Susanne Messmer hat sich eine Plakatausstellung über Menschenhandel angesehen: Bitte stören! Ein Blick auf moderne Sklaverei
Auf einem der Plakate sieht man einen dieser Türanhänger aus dem Hotel mit der Aufschrift „Do not disturb“. Das „not“ ist durchgestrichen, und das passt sehr gut. Denn bei diesem wie bei rund 100 weiteren Plakaten, die ab sofort täglich von 8 bis 15.30 Uhr in einer Ausstellung namens „Menschen? Handel! – Hier und Heute?!“ im Foyer des Polizeipräsidiums am Platz der Luftbrücke 6 in Tempelhof ausgestellt sind, geht es vor allem darum, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, die Zivilgesellschaft zur Zusammenarbeit zu motivieren.
Um Zwangsarbeit, Organhandel, Zwangsprostitution, Zwangsadoption und Zwangsheirat geht es also: Das Geschäft mit der sogenannten Ware Mensch findet auch und gerade in Zeiten großer Migrationsbewegungen vor unserer begehrten Haustür statt. So mahnt die Broken Hearts Stiftung für die Opfer von Menschenhandel und moderner Sklaverei zur Beschäftigung mit diesem Thema. 2011 bis 2015 hat sie eine Wettbewerbsreihe für Grafikstudenten an Hochschulen in Hamburg, Hannover, Braunschweig, Saarbrücken und Trier zum Thema initiiert, nun zeigt sie diese erstmals in Berlin.
Auf der Eröffnung der Ausstellung erfährt man Erschütterndes. So schätzten Wissenschaftler beispielsweise, dass vom 16. bis zum 19. Jahrhundert etwa 12 Millionen Menschen als Sklaven aus Afrika nach Amerika verschleppt wurden. Trotz der formalen Abschaffung der Sklaverei auf dem Wiener Kongress 1815 muss heute davon ausgegangen werden, dass es weltweit mehr Sklaven gibt denn je, das amerikanische Außenministerium schätzt in seinem „Tip Report“ rund 27 Millionen.
Einer der Gründe, warum diese Zahl so hoch ist: Auch Arbeitsausbeutung zählt inzwischen selbst vor Gericht als moderne Form von Sklaverei – und Arbeitsausbeutung ist ein globales Problem. Scheinselbstständige Paketboten oder Zeitungsausträger, die sich nach deutschem Arbeitsrecht mitschuldig machen und so zum Schweigen gebracht werden: moderne Sklaven.
Werkvertragsarbeiter, die von Subunternehmern nach Deutschland gelockt werden, täglich mehr als 12 Stunden in schmutzigen Lagerhallen arbeiten und schlafen und oft vergeblich auf ihren Lohn warten, den sie zumindest für die Rückfahrt bräuchten: moderne Sklaven.
Bedienstete in Diplomatenhaushalten, unterbezahlte Arbeitskräfte in deutschen China-Restaurants, Kinderarbeiter in Bangladesch, die für die deutsche Textilindustrie nähen: alles moderne Sklaven.
Eines der besten, weil einfachsten Plakate der Ausstellung besteht aus schwarzer Schrift auf gelbem Grund. „Kalifornische Unternehmen müssen angeben, ob es in ihrer Zuliefererkette Menschenhandel oder Zwangsarbeit gibt“, steht da. Darunter, nach einem Absatz und in kursiver Schrift: „Deutsche nicht.“
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