Susanne Memarnia sinniert darüber, wie man trotz BVG-Streiks von A nach B kommt: Es könnte auch sein Gutes haben
Dass ein Streik bei öffentlichen Beförderungsunternehmen, wie er heute bei der BVG von Betriebsbeginn bis 12 Uhr mittags ansteht, gewisse Unannehmlichkeiten mit sich bringt, wurde von den Berliner Leitmedien in den vergangenen Tagen ausführlich ventiliert. Unterbelichtet blieb dabei aber oft die Frage, ob der Quasistillstand von Bus und Bahn – die S-Bahn und einige Buslinien von Subunternehmen in den Außenbezirken fahren ja – nicht auch sein Gutes haben und wie man ihm „erfinderisch“ begegnen kann.
Bei der Frage, wie man an einem solchen Tag von A nach B kommt, wenn man es nicht ganz vermeiden kann, das Haus zu verlassen, ist wie so oft der naheliegendste Gedanke (das Auto) nicht der beste. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was auf den Straßen los wäre, wenn zum ganz alltäglichen Autowahnsinn auch noch ein erklecklicher Teil der geschätzt 1,5 Millionen täglichen BVG-NutzerInnen hinzukommt (die Zahl ergibt sich grob aus den 3 Millionen täglichen Öffi-Passagieren).
Man kann es natürlich trotzdem versuchen – und wird am Ende des Tages vielleicht mit der Einsicht belohnt, dass das baldige Ende des erdölbasierten Individualverkehrs aus klima- und verkehrspolitischen Gründen unausweichlich ist. Einfach ausgedrückt: Dass die Stadt zu vollgestopft ist mit stehendem, fahrendem, stinkendem Blechschrott, wird einem ganz besonders bewusst werden.
Die clevere Alternative ist natürlich das Fahrrad – und bei vorhergesagtem frühlingshaften Sonnenschein werden diese wohl viele wählen. Zumindest jene, die einen Anfahrtsweg von weniger als, sagen wir mal, 10 Kilometern haben, können den Streik- als Fitnesstag nutzen und/oder die Winterfaulzeit einfach früher als geplant beenden. So könnte die Verlegenheitslösung zur politischen Demonstration mutieren. Denn plötzlich mit Rädern vollgestopfte Radwege und Straßen führen unseren Politikern eindrücklich vor Augen, dass der Ausbau von Radschnellwegen nicht länger vertrödelt werden darf.
Für Menschen mit richtig langen Wegen kommt das natürlich kaum infrage. Sie werden wohl in den sauren Apfel beißen, sprich die übervollen S-Bahnen nutzen müssen. Aber auch sie könnten sich ein Stück des Weges versüßen: Warum nicht ein E-Bike, einen E-Roller oder auch ein normales Fahrrad mieten, die ohnehin überall in der Stadt darauf warten, genutzt zu werden?
Aber vermutlich ist so ein Warnstreik doch zu kurz, um verkehrspolitisches Umdenken zu produzieren. Es wird wohl so laufen: Millionen BerlinerInnen werden sich schlechtgelaunt durch den Vormittag wurschteln – und am Nachmittag läuft, fährt und hupt alles wieder im alten Trott.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen