Susanne Memarnia wundert sich über eine Nachricht: Ein Kreuz ist eben auch nicht „neutral“
Eigentlich ist das gar keine Geschichte. „Lehrerin darf kein Kreuz um den Hals tragen“, hieß es am Dienstag in der Berliner Zeitung. So what, könnte man meinen – schließlich gibt es in diesem unserem Bundesland ein „Neutralitätsgesetz“, das PolizistInnen, Justizangestellten und eben LehrerInnen das tragen religiös oder weltanschaulich konnotierter Zeichen respektive Kleidung verbietet.
Nun ist aber gerade dieses Gesetz weder in seiner Absicht noch in seiner Geschichte oder Wirkung „neutral“. Entstanden ist es nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003, das dekretierte, die Länder könnten durchaus das muslimische Kopftuch an Schulen verbieten – nur müssten sie dafür eben ein Gesetz schreiben. Prompt machte sich der damalige Innensenator (SPDler) daran, ein solches Gesetz – gegen das Kopftuch – zu formulieren. Weil das aber auf Widerstand beim Koalitionspartner (PDS) stieß, fand man den Kompromiss, alle religiösen Zeichen zu verbieten. Das ließ sich auch viel besser vermarkten, Neutralität klingt eben besser als antimuslimisch. Und in dem Getöse, das dies Vorhaben machte, ließ sich gut verbergen, dass man jene PädagogInnen, die schon lange die Gewohnheit hatten, hie und da ein Kreuzchen (oder einen Davidstern) zu tragen, trotzdem gewähren ließ.
So kehrte erst mal wieder Ruhe ein um die „Neutralität“. Bis kürzlich eine Lehrerin mit Kopftuch einen Rechtsstreit gegen das Land Berlin gewann, das ihr wegen dieses Corpus Delicti eine Anstellung verweigerte. Erneut wird nun um das Gesetz gestritten und es mehren sich die Stimmen, die es nicht mehr „zeitgemäß“ finden, LehrerInnen in ihrer religiösen Bekenntnisfreiheit zu beschränken. Nur die SPD, vor allem der Innensenator, bleibt hartnäckig bei der Position, das Gesetz sei Ausdruck der strikten Trennung von Staat und Religion.
Nun wissen wir nicht, was die Schulleitung der Weddinger Schule aktuell dazu bewogen hat, eine Lehrerin zu ermahnen, sich an geltendes Recht zu halten. Es wäre interessant zu erfahren, ob es etwa Ärger gab zwischen ihr und SchülerInnen anderer konfessioneller Herkunft – schließlich ist Wedding ein „multikultureller Problembezirk“.
Ergriff sie womöglich unzulässigerweise Partei in einer Auseinandersetzung zwischen christlichen und – sagen wir – muslimischen SchülerInnen? Genau dies sind ja die Argumente der VerfechterInnen des Neutralitätsgesetzes, die sonst allerdings gegen Kopftuchträgerinnen vorgebracht werden. Was wir aber wissen: Man sollte jetzt ganz aufmerksam hinhören, ob und wer nun „Skandal“ ruft. Denn das ist der Weddinger Fall ganz sicher nicht.
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