Swing State Florida vor der US-Wahl: Straße der Entscheidung
Trump, Biden und Alligatoren weisen den Weg entlang der Interstate 4 durch Florida. Hier könnte sich entscheiden, wer der nächste US-Präsident wird.
D ie Interstate 27 südwestlich von Orlando führt durch eine Seen- und Sumpflandschaft. In jedem der Tümpel lauern Alligatoren und am Straßenrand flattert Fahne auf Fahne, „Make America great again“, steht darauf und „Trump 2020“. Um das ländliche Amerika zu finden, in dem Donald Trump all die weißen evangelikalen Wähler hinter sich vereint hat, die ihm 2016 zum Sieg verholfen haben, kann man nach Kansas fahren oder nach South Dakota. Oder man reist nach Polk County im Zentrum Floridas.
Es ist Freitagabend, wenige Tage bis zur Wahl. In einer Bar, irgendwo im Nirgendwo zwischen der 27 und der Kissimmee-Seenlandschaft, sind auf den Fernsehbildschirmen an der Wand Sportsender eingestellt, es läuft College-Football. Masken sind in der Bar keine zu sehen, dafür Männer und Frauen, die fröhlich lachend zusammensitzen, ab und an die Tische wechseln. Corona ist aus dem Bewusstsein verdrängt oder es war dort nie als Problem abgespeichert. Alle reden mit allen, man kennt sich, man trinkt sein Bier gemeinsam. Die Gläser stehen auf extra angefertigten Untersetzern. „Trump 2020“ steht auf der einen Seite, das Gesicht des Präsidenten ist auf der anderen aufgedruckt. Polk County ist bestes Trump-Land. Aber wie viel gibt es davon im Zentrum Floridas noch?
Die Ergebnisse aus Florida könnten noch am Dienstagabend den ersten Ausschlag in die eine oder die andere Richtung zeigen. Florida hat 29 Electoral Votes, das sind die Wahlmänner und -frauen, die jeder Bundesstaat zur Wahl des Präsidenten stellt. Wer Präsident werden will, braucht mindestens 270 dieser Electoral Votes. „Ohne Florida“, sagt ein langjähriger demokratischer Wahlkampfmitarbeiter aus dem Bundesstaat, „wird es für Trump sehr schwer, die Wahl zu gewinnen.“ In Florida ist das Rennen offen. Genauer gesagt entlang der Interstate 4, abgekürzt I4.
Auf der Interstate 4 unterwegs nach Daytona Beach
Die I4 durchzieht Florida von Tampa Bay im Westen bis Daytona Beach im Osten, 139 Meilen, die den republikanisch dominierten Norden vom demokratisch geprägten Süden abteilen. Die Gegend ist weder verlässlich demokratisch blau noch sicher republikanisch rot. Lila nennen die US-Amerikaner solche Regionen. Es ist eine Autofahrt durch einen Teil Amerikas, der wie so viele Teile des Landes im Wandel begriffen ist – und der womöglich über den Wahlausgang in Florida und damit über den nächsten Präsidenten der USA entscheiden wird.
Den Startpunkt der Interstate 4 markiert Tampa Bay. Dort gibt es nicht nur ein NFL-Team, die nach Piraten benannten Football-Spieler der Tampa Bay Buccaneers, sondern auch Soldaten. Die zahlreichen Militärbasen sind konservative Terrains. Sie bilden ein Gegengewicht zum inneren Stadtgebiet, das wie in fast allen großen Städten demokratisch dominiert ist. Donald Trump konnte hier 2016 gegen Hillary Clinton gewinnen. Inzwischen hat sich die Lage etwas verändert. Die Gegend hat einen großen Zuwachs an Latinos gesehen, die anders als die Kubaner im Süden Floridas eher zu den Demokraten tendieren. Und dann ist noch Donald Trumps Regierungsstil.
Womit der Präsident in diesem Wahlkampf hart zu kämpfen hat, sind er selbst und sein fehlender Anstand. Dass er gefallene US-amerikanische Soldaten „Verlierer“ und „Schwächlinge“ genannt haben soll, hat sein Ansehen in den Rängen der Militärs deutlich angekratzt. Eine Umfrage der Military Times im September ergab eine Zustimmungsrate für den Präsidenten von 38 Prozent bei Militärangehörigen, bei 46 Prozent lag sie noch zu Beginn seiner Präsidentschaft. Joe Biden führt nach diesen Zahlen bei aktiven Militärangehörigen mit vier Prozentpunkten gegen Trump.
Weiter nordöstlich entlang der I4, in der Bar in Polk County, besteht keine Gefahr, dass man dem Präsidenten sein bestenfalls als burschikos zu bezeichnendes Auftreten und seine lockere Redeweise übel nehmen könnte. Hier gehören raue Witze zum Umgangston – und das ziemlich sicher nicht nur an diesem Abend.
Das Militär aber vor allem ist nationale Verpflichtung und Donald Trump habe gezeigt, dass er zu den Soldaten und den Veteranen halte, heißt es hier. Veteranen sind heute Abend einige anwesend, bei diesem Nachbarschaftstreffen, das schwer zu Ü70 tendiert. Die National Football League (NFL) boykottiere er, erzählt einer, der hier geboren und aufgewachsen ist. In der NFL protestierten viele der schwarzen wie weißen Athleten vor Beginn eines Spiels kniend gegen Rassismus, anstatt die vorgetragene Nationalhymne mit einer Hand auf dem Herzen zu würdigen. Zur Verabschiedung reicht man sich in Covid-19-Zeiten immerhin nicht die Hand. Man stößt die Fäuste zusammen und sagt „Trump“. Auf diesen Wahlbezirk kann der Präsident zählen.
Frau gegen Trump
Doch auch der nächste Abschnitt der Fahrt führt direkt in Trumps Problemzone. Eine knappe Autostunde nördlich von Polk County liegt Celebration in Osceola County. Bis hierhin erstrecken sich inzwischen die ausufernden Vorstädte Orlandos. Das hier ist der Inbegriff von Suburbia, gepflegte abgegrenzte Wohngebiete, viel Grün für Familien. Hier wohnen jene collegegebildeten weißen Frauen, von denen die Demoskopen sagen, sie hätten sich in großer Zahl von Trump abgewendet. Gilt das auch für Osceola County?
Kristin, Wählerin aus Celebration
„Women against Trump“ steht auf dem Sticker, den Kristin an ihrem gelben T-Shirt trägt. Sie tritt wie eine bestellte Antwort auf die Frage auf. Es gibt sie also, diese Frauen. Kristin kommt an diesem Samstagvormittag aus dem Wahllokal im kleinen Retortenstädtchen Celebration, es sind 27 Grad, die Sonne scheint, man kann verstehen, warum viele Rentner den Winter in Florida verbringen möchten. „Ich will, dass er aus dem Weißen Haus verschwindet. Ich will ihn raushaben“, sprudelt es aus Kristin heraus. „Ich hoffe und ich bete, dass dies nächste Woche zu Ende ist. Ich hoffe das für alle Frauen und ich hoffe es für meine Tochter.“ Sie will nicht wiederholen, was der Präsident über Frauen von sich gegeben hat. „Aber ich will nicht, dass so jemand so etwas über meine Tochter sagen darf.“
Der Sheriff fährt im Schritttempo vorbei. Alles läuft ruhig und gesittet ab. Der Parkplatz vor dem Wahllokal ist gut gefüllt, aber es haben sich keine Schlangen gebildet wie an anderen Orten im Land. Auch die Aufpasser, die vor und hinter dem Wahllokal postiert sind, interessieren sich nach einer ersten strengen Aufforderung, die Wählenden in Ruhe zu lassen, nur mäßig für die Reporterin.
Wenn die Demoskopen sagen, dies sei keine Abstimmung zwischen Joe Biden und Donald Trump, sondern ein Votum über Trump, dann bestätigt Kristin diese Analyse ohne Abstriche. Für Biden, sagt sie, wäre sie nicht zur Abstimmung gegangen, „für Kamala Harris schon“. „Ich hätte nicht für Biden gestimmt“, sagt Kristin nochmals, nachdem sie gerade aus dem Wahllokal kommt, wo sie genau das getan hat – vielmehr nein. Sie hat gegen Trump gestimmt.
Jetzt es ist für Trump zu spät, seine allzu rauen Reden wieder einzufangen. Über Frauen, über Soldaten und über die Ungefährlichkeit des Virus. Zum Wochenende hatten schon mehr als 8 Millionen der insgesamt 14,4 Millionen Wahlberechtigten in Florida ihre Stimme abgegeben. Aber Trump, so macht es den Eindruck, kann gar nicht anders. Wenn er scheitern sollte, dann wohl am ehesten an der Pandemie. Denn die Verharmlosung nehmen ihm gerade in Florida die Alten übel, eine echte Macht entlang der I4.
Weiter nach Nordosten geht es durch die Kunstwelt von Orlando, die fest in der Hand der Disneyworld- und SeaLife-Touristen ist, nach Seminole County, wo die Ausläufer der Vorstadtbezirke in schier endlose Siedlungen von geduckten Einfamilienhäusern mit Flachdach übergehen. Trump hat hier 2016 mit 1,6 Prozentpunkten Vorsprung vor Clinton gewonnen. Jetzt liegt Biden in den Umfragen mit komfortablem Vorsprung vorn. Deshalb haben die Republikaner Eric Trump geschickt.
Frau für Trump
Trumps Sohn soll am Samstagnachmittag sprechen, seine Helfer stehen mit roten Basecaps und T-Shirts mit der Aufschrift „Trump Nation“ in einem Gewerbegebiet und dirigieren die ankommenden Autos auf provisorische Parkplätze. In einem Partyzelt durchsucht der Secret Service Besucher auf Waffen, eine Frau weist den Weg zu einer Freifläche zwischen zwei Werkshallen, wo Trump gleich sprechen wird, sie lacht und sagt: „Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber es geht nach links.“
„Ein paar Tausend“ Besucher hatten Trumps Leute angekündigt, gekommen sind gut 300 Trump-Fans, die sich bei schwülen 28 Grad auf schwarze Plastikstühle setzen. Ein paar der Besucher haben Mundschutz angelegt, aber die meisten verzichten darauf. Aus den Boxen klingt Queen, „We are the Champions“.
Empfohlener externer Inhalt
Die meisten Besucher sind weiß und über 60, aber auch einige Afroamerikaner sind unter ihnen. Ein junger Schwarzer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „I’m pro-Trump. Change my mind“. Bevor Eric Trump auftritt, bittet ein schwarzer Pastor die BesucherInnen zum Gebet. „Danke dir, Gott, dass du uns Donald Trump als Anführer geschickt hast. Danke dir, dass du Donald Trump von Covid wieder geheilt hast.“ Amen.
Eric Trump spricht eine halbe Stunde lang über die Wirtschaftspolitik seines Vaters, über die großartige Mauer an der Grenze zu Mexiko, über den Stand des Dow Jones an der Börse, zwischendrin streut er die üblichen Diffamierungen gegen die Demokraten ein. Biden? Gehört ins Gefängnis.
Eric Trump ist nicht halb so gut und nicht halb so demagogisch wie sein Vater, aber er weiß, wie er die Leute erreicht. Er redet über die Nationalhymne, lobt die Veteranen, preist die christlichen Werte. Die Demokraten seien schon lange nicht mehr die Partei von John F. Kennedy, sagt er, und auch nicht mehr die von Bill Clinton. „Das ist nicht Republikaner gegen Demokraten. Das ist richtig gegen falsch.“ Am Ende skandieren seine Fans „Four more years“, vier weitere Jahre, der Spruch, den sie bei allen Wahlveranstaltungen früher oder später anstimmen. Eine ältere Frau hält ein Shirt hoch: „I love Eric Trump“.
Und zugleich dokumentiert dieser Tag, worin Trumps Probleme bestehen. Die Pandemie schließt große Hallen für Auftritte aus, und die Medien haben aus 2016 gelernt, sie übertragen Trumps Veranstaltungen nur noch selten live. Auftritte wie der von Eric Trump in Longwood an der I4 gleichen einem Klassentreffen des örtlichen Trump-Unterstützervereins. An diesem Nachmittag hat das Familienunternehmen der Trumps höchsten eine Handvoll Unentschlossene erreicht. Als der junge Trump fragt, wer bereits seine Stimme abgegeben habe, heben drei Viertel der Besucher den Arm, darunter auch Andi Sefick.
Andi Sefick, Wählerin aus Orlando
Sefick, 54, zählt zu jener derzeit besonders gerne sezierten Spezies der gebildeten weißen Vorstadtfrauen, von denen es heißt, sie würden sich in Scharen von Trump abwenden. Sefick kann das nicht verstehen. Sie hat sich schon im College für die Republikaner eingeschrieben, 2016 war sie noch vorsichtig in ihrer Unterstützung für Trump. Aber in diesem Wahlkampf hat sie das erste Mal in ihrem Leben Geld gespendet, sie hegt ein tiefes Misstrauen gegen die da in Washington, und „die da“ heißt jetzt: gegen Biden. „Wie kann es sein, dass alle Politiker in Washington Millionäre sind?“, fragt Sefick, wo doch das Jahreseinkommen eines Senators nur 174.000 Dollar beträgt. Sefick nennt die Zahl genüsslich, sie kennt sie ganz genau. „Ich möchte, dass Trump die Korruption hinwegfegt“, sagt sie.
Sefick artikuliert ein Gefühl, das es nicht nur entlang der I4 gibt, sondern in ganz Amerika: dass in Washington Volksvertreter sitzen, die vor allem gut darin sind, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Das Problem ist nur: Die Trumps sind die ungeschlagenen Großmeister in dieser Disziplin. Es zählt zu den großen Phänomenen der Ära Trump, dass kluge Frauen wie Andi Sefick messerscharf analysieren können, was in Washington falsch läuft – aber blind gegenüber den Verwerfungen ihres Präsidenten sind.
Von Longwood aus führt die I4 weiter nach Nordosten, bis hoch nach Daytona Beach, das vor allem durch seine Autorennen bekannt geworden ist. Aber jenseits der Boliden schillert in Daytona wenig. Anders als in Miami im Süden findet man keine Innenstadt, kein Downtown mit verglasten Wolkenkratzern, und anders als in den Suburbs von Orlando bestehen die Wohngebiete nicht aus am Reißbrett angelegten, penibel gepflegten Straßen mit großzügigen Häusern und Vorgärten. Dort, wo Amerika schlicht wird, kann es auch hässlich werden.
2016 hat das County um Daytona mit 54,8 Prozent für Trump gestimmt, nur 41,8 Prozent der Stimmen gingen an Clinton. Die Stadt ist arbeitergeprägt und steht darin den Städten Pennsylvanias, der sogenannten Blue-Collar-Gegend, in nichts nach. Das Stadtbild von Daytona Beach wird von einer großen Zahl weißer Motorradfahrer geprägt, für die es eigene Sportsbars gibt, die Main Street, die bis vor an die Pier zum Atlantik führt, ist fest in Trump-Hand. Bei „America’s Biker Inc.“ wird neben einer Trump-Flagge auch die Südstaatenfahne angeboten. Im Laden schräg gegenüber hängt im Schaufenster ein schwarzes T-Shirt mit weißem Aufdruck: „I survived Corona Virus“, daneben ein Shirt mit dem Aufdruck „Sons of Trump“. Biden-T-Shirts gibt es nirgendwo.
Die Biker patrouillieren in diesen Tagen an der Strandstraße von Daytona Beach entlang, wie eine Prätorianergarde, lange Reihen von Maschinen, die gerne den Motor aufheulen lassen. „Nach dem 3. November sind die alle wieder weg“, sagt Daniel, ein Afroamerikaner, in dessen Bart sich erste Anzeichen von Grau mischen.
Wenn es doch so einfach wäre.
Alles verkaufen und auf Biden setzen
Daniel arbeitet in einer Bar am Ende des Piers, draußen spielen ein paar Surfer in den Wellen. Der Barmann erzählt davon, dass er neulich all seine Aktien verkauft hat, es war nicht besonders viel, aber als Rentenvorsorge gedacht. Die Börse zählte bislang zu Trumps größten Trümpfen. Als er vor vier Jahren gewählt wurde, stand der Dow Jones bei 17.888 Punkten. Anfang dieses Jahres waren es knapp 30.000 Punkte. Viele Amerikaner haben mit Trump ein kleines Vermögen verdient. Aber Daniel hat Angst bekommen: dass die Börsen verrückt spielen, dass die Anleger Trump nicht mehr trauen, wer weiß schon, was passiert. Am Freitag vergangener Woche stand der Dow nur noch bei 26.500 Punkten, Daniel zählt zu jenen, die da schon verkauft hatten. „Die Leute sind verunsichert, weil die Börse verunsichert ist“, sagt er. „Ich habe ja nicht viel, aber ich will nicht alles verlieren.“ Die Börse, die einst Trumps bester Wahlhelfer zu sein schien, glaubt nicht mehr uneingeschränkt an den Präsidenten. Daniel sagt: „Ich steige dann wieder bei den Kursen ein, die es unter Obama gab.“ Es klingt wie: Ich warte auf Biden.
Von Daytona aus zieht sich ein bezaubernder Strandstreifen kilometerlang dahin, aber in den Hotels am Strandboulevard sind am Samstagabend viele Fenster dunkel geblieben, die großen Parkplätze sind bis auf wenige Autos leer, trotz Halloween. Corona macht dem Tourismus auch hier zu schaffen.
In seinem Turm am Strand sitzt am Sonntagvormittag vor der Wahl ein gelangweilter Lifeguard und sucht den wenig belebten Strand nach Schwimmern ab. Wer der nächste Präsident wird?
Er schaut erst nach links in die Ferne und dann nach rechts, als liege die Antwort auf die Frage irgendwo hinterm Horizont. Das Rennen ist so eng, sagt er schließlich, „dass es unmöglich ist, diese Frage seriös zu beantworten“.
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