Sudan: Europa an der Darfur-Front

Der UN-Sicherheitsrat stimmt zu, 3.000 EU-Soldaten im Tschad und Zentralafrika zu stationieren. Sie sollen ein Übergreifen der Gewalt im Sudan verhindern.

Drei von Hunderttausenden Flüchtlingen: Sudanesische Kinder in Ägypten Bild: ap

Soldaten der Europäischen Union sollen demnächst in einer der unwirtlichsten Gegenden der Erde einen der brutalsten Konflikte der Welt eindämmen. Der UN-Sicherheitsrat gab am Montagabend grünes Licht für die Entsendung von bis zu 3.000 EU-Soldaten in den Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Dort, wo diese Länder an Sudans Kriegsregion Darfur angrenzen, sollen sie die Bevölkerung schützen. Die EU-Truppe, in der Frankreich die führende Rolle spielen wird, ist offiziell die militärische Komponente einer UN-Mission.

Erstmals wird damit europäisches Militär direkt an die Front gegen die Ausbreitung des Darfur-Konfliktes geschickt, der in vier Jahren über 2,5 Millionen Vertriebene und Hunderttausende Tote produziert hat. Die Vertreibungen schwarzafrikanischer Völker durch Sudans Regierungsarmee und regierungstreue Milizen in Darfur haben längst auf die beiden westlichen Nachbarländer übergegriffen. Im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik entstanden letztes Jahr mit sudanesischer Unterstützung Rebellionen gegen die jeweiligen Regierungen. Im Osten des Tschad toben parallel dazu Vertreibungskriege zwischen "arabischen" und "afrikanischen" Volksgruppen, im Norden der Zentralafrikanischen Republik führen Regierung und Milizen gegeneinander einen Krieg der verbrannten Erde.

Von der unmenschlich heißen uranreichen Ennedi-Wüste im Nordosten des Tschad an der Grenze zu Libyen bis ins Umland der Diamantenhandelsstadt Bria 1.500 Kilometer weiter südlich in der Savanne der Zentralafrikanischen Republik reicht nun das vorgesehene Einsatzgebiet der voraussichtlich rund 3.000 EU-Soldaten. Sie sollen "zum Schutz von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und bedrohten Zivilbevölkerungen beitragen", wie es in einem von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vorgelegten Konzeptpapier heißt, dessen förmliches "Begrüßen" durch den UN-Sicherheitsrat am Montag den offiziellen Startschuss für den Einsatz darstellt. Die EU-Intervention muss nun noch am 17. September von den EU-Außenministern gebilligt werden, die am 23. Juli bereits ihr prinzipielles Einverständnis dazu gaben. Die ersten Soldaten könnten dann im Oktober zum Einsatz kommen, wenn die Regenzeit in der Region vorbei ist.

Ursprünglich hatte die UNO Größeres vor. Mehr als 11.000 Blauhelmsoldaten für Tschad und die Zentralafrikanische Republik hatte Ban Ki Moon im Februar vorgeschlagen. Sudan und Tschad lehnten das ab. Im Mai schlug Frankreichs neuer Außenminister Bernard Kouchner, Vordenker des Konzepts humanitärer Militärinterventionen, "humanitäre Korridore" aus dem Tschad heraus nach Darfur vor, die von einer EU-Truppe abgesichert werden sollten. Verbreitete Skepsis darüber sorgte dafür, dass das Konzept auf einen Einsatz im Tschad selbst reduziert wurde. Aus Kouchners Eingreifidee und dem UN-Vorschlag vom Februar bastelten Frankreich und die UNO schließlich das jetzt gültige Interventionsmodell.

Viele Fragen bleiben dabei offen. So sollen die EU-Truppen in ihrem riesigen Einsatzgebiet ohne Infrastruktur "großflächige Sicherheit" herstellen, "als Vorbedingung für die Stationierung einer Polizeipräsenz" - eine Umschreibung des Umstands, dass hier bislang keine staatliche Autorität existiert. 236.000 Darfur-Flüchtlinge und 173.000 Binnenvertriebene zählt der Osten des Tschad; der Norden der Zentralafrikanischen Republik beherbergt rund 10.000 Darfur-Flüchtlinge, und über 200.000 Menschen sind auf der Flucht.

Die Unsicherheit in der Region nährt sich vor allem aus dem Umstand, dass Rebellen, Milizen und Bevölkerung problemlos die unmarkierten Grenzen zwischen den drei Ländern überschreiten können - aber Grenzsicherung wurde explizit aus dem UN-Konzept ausgeschlossen. Auch soll der Schutz von Vertriebenenlagern von Tschads Polizei gewährleistet werden - obwohl die meisten Vertriebenen deswegen auf der Flucht sind, weil Armee und Polizei ihre Dörfer nicht gegen bewaffnete Angreifer schützen.

Dem UN-Konzept zufolge sollen "Patrouillen zu Boden und in der Luft, tags und nachts, die Zivilbevölkerung beruhigen und Angriffe auf sie abschrecken". Nötig sei auch die Fähigkeit, "auf feindliche Aktionen robust zu antworten". Der Sichtbarkeit halber sollen große Truppenteile frühzeitig "in Gebieten mit einer großen Anwesenheit bedrohter Bevölkerungen" verlegt werden.

Zu erwarten sind also medienwirksame Landungen von Fallschirmjägern in zuvor von Milizen verwüsteten Dörfern oder Tiefflüge über mutmaßlichen Rebellenbasen. Das entspricht ziemlich genau dem, was Frankreichs Armee in dieser Region Afrikas ohnehin schon macht, und die EU-Mission wird auch die bestehende französische Infrastruktur nutzen, mit einem Hauptquartier in Tschads Hauptstadt Ndjamena, einem Feldquartier in der größten osttschadischen Stadt Abéché und weiteren Feldbüros in drei Städten des Tschad und zweien in der Zentralafrikanischen Republik.

Keine anderen Länder der Welt haben so viele französische Militärinterventionen und französisch organisierte Umstürze erlebt wie Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Die beiden Präsidenten Idriss Déby und Francois Bozizé verdanken es jeweils französischem Eingreifen, dass sie überhaupt noch regieren - beide gerieten letztes Jahr an den Rand des Sturzes durch vom Sudan unterstützte Rebellen. In beiden Ländern ist ständig französisches Militär stationiert - über 1.000 Soldaten im Tschad, rund 300 in der Zentralafrikanischen Republik.

Aber in den letzten Jahren hat Frankreichs Einfluss stark gelitten. Als im Tschad 2003 der Export von Erdöl begann, blieben französische Konzerne außen vor - die USA und Malaysia kamen zum Zug, und inzwischen ist China dazugekommen. Eine starke Ausrichtung nach China betreibt auch der 2003 an die Macht gekommene zentralafrikanische Präsident Bozizé.

In beiden Ländern versucht Frankreich nun, seinen Einfluss geltend zu machen, um die bedrängten Regierungen durch Öffnung Richtung Opposition zu stabilisieren. Im Tschad wurde Rebellenführer Mahamat Nour im April Verteidigungsminister, in der Zentralafrikanischen Republik wurden Milizenführer Abdoulaye Miskine aus dem Nordwesten und Rebellenführer Damane Zakaria aus dem Nordosten des Landes im Juli zu Präsidentenberatern ernannt. Im Tschad unterzeichneten Regierung und zivile Opposition am 13. August ein Abkommen über die gemeinsame Vorbereitung fairer Wahlen bis 2009, in der Zentralafrikanischen Republik fand letzte Woche ein erstes Vorgespräch zwischen Regierung und Oppositionsparteien zu einem "politischen Dialog" statt.

Aber von Dauer scheint das nicht zu sein. Der Zentralafrikaner Miskine hat aus dem Exil seine Ernennung abgelehnt. Beobachter warnen, die Autorität der Regierung sei auf die Hauptstadt Bangui beschränkt. Der Norden des Landes sei "ein Jagdgrund für die verschiedenen bewaffneten Oppositionsgruppen, Regierungsarmeen und Banditen der Region geworden", warnte kürzlich die Menschenrechtsorganisation amnesty international. Es sei daher ein Fehler, sich auf den Tschad zu konzentrieren.

Auch dort verschlechtert sich allerdings die Lage. Exrebellenführer Nour zog sich letzte Woche aus der Hauptstadt in den Osten des Landes zurück und soll seine Kämpfer, die er im Rahmen seines Regierungseintritts als Verteidigungsminister kräftig aufrüsten konnte, zurück in den Krieg geschickt haben.

Welche EU-Mitgliedstaaten trotz dieser Warnsignale ihre Soldaten hinschicken wollen, ist noch nicht klar. Neben Frankreich hat sich bislang nur Polen zur Truppenentsendung bereit erklärt. Deutschland ist offiziell komplett dagegen. Der geplante Tschad-Einsatz folgt allerdings auf den ersten EU-Einsatz in Afrika 2006 in der Demokratischen Republik Kongo, als 20 europäische Länder unter Führung Deutschlands und Frankreichs halfen, die Wahlen abzusichern. Der Einsatz wurde allgemein als Erfolg gewertet und als Modell für künftige Zusammenarbeit. Die Diskussion um Deutschlands Beitrag zu einer als "humanitär" deklarierten EU-Mission im Tschad dürfte zunehmen, nachdem die SPD-Politikerin Hertha Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag und des Afrikakreises der SPD-Fraktion, nächste Woche Tschad besucht und in die Flüchtlingslager fährt.

Wobei die Konzentration der EU auf Tschad und die Zentralafrikanische Republik noch einen Nebeneffekt hat: Von einem europäischen Eingreifen in Darfur selbst, dem Herd der Konflikte, ist keine Rede mehr. Die geplante Eingreiftruppe von UNO und Afrikanischer Union (AU) in der westsudanesischen Krisenregion wird hauptsächlich von Asiaten und Afrikanern gestellt werden, mit vermutlich schlechterer Ausrüstung, weniger gesicherter Finanzierung und einem weniger robusten Mandat als die Elitetruppe aus Europa nebenan.

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