piwik no script img

SuizidassistenzGemeinsam gehen nach langer Ehe

Der Anteil der begleiteten Doppelsuizide nimmt zu. Die Zahl der Suizidassistenzen steigt aber nicht bei allen Organisationen.

Robert Rossbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, auf einer Pressekonferenz in Berlin Foto: Stefan Boness/ipon

Berlin taz | Man weiß nicht, ob man die Geschichte rührend finden kann oder nicht doch ein bisschen gruselig: Ein Ehepaar, beide über 90 Jahre alt, schreibt einen Brief an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Im April dieses Jahres, also in drei Monaten, feiern die beiden ihren 70. Hochzeitstag. Statt eines rauschenden Festes aber wünschen sie sich, gemeinsam „gehen zu können“- wie es in der Sprache der Suizidhelfer heißt. Der Termin für den gemeinsamen Suizid wird auf den kommenden Hochzeitstag gelegt.

Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) erzählt von dem Beispiel der beiden sterbewilligen Eheleute, das ihn „sehr berührt“ habe. In dem Fall sei keiner der beiden Part­ne­r:in­nen todkrank gewesen, so Roßbruch. Die beiden erklärten vielmehr, sie hätten ein schönes gemeinsames Leben gehabt und nun sei es genug. Den Tod des anderen erleben zu müssen und die zunehmenden Einschränkungen, das wollte keiner der beiden, die lange schon Mitglieder der DGHS waren. Die Familie der beiden, so Roßbruch, toleriere die Entscheidung.

„Lebensattheit“ heißt das Motiv, das in einem solchen Fall bei den Sui­zid­hel­fe­r:in­nen in der Statistik erscheint. 22 Prozent der begleiteten Selbsttötungen erfolgten deshalb, erst danach folgen Krebserkrankungen oder neurologische Erkrankungen in der Statistik. Häufiger noch, nämlich zu 28 Prozent, wird die „Multimorbidität“, also eine Vielzahl von Krankheiten auf einmal, als Motiv angegeben. Es sind Fälle, in denen Menschen zum Beispiel die Wohnung nicht mehr verlassen können, wenn Schmerzen dazukommen, schilderte Roßbruch. Viele der Sterbewilligen wollten zudem nicht zum Pflegefall werden. Das Durchschnittsalter der Suizidwilligen liege bei 79 Jahren.

In 623 Fällen vermittelte 2024 die DGHS die von ihr sogenannten „Freitodbegleitungen“. Ein Jahr zuvor lag die Zahl der Fälle noch bei 418. In 38 Fällen handelte es sich um sogenannte „Doppelbegleitungen“, so Roßbruch. Dabei wird Ehepaaren beim gemeinsamen Suizid assistiert. Die Zahl der Doppelbegleitungen habe sich im Vergleich zum Jahr davor verdreifacht, so der DGHS-Präsident. Er führte dies darauf zurück, dass das Alter der DGHS-Mitglieder steige und sich hochaltrige Ehepaare dann entschieden, gemeinsam aus dem Leben zu gehen.

Bevölkerung schlecht informiert

Die Zahl der Suizidassistenzen werde in diesem Jahr aber tendenziell eher stagnieren, sagte Roßbruch. Dies schließe er aus den Anträgen im Januar. In den anderen beiden Sterbehilfeorganisationen, Dignitas und dem Verein Sterbehilfe, ist die Zahl der Fälle im Jahr 2024 bereits leicht zurückgegangen. Der Verein Sterbehilfe leistete 2024 in 171 Fällen Suizidhilfe, 2023 waren es 196 Fälle. Dignitas verzeichnete 183 Fälle 2024. Eine Erklärung für den Rückgang konnte der Verein Sterbehilfe auf Anfrage der taz nicht geben.

Roßbruch beklagte am Dienstag, dass die Bevölkerung über die Möglichkeit der Suizidassistenz zu wenig informiert sei. Eine von seinem Verein beim Meinungsforschungsinstitut Forsa beauftragte Umfrage ergab, dass 83 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass es verboten ist, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten. Dies ist aber nicht der Fall. Befragt wurden dazu im Oktober rund 1.200 Volljährige per Telefon.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, dafür die Hilfe dritter, auch professioneller Kräfte, in Anspruch zu nehmen. Die „Freiverantwortlichkeit“ der Sterbewilligen müsse gesichert sein. Die genaue Motivlage der Suizidwilligen dürfe aber keine Rolle spielen, urteilte das Gericht.

Kirchliche Heime weigern sich

Voraussetzung der Suizidhilfe durch die DGHS ist in der Regel eine mindestens halbjährige Mitgliedschaft. Nach einem Antrag auf Suizidhilfe erfolgt eine Begutachtung durch einen Juristen und einen Arzt. Liegt in der Vorgeschichte eine psychische Erkrankung vor, muss ein Psychiater die Freiverantwortlichkeit attestieren. Die Kosten für die Assistenz belaufen sich auf rund 4.000 Euro.

Roßbruch bemängelte, dass sich viele Pflegeheime in kirchlicher Trägerschaft weigerten, Suizidhilfe in ihrer Einrichtung zuzulassen. Die DGHS bereite gerade eine Klage gegen ein katholisches Heim vor, das den Suizidbegleitern einen Zutritt verwehrte.

Der Präsident der DGHS betonte, es bräuchte keine weiteren rechtlichen Regelungen für die Suizidassistenz. Der Bundestag beriet in der Vergangenheit allerdings über mehrere Gesetzentwürfe, die eine Beratung oder Begutachtung vor der Hilfe zur Selbsttötung vorsahen und dies rechtlich festschreiben wollten. Keiner dieser Entwürfe fand jedoch eine Mehrheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Das Urteil des Verfassungsgerichts war eindeutig - jeder, auch jemand mit psychischen Erkrankungen, hat das Recht, über seinen eigenen Tod zu entscheiden. Das Urteil ist zu respektieren - und die Entscheidung darüber sollte alleine beim Sterbewilligen liegen, und nicht bei einem Halbgott in Weiß, der das in einem Gutachten entscheidet.



    Nachdem die Regierung den Erwerb entsprechender Medikamente seit Jahren blockiert, bleiben eben nur Sterbehilfevereine.

  • Jeder soll für sich entscheiden können, ab er diese Hilfe in Anspruch nehmen will oder nicht. Von der jeweiligen Organisation wird ja überprüft, ob es wirklich der eigene begründete Wille ist. Und es gibt genügend verständliche Gründe für eine Inanspruchnahme. Jeder Mensch entscheidet für sich, welche Art und Weise für Ihn lebenswert ist. Artikel 2, Satz 2 sagt: 'Die Freiheit der Person ist unverletzlich.' Deshalb hat jeder Mensch auch die Freiheit, sich für eine Sterbebegleitung zu entscheiden. Und genau deshalb hat auch das Bundesverfassungsgericht im Januar 2020 geurteilt, dass "das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht umfasst, dafür die Hilfe dritter, auch professioneller Kräfte, in Anspruch zu nehmen. Die 'Freiverantwortlichkeit' der Sterbewilligen müsse gesichert sein." Es ist beruhigend zu wissen, dass man bei Bedarf diesen Ausweg gehen kann.

  • Schöne neue Welt.

  • Viele Medien weisen bei Berichten über solche Themen auch auf reichlich verfügbare Beratungsangebote und -stellen hierzu hin. Vielleicht noch eine Idee?

  • Nebenpunkt: Die Selbsttötung ist keine Option für katholisch oder christlich lebende Menschen, wenn sie dabei der Meinung der Schrift folgen. Daher ist die erwähnte Abweisung auch wieder verständlich. Sonst würden wieder andere klagen, wie "heuchlerisch" "die Kirche" sei, dass sie es zulasse.

    Dass ein Leben auch ohne den Partner m/w/d weitergehen kann, selbst bei der empathisiertesten Partnerschaft davor, selbst bei inzwischen geringerer Witw*rente, sollte auch der Vollständigkeit halber erwähnt werden.

  • "Die Kosten für die Assistenz belaufen sich auf rund 4.000 Euro."

    Die "Kosten" der Kunden sind Grundlage für das Geschäftsmodell der Anbieter. Es ist einfach nur noch makaber, was für Dimensionen das Ganze angenommen hat. Wenigstens die kirchlichen Träger wehren sich noch gegen diesen Trend.

  • Vielen Dank für den Artikel und die damit verbundene Aufklärung. Was ist DGHS tut, ist auch eine Form von Menschenrechtsarbeit.

    • @Michael:

      Da stimme ich zu