Suppenschildkröten gehen Männchen aus: Fortpflanzung in Gefahr
Wird es wärmer, verschiebt sich bei den Grünen Meeresschildkröten das Geschlechterverhältnis rapide. Das sorgt für Nachwuchsprobleme.
Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas) hatten es schon immer schwer. Nicht nur, dass sie oft frühzeitig ihr Leben verlieren, wenn sie frisch geschlüpft über den offenen Sand zum Wasser rennen. Als erwachsene Tiere müssen sie auch damit rechnen, vom Menschen zu einer kulinarischen Delikatesse verarbeitet zu werden. Weswegen man sie bis heute als „Suppenschildkröten“ bezeichnet. Und nun droht ihnen noch eine Katastrophe. Denn sie haben kaum noch Männchen, und so kann der Arterhalt nicht funktionieren.
Wie bei vielen anderen Reptilien, so wird auch bei Seeschildkröten das Geschlecht der Nachkommen wesentlich durch die Temperatur bestimmt, unter denen sich die Embryonen in ihren Eiern entwickeln. Sinkt die Quecksilbersäule in Richtung 28 Grad, schlüpfen zunehmend Männchen; steigt sie hingegen in Richtung 32 Grad, kommen immer mehr Weibchen heraus. Der Grund: Je höher die Temperatur, umso aktiver ein Enzym namens Aromatase, das männliche in weibliche Sexualhormone umwandelt.
Die „evolutionäre Absicht“ dieser Strategie besteht darin, dass in stressigen Hitzeperioden nur besonders robuste Exemplare schlüpfen – und das sind bei den Seeschildkröten die Weibchen. Die zierlicheren Männchen hingegen bekommen ihre Chancen, wenn das Wetter angenehm kühl ist. Es trägt also zum Arterhalt bei, dass Seeschildkröten die Temperatur über das Geschlecht ihres Nachwuchses entscheiden lassen. Denn die Männchen sind nicht fit genug, um heiße Sommer zu überleben.
Doch jetzt mutiert dieser Geniestreich der Evolution mehr und mehr zu einer Katastrophe. Denn ein australisch-amerikanisches Forscherteam hat die Suppenschildkrötenbestände im Nordosten Australiens analysiert und dabei eine deutliche Geschlechtsverschiebung ausgemacht. Über 86 Prozent der Tiere stellten sich als weiblich heraus, und bei den Jungtieren lag ihr Anteil sogar bei fast 100 Prozent. Dass dadurch auch die Chancen auf Paarbildung und Nachwuchs gegen null sinken, liegt auf der Hand. „Den Artbestand der Suppenschildkröten in Nordaustralien muss man deshalb als stark gefährdet bezeichnen“, warnt Studienleiter Michael Jensen von der Atmosphären- und Ozeanforschungsbehörde im kalifornischen La Jolla.
Der Meeresbiologe sieht im aktuellen Klimawandel den Hauptschuldigen der zunehmenden Feminisierung. Doch noch gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer vor dem Horizont des Untergangs. Denn in ihrer über 100 Millionen Jahre währenden Geschichte überlebten die Meeresschildkröten schon deutlich wärmere Phasen als heute. Nur dass die nicht so schnell über die Erde kamen wie der vom Menschen angeheizte Klimawandel. Er könnte dadurch die Anpassungsfähigkeit der Suppenschildkröte überfordern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“