piwik no script img

Sven Giegold zur Zukunft von Ceta„Gabriel hat Kopfnüsse bekommen“

Karlsruhe sagt „Ja, aber“, das Regionalparlament der Wallonie sagt „Nein“. Der EU-Grüne Sven Giegold über das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada.

Sigmar Gabriel in Karlsruhe Foto: dpa
Eric Bonse
Interview von Eric Bonse und Sven Giegold

taz: Herr Giegold, das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt. Wie geht es nun weiter mit Ceta?

Sven Giegold: Die Verfassungsrichter haben ein salomonisches Urteil gefällt. Sie legen Europa nicht lahm, aber sie sichern auch die Kompetenzen der Bundesrepublik. Karlsruhe hebt sich damit wohltuend doppelt ab: Von Europa-Fans, die im Interesse schneller Entscheidungen in die Kompetenzen nationaler Parlamente eingreifen wollen, aber auch von antieuropäischen Ceta-Kritikern. Das Gericht hat Anforderungen formuliert, die vollumfänglich eingelöst werden müssen.

Was muss Deutschland nun tun?

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel muss nun bei den Anforderungen aus Karlsruhe liefern. Das gilt vor allem für die vorläufige Anwendung von Ceta, die Deutschland nun auch alleine aufheben darf. Gabriel hat ein paar Kopfnüsse aus Karlsruhe bekommen. Ob und wie er das schafft, das ist sein Problem. Übrigens sind auch die Anforderungen des SPD-Konvents noch nicht umgesetzt. Da geht es vor allem um die Beschränkung der Schiedsgerichte für Investoren und um die kommunale Daseinsvorsorge. Bisher ist die Protokollerklärung zu Ceta dazu noch viel zu vage. Nach dem letzten Entwurf kann Gabriel Ceta nicht unterzeichnen – sonst wird es sehr peinlich für ihn und seine Partei.

Und die EU?

Die Protokollerklärung muss überarbeitet werden, die geplante vorläufige Anwendung von Ceta muss rückholbar sein, auch für einen Einzelstaat wie Deutschland. Eine solche Rückholbarkeit hat es wohl noch nie gegeben – ich bin gespannt, wie das nun umgesetzt wird. Allgemeiner gesagt sollte die EU nun endlich die Konsequenzen aus dem Streit und den breiten Protesten der letzten Jahre ziehen. Ceta ist ein übergriffiger Vertrag, der tief in Demokratie und Rechtsstaat eingreift. Aus meiner Sicht wäre es daher am besten, das Abkommen neu zu verhandeln.

Bild: privat
Im Interview: Sven Giegold

gehörte im Jahr 2000 zu den Attac-Mitbegründern. 2008 trat er den Grünen bei und sitzt seit 2009 für seine Partei im Europaparlament. Der Ökonom gilt als Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.

In der kommenden Woche soll der EU-Handelsministerrat Ceta absegnen. Was passiert, wenn Belgien wie sich jetzt abzeichnet nicht mitspielt?

Da es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, wäre das Verfahren dann normalerweise aufgehalten. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob sich die Politiker über die nationalen Parteien und Institutionen hinwegsetzen. Wird das Nein der Wallonie von Belgien übergangen? Ich bin kein Jurist und schon gar kein belgischer und weiß das daher nicht, aber natürlich muss man das befürchten. Der Druck scheint gigantisch zu sein. Ceta wird wieder einmal als alternativlos bezeichnet, dabei gibt es nicht nur eine mögliche Handelspolitik. Den Handel nur von Bürokratie zu befreien ist eben nicht gewünscht.

Was passiert im Europaparlament? Kann es Ceta noch kippen?

Zunächst mal passiert viel zu wenig im Europaparlament! Ceta wird dort völlig unnötig im Eilverfahren ins Plenum gebracht. Die Fachausschüsse dürfen keine Stellungnahmen abgeben, die dann in den Hauptbericht einfließen würden. Auch wir im Wirtschaftsausschuss dürfen nur noch Ja oder Nein sagen. Von einer ausführlichen Beratung, wie sie Bernd Lange von der SPD (der Vorsitzende des Handelsauschusses, die Red.) versprochen hat, kann deshalb keine Rede sein. Als Abgeordneter fühle ich mich meiner Rechte beraubt. Sozialdemokraten und Christdemokraten haben gemeinsam dafür gesorgt, dass es nicht zu einer starken Parlamentsbeteiligung kommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    Die Wallonen werden ein paar Milliarden Euro aus der Eu-Kasse oder von Deutschland bekommen und damit zu glühenden Anhängern von CETA werden. Ist Giegold wirklich so naiv zu glauben, dass das Abkommen verhindert werden kann?

  • Aber Herr Giegold: Seit wann sind den CETA-Kritiker antieuropäisch? Ich kann mir nicht helfen, aber wenn das ihre Meinung ist, dann sind sie in der Politik fehl am Platze.

    Viele Grüße

  • @Noevil liegt schonn richtig &

    Beides - kluge Antworten auf den -

    Allfällig-vorauseilend naiven

    Christian Rath (- erneut!). https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5348646&s=Rath/

  • 'Kopfnüsse' für Gabriel ? Man muss Siggi G. nicht mögen, aber muss versuchen, gegen ihn mit Gewaltbegriffen politisch zu punkten ? Früher waren Grüne mal stolz auf den Grundsatz der Gewaltfreiheit. Giegold ist mir zu selbstgerecht.

  • Als ich aus den Nachrichten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erfuhr, war ich zunächst neugierig auf die Urteils-Begründung. Die Neugier verwandelte sich bei Bekanntgabe der Details in Genugtuung und ließ mich zurück mit dem Gefühl, im BVG eine verlässliche Größezu finden, der jeder Bürger vertrauen kann. Das ist es, was wir in unserem Land brauchen - selbst wenn wir sicher sein müssen, dass nicht jedes ihrer Urteile schmeckt, was in der Natur der Sache liegt. Nun gibt es einiges zu tun. Ich hoffe, dass das Rumeiern und Gemauschele nun endlich aufhört und die ehrliche Arbeit am Vertragswerk zugunsten fairer Lösungen beginnt. Wenn das nicht möglich ist, dann sollte, ebenso fair, Schluss sein damit.

     

    Ich halte das Urteil für eine salomonische Entscheidung. Gut gemacht BVG!