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Zwischen den RillenSweet, soft & lazy

■ Schöner fühlen in England: Solo-Alben von Bernhard Butler und Guy Chadwick

Es reicht schon ein oberflächliches Hinschauen auf diese 70er-Jahre-Porträt-CD-Cover, um zu erkennen, daß das Leben mit Bernhard Butler und Guy Chadwick in den 90ern wohl nicht so sanft umgesprungen ist. Butler blickt weniger entschlossen als maliziös in die Kamera: mit langer, ein Auge und die Ohren verdeckender 70er-Frisur, leicht gesenktem Kopf und einem angedeuteten Lächeln um die Mundwinkel. Und Chadwick sieht aus wie nach einer durchzechten Nacht: der Blick leer, die Furchen im Gesicht tief, der Bart mindestens drei Tage alt.

Beide sind alte englische Bekannte, die mit ihren ersten Solo-Alben beweisen wollen, daß sie das Songschreiben nicht verlernt haben und das Leben auch ohne Bandzusammenhänge weitergeht. Der eine, Butler, hat es dabei leichter, sein Konterfei zierte von Face über NME und Select kürzlich schon einen Haufen langer Stories in der britischen Presse. Vielleicht weil die Erinnerung an ihn noch frisch ist, seine Zeit sowieso die 90er waren.

Als Gitarrist von Suede gehörte er zusammen mit deren Sänger Brett Anderson nach Morissey/Marr (Smiths) zum neuen englischen Sänger/Gitarristen-Traumpaar. Beide verkrachten sich aber schon bei der Promotion-Tour für das zweite (und auch schwächste) Suede-Album. Während aber Anderson mit Suede weiterhin den sterbenden, aber umjubelten Schwan markierte, irrte Butler etwas orientierungslos umher, stellte sein Gitarristentalent Popstars wie Brian Ferry, Neneh Cherry oder Edwyn Collins zur Verfügung und veröffentlichte mit einem anderen Partner eine mäßig gute und leidlich erfolgreiche Single. Chadwick hingegen hatte seine wirklich große Zeit in den mittleren und späten 80ern mit seiner Band House Of Love. Die hinterließ der Welt einige wunderschöne Popsongs wie „Shine On“, „Christine“ oder „Destroy The Heart“; Songs, die genau wie die House-Of-Love-Alben auch heute noch so manch altes Wimpisten-Herzlein höher schlagen lassen. Als aber England mit voller Wucht zu raven begann, krähten nach der zumeist zerbrechlichen und märchenhaften Popmusik von House Of Love keine Teens und Twens mehr.

Chadwick geriet in eine Schaffenskrise, verschwand für Jahre von der Bildfläche, und erst nachdem ihm aus dem Freundeskreis freundliche Aufmunterung zuteil geworden war, hat er sich wieder an ein Album gemacht. Dessen Titel: „Lazy, Soft & Slow“, eine sehr ironische Umschreibung für sein langes Schweigen. Denn eine traumatische Erfahrung sei für ihn die Zeit mit House Of Love gewesen, berichtet er frank und frei im Plattenfirmen- Info, „a thoroughly miserable experience“, nach dessen Ende er sich wie ein „nervous gibbering wreck“ gefühlt habe. Katharsis war also angesagt, vielleicht auch Sinnsuche, und so heißt es gleich im ersten Song:

„It is today I'm going crazy, come and help lose my mind, who know what we might find, maybe ourselves.“ Gefunden hat er einen Traumtänzer, der in tausend Spiegel sieht und dort immer nur andere, schönere Welten findet, die nicht die seinen sind: „Close your eyes, come to the world you know you love“ heißt es dann einmal als Alternative. Die Songs auf seinem Album sind ruhig, beschaulich und simpel gestrickt und werden von Chadwick zumeist unspektakulär, frei von Kinkerlitzchen und semiakustisch vorgetragen. Sweet, soft und lazy eben. Hatte man schon bei House-Of-Love- Songs des öfteren Schwierigkeiten, sie nicht gleich als langweilig abzutun, so geht das einem auch bei Chadwicks Solo-Album so. Doch die Songs hier wachsen beim mehrmaligen Hören, werden reicher und sind irgendwann deine Freunde, die manche Unwägbarkeiten des Lebens leichter ertragen lassen.

Auch für Bernhard Butlers Album, dessen Titel „People Move On“ ebenfalls eine gewisse Programmatik verrät, sollte man sich Zeit nehmen, ja man muß es sogar. Denn Butler bevorzugt die epische, manchmal etwas pompöse Song-Variante, er wälzt seine Stoffe durchweg auf sechs, sieben Minuten aus. Schleppend elegisch, manchmal jubilierend wie in „Not Alone“, fast immer schön.

Wobei auch er angenehmerweise niemand die Welt erklären möchte, sondern nur von sich selbst berichtet, von seinen Erfahrungen und Erziehungen des Herzens; Songs wie „When You Grow“, „A Change Of Heart“ oder „Woman I Know“ sprechen da eine beredte und musikalische Sprache, höchstens in den Herzen möchte Butler etwas verändern, nicht in den Köpfen. Und er besteht darauf, anders als Chadwick, nun wirklich erwachsen und ein wenig weise zu sein.

Wobei ihm vielleicht die Erkenntnis geholfen hat, singen zu können, wenn man es eben muß: Ein wenig dünn und krächzig zwar, manchmal an den alten Mitstreiter Brett Anderson erinnernd, aber doch immer so, daß es trägt und die Stimmung der Platte vervollständigt. Betreffs Musik, Inhalten und Stimmung erinnern beide Alben natürlich schwer an die 70er, wo man ja oft und gerne auf der Suche nach Tiefe und sich selbst war. Mag vielleicht nicht jedermanns Tasse Tee sein, doch Chadwick und Butler machen das so nett und unaufdringlich, daß man sich mehr als gerne mit ihnen zusammen auf die Suche begibt. Gerrit Bartels

Guy Chadwick: „Lazy, Soft & Slow“ (Setanta/Sony Music)

Bernhard Butler: „People Move On“ (Creation/Sony Music)

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