Sudans Krieg steht vor der Entscheidung: Armee verjagt den Feind und jagt „Kollaborateure“
Sudans Regierungsarmee fügt der RSF-Miliz schwere Niederlagen zu und erzielt einen Durchbruch in der Hauptstadt Khartum. Viele Zivilisten starben.
Die Regierungsstreitkräfte SAF (Sudanese Armed Forces) von Armee- und Staatschef General Abdelfattah al-Burhan sind im Begriff, die aufständische Miliz RSF (Rapid Support Forces) des ehemaligen Vizepräsidenten Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hametti, vollständig aus der Hauptstadt Khartum zurückzudrängen. Gelingt das, hätte die Regierung den Krieg gewonnen.
Am 26. Januar besuchte Burhan zum ersten Mal seit anderthalb Jahren wieder das Hauptquartier der Armee in Khartum, das im August 2023 an die RSF gefallen war. „Unsere Kräfte sind in Hochform“, freute er sich und erklärte, die „terroristischen Milizen“ der RSF seien „zum Verschwinden verurteilt“.
Burhan und seine Regierung residieren seit 2023 in Port Sudan am Roten Meer. Khartum ist Kriegsgebiet, seit die RSF dort am 15. April 2023 in den Aufstand trat. Ihr Putschversuch scheiterte, aber es entwickelten sich Straßenkämpfe samt Luft- und Artillerieangriffen ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung; zwei Drittel der fünf Millionen Hauptstadtbewohner flohen und der Krieg weitete sich schnell auf ganz Sudan aus.
Hungersnot und Gegenoffensive
Inzwischen sind von den rund 46 Millionen Vorkriegsbewohnern Sudans annähernd 15 Millionen auf der Flucht, drei Millionen davon in Nachbarländern. Zwei Drittel der Bevölkerung ist zum Überleben auf humanitäre Nothilfe angewiesen. UN-Experten stellten im Juli 2024 erstmals eine Hungersnot nach internationaler Definition fest, und zwar im Vertriebenenlager Zamzam der von der RSF belagerten Stadt El Fasher in Darfur. Ende 2024 ermittelten die Experten des internationalen Hungerfrühwarnsystems IPC Hungersnöte in vier zusätzlichen Orten und prognostizierten eine Ausweitung auf 17 weitere bis Mai 2025.
Die Kontrolle über Sudans fruchtbarste Landesteile am Blauen Nil südlich von Khartum entscheidet über die Kontrolle des Zugangs zu Nahrung. Die RSF hatte im Dezember 2023 Wad Madani erobert, Hauptstadt des Bundesstaates Gezira und Zufluchtsort für viele Geflüchtete aus Khartum. Und im Juli 2024 dann Sinja, Hauptstadt des benachbarten Bundesstaates Sennar. Damit schien ihr Sieg in greifbare Nähe zu rücken.
Aber im September 2024 begann die Armee eine Gegenoffensive, eroberte am 23. November 2024 Sinja zurück und am 11. Januar 2025 Wad Madani. Danach verlagerten sich die Kämpfe nach Khartum: Inzwischen hat die RSF fast alle von ihr kontrollierten Stadtteile verloren.
Während die Armee nun auf die vollständige Eroberung Khartums setzt, konzentriert sich die RSF auf El Fasher, die letzte noch nicht von ihr kontrollierte Provinzhauptstadt in ihrer Hochburg Darfur. El Fasher mit seinen riesigen Vertriebenenlagern wird seit Monaten belagert, die humanitäre Lage der Bevölkerung gilt als schlimmste der Welt.
Mitte Januar setzte die RSF der Regierungsarmee eine Frist bis 22. Januar, sich aus El Fasher zurückziehen. Als die Frist verstrich, wurde ein Vertriebenenlager mit Artillerie beschossen. 67 Menschen starben außerdem bei einem Drohnenbeschuss eines der letzten noch funktionierenden Krankenhäuser in El Fasher. Die Regierung antwortete mit schweren Luftangriffen auf Nyala, Hauptstadt der Provinz Süd-Darfur, die mehrere Dutzend Tote forderten.
Auch die Schlacht von Khartum geht mit schweren Angriffen beider Seiten auf die Zivilbevölkerung einher. Am 31. Januar beschoss die RSF einen Markt in Khartums Nachbarstadt Omdurman am Westufer des Nils, über 60 Menschen wurden getötet. Nach UN-Angaben starben in der letzten Januarwoche 89 Zivilisten durch Luftangriffe oder Artilleriebeschuss, in der ersten Februarwoche bereits 275.
Das Internationale Komitee des Roten Kreuz wies Ende Januar auf zunehmende gezielte Angriffe auf „kritische Infrastruktur“ hin, also Strom- und Wasserwerke.
„Summarische Hinrichtungen“ und Racheakte
Die Regierung stellt ihren Siegeszug als Weg zum Frieden dar. Aber die Erfolge der Armee, die von lokalen Milizen unterstützt wird, gehen mit Übergriffen auf die Zivilbevölkerung einher. Bereits nach der Rückeroberung von Wad Madani wurden verbreitete Racheangriffe gemeldet. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk sprach Ende Januar von „summarischen Hinrichtungen“ durch „die Armee und verbündete Milizen“ mit mindestens 18 Toten in zurückeroberten nördlichen Stadtvierteln von Khartum seit dem 25. Januar.
Amnesty International berichtete am Wochenende, zahlreiche als RSF-Kollaborateure denunzierte „Kleinunternehmer, freiwillige Nothelfer und andere Aktivisten“ seien ermordet worden. Und es zirkulierten bei der Armee Listen mutmaßlicher RSF-Sympathisanten in Khartum, die jetzt in Gefahr seien: „Namen von Politikern, Aktivisten, Gesundheitsarbeitern, Staatsanwälten und Angehörigen von Protestgruppen“.
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In Sudan liefern sich Einheiten der Armee und der paramilitärischen RSF-Miliz (Rapid Support Forces) seit dem 15. April 2023 Kämpfe im ganzen Land. Der Machtkampf setzt den Bemühungen zur Demokratisierung Sudans vorläufig ein Ende.
Zudem führt die Regierung gegen die RSF einen Wirtschaftskrieg, unter dem auch die Bevölkerung leidet. Sie hat im Dezember neue Geldscheine eingeführt. Die werden nur von ausgewählten Banken im Regierungsgebiet ausgegeben und nur sehr limitiert: 200.000 sudanesische Pfund pro Kunde, nach UN-Angaben der Gegenwert von 80 US-Dollar. Damit wird nicht nur das sonstige in Sudan umlaufende Bargeld ungültig. Auch UN-Hilfswerke klagen, sie könnten nun etwa Spediteure und Fahrer für Hilfstransporte nicht mehr bezahlen.
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