sie fallen lassen. Erdoğan ist zwar nicht dafür bekannt, besondere Skrupel bei politischen Schwenks zu haben, aber er müsste sich überlegen, welchen Eindruck ein „Verrat“ an seinen bisherigen Verbündeten in der arabischen Welt machen würde.

Noch größer aber dürfte Erdoğans Angst sein, dass bei einem Deal mit Assad über Idlib Tausende syrische Familien, die vor Assads Armee dorthin geflohen sind, erneut fliehen würden und dann versuchen würden, sich in der Türkei in Sicherheit zu bringen. Insbesondere vor der für den 14. Mai geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei sind neue syrische Flüchtlinge das Letzte, was Erdoğan will.

Es ist Wahlkampf in der Türkei

Im Gegenteil: Sein wichtigstes Anliegen bei möglichen Gesprächen mit Assad wäre, dass Bedingungen geschaffen werden, die es syrischen Flüchtlingen ermöglichen, aus der Türkei nach Syrien zurückzugehen. Eines der Hauptthemen im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf ist die Rückkehr der Flüchtlinge. Je schlechter es vielen Türken wirtschaftlich geht, desto stärker wird die Abneigung gegen die Millionen Flüchtlinge, die ihnen angeblich die Jobs wegnehmen und darüber hinaus auch noch staatliche Unterstützung beziehen.

Die türkische Opposition hat deswegen bereits angekündigt, nach einem Wahlsieg gleich das Gespräch mit Assad zu suchen, um eine „Rückführung“ der Flüchtlinge zu ermöglichen. Erdoğan steht im Wahlkampf mit dem Rücken zur Wand und braucht deshalb unbedingt eine eigene Perspektive, um wenigstens einen Teil der Flüchtlinge wieder zurückschicken zu können. Sein ursprünglich geplanter Einmarsch in Nordsyrien sollte ja nicht nur dazu dienen, die Kurden aus einer 30 Kilometer breiten Pufferzone entlang der Grenze auf syrischem Gebiet zurückzudrängen, sondern sollte in diesem Gebiet ausdrücklich auch Platz schaffen für Hunderttausende syrische Flüchtlinge.

Da die Wahlen in der Türkei bereits im Mai stattfinden sollen, dürfte Erdoğan bereit sein, sich schon bald mit seinem Amtskollegen Assad zu treffen. Doch der hat es offenbar weniger eilig. Nach inoffiziellen Informationen aus Ankara steht Assad derzeit noch auf der Bremse.

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