piwik no script img

Super Bowl LV in FloridaMoment der Demut

Normalerweise ist das Finale um Amerikas begehrteste Sporttrophäe ein Hochamt des Patriotismus. In diesem Jahr werden leisere Töne angeschlagen.

Buccaneer Mike Evans trainiert vor dem Super Bowl gegen Kansas City Foto: Kyle Zedaker/USA Today

New York taz | Würde man auf den Straßen Amerikas nachfragen, wer im Jahr 1991 den Super Bowl gewonnen hat, dann würde man in der Mehrzahl der Fälle wohl einen ratlosen Blick ernten. Abgesehen von eingefleischten Football-Fans und älteren New Yorkern könnte sich vermutlich niemand mehr so genau daran erinnern, dass die New York Giants damals gegen die Buffalo Bills die begehrteste Trophäe in Amerikas liebstem Sport geholt haben.

Wesentlich mehr Amerikaner würden sich hingegen daran erinnern, wie vor dem Spiel im Stadion von Tampa, just da, wo an diesem Wochenende erneut den Super Bowl ausgetragen wird, Whitney Houston das Mikrofon in die Hand nahm und mit ihrem Vortrag der Nationalhymne eine Vorstellung für die Ewigkeit ablieferte. Bis heute bekommen Millionen Amerikaner Gänsehaut, wenn sie sich auf Youtube das Video anschauen.

Die Performance war damals allerdings nicht alleine wegen Whitney Houstons Jahrhundertstimme so wuchtig. Houston vermochte es, zumindest für einen Moment, eine zerrissene Nation zusammen zu bringen. Die USA hatten gerade den ersten Golfkrieg angezettelt und die Hälfte des Landes war über die Sinnlosigkeit der Expedition entrüstet. Die andere Hälfte forderte bedingungslosen Patriotismus. Erinnerungen an die Vietnam-Ära wurden wach, doch Houston überbrückte mit der Kraft ihrer Stimme die Gräben.

Der Super Bowl erfüllte damals trefflich ihre Funktion als Ritual der nationalen Einigung. 30 Jahre später scheinen die Zentrifugalkräfte des Landes jedoch selbst für den Super Bowl zu gewaltig geworden zu sein. Bereits im letzten Jahr demonstrierte der Super Bowl eigentlich nur die Unversöhnlichkeit Amerikas mit sich selbst. Das Spiel war eingerahmt von einem politischen Werbeclip des amtierenden Präsidenten auf der einen Seite und dem eines seiner Herausforderer, Michael Bloomberg, auf der anderen.

In der Mitte stand die Halbzeit-Show von Jennifer Lopez, die sich als einzige Künstlerin von einer Liga beschäftigen ließ, die sich weigerte, dem Bürgerrechtler Colin Kaepernick einen Job zu geben. Doch auch J-Lo blieb nicht brav. Sie machte auf die Situation von eingesperrten und isolierten Kindern an der mexikanischen Grenze aufmerksam zu machen.

Ende des Exzesses

Wiederum ein Jahr später wirkt sogar der Rückblick darauf wie die Erinnerung an eine bessere Zeit. Amerika hat sich noch lange nicht von dem Schock des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar erholt. Die wirtschaftliche Not im Land wird mit jeder Woche der Pandemie und des Zanks im Kongress größer. Und die Zahl der Corona-Opfer ist eine nationale Schande.

So werden die USA in diesem Jahr einen Super Bowl erleben, wie es ihn noch nie gegeben hat. Es wird ein Super Bowl, der eher leise und bescheiden daher kommt. Für das übliche Brustgetrommel und das hemmungslosen Ausleben von Amerikas großen Leidenschaften – dem Kommerz und dem Militär – ist es nicht die richtige Zeit.

Das Zurückfahren des Exzesses beginnt schon bei der werbenden Wirtschaft, die ansonsten bereit ist, für das TV-Spektakel tief in die Taschen zu greifen. Trotz des stolzen Preises von 5,5 Millionen Dollar pro 30 Werbesekunden hatten die Sendenetzwerke in der Vergangenheit keine Probleme damit, die vier Stunden Sendezeit auszubuchen. In diesem Jahr sind hingegen noch reichlich Plätz zu haben. Selbst treue Stammkunden wie Coca-Cola, Pepsi und Budweiser setzen diesen Super Bowl aus.

Das liegt gewiss auch an der komplizierten Stimmung in der Bevölkerung. So gab ein Werbeexperte gegenüber dem New York Magazine preis, dass zurzeit jeder Kunde Angst davor habe, irgendjemanden vor den Kopf zu stoßen. Entsprechend sind die Werbeclips, die vor dem Super Bowl bereits an die Öffentlichkeit gedrungen sind: Eher brav und belanglos.

Auch im Stadion bemüht man sich in diesem Jahr verzweifelt darum, den richtigen Ton für diesen Moment zu treffen. Die Football-Liga NFL versucht sich betont heilend für die geschundene nationale Seele zu geben. 7,500 Freikarten wurden an geimpfte Krankenpfleger und Ärzte vergeben. Die sollen nun im zu zwei Drittel leeren Stadion für Stimmung sorgen.

Der neue amerikanische Super Star Amanda Gorman wird ein Gedicht vortragen

Die Nationalhymne wird diesmal von dem Duo Eric Church und Jazmine Sullivan vorgetragen – einem Country-Sänger und einer Rhythm-and-Blues-Künstlerin. Die Wahl soll versinnbildlichen, dass die Kulturen des Landes – weiß und südlich, schwarz und urban – doch etwas gemein haben.

Football und Lyrik

Kurz danach wird der neue amerikanische Super Star Amanda Gorman auftreten und erstmals in der Geschichte des Super Bowl ein Gedicht vortragen. Die junge Poetin aus Los Angeles hatte bei der Amtseinführung von Joe Biden die Nation mit ihrer Botschaft der Hoffnung zu Tränen gerührt.

Die neuartige Verbindung von Football und Lyrik sagt vielleicht am meisten über diesen nationalen Moment der Demut aus. Ganz verkneift sich allerdings der Super Bowl am Ende doch nicht das Säbelrasseln. Man verzichtet auch in diesem Jahr nicht auf das obligatorische Flyover von Kampfjets als Kontrapunkt zu Gormans Kunst. Immerhin – die Luftwaffe entsendet diesmal in einer Geste der Inklusion ausschließlich weibliche Kampfpilotinnen.

Ob diese neuen Töne der NFL auch in den amerikanischen Haushalten ankommen, ist indes eher unsicher. Die Einschaltquoten für Football waren die gesamte Saison über eher schwach. Einzig das Conference Finale von Tom Bradys Buccaneers gegen die Green Bay Packers lockte die Menschen vor die Bildschirme. Ansonsten hatte man andere Sorgen. So wird wohl auch die klassische Super-Bowl-Party mit Chicken Wings und Dosenbier in Covid-Zeiten in den meisten Teilen des Landes eher ausbleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.