Suche nach dem Endlager: Ton, Salz, Granit
In Deutschland gibt es viele potenzielle Endlagerstandorte – und ein fertiges Konzept für ein Suchverfahren. Doch erkundet wird bisher nur in Gorleben.
GORLEBEN taz | Es herrscht reger Verkehr in Gorleben. Nicht nur auf dem Gelände des Erkundungsbergwerks, wo die Polizei vor dem Castortransport ein großes Containerdorf aufgebaut hat und die Beamten ihre Pferde ausreiten, sondern auch 800 Meter weiter unten.
Jeeps und Gabelstapler fahren die Straßen entlang, die in den Salzstock von Gorleben gegraben worden sind. An einer Stelle bereiten Bergleute eine neue Bohrung vor, an einer anderen vermessen Geologen mit aufwendiger Radartechnik die Struktur des Salzes. Seit vor einem Jahr der Erkundungsstopp in Gorleben aufgehoben wurde, arbeiten wieder 180 Menschen im Bergwerk, nächstes Jahr soll ihre Zahl auf 240 steigen.
Ob die derzeitigen Aktivitäten wie geplant weitergehen werden, scheint fraglich. Denn vor wenigen Wochen haben sich Bund und Länder darauf verständigt, die Suche nach einem Endlager nun im "Konsens" zu lösen und dafür bis zum Sommer ein Verfahren zu entwickeln und einen Gesetzentwurf vorzulegen. "Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten sich an diesem ergebnisoffenen Prozess beteiligen", sagt Bundesumweltminister Norbert Röttgen. "Es ist unverständlich, wenn auf eingefahrenen Wegen weiter demonstriert wird, als sei nichts geschehen."
Die Gorleben-Gegner weisen diese Kritik zurück: "Wer weiter strahlende Abfälle ins Wendland karren lässt und wer Tag und Nacht das Bergwerk im maroden Salzstock Gorleben weiter ausbaut, dem geht es nicht um einen Neuanfang, sondern darum, Tatsachen zu schaffen", sagt etwa Jochen Stay von der Antiatomkraftinitiative .ausgestrahlt. Diese Befürchtung stößt auch auf offizieller Seite auf Verständnis.
"Die Politik muss offene Suche beginnen"
Das Bundesamt für Stahlenschutz (BfS), eine dem Umweltministerium untergeordnete Behörde, ist für die Atommüllendlagerung zuständig und formaler Betreiber des Erkundungsbergwerks Gorleben. Der Leiter Wolfram König begrüßt die Einigung von Bund und Ländern auf den Neubeginn zwar als "ganz wichtiges Signal", doch das die Arbeiten im Salzstock währenddessen weitergehen sollen, hält er für problematisch.
"Ich glaube, dass eine Weitererkundung von Gorleben die Glaubwürdigkeit einer parallelen Standortsuche belastet, weil der Eindruck entstehen kann, dass es eine Vorfestlegung auf Gorleben gibt", sagte König der taz. Die Politik müsse jetzt einen Prozess organisieren, bei dem deutlich sei, "dass es wirklich um eine offene Suche geht, so wie von Bundesumweltminister Norbert Röttgen zugesagt - und dass es nicht darum geht, Akzeptanz für Gorleben zu schaffen."
Auch die Grünen drängen auf einen Baustopp als Voraussetzung für eine neue Endlagersuche. "Das ist eine der Mindestvoraussetzungen, um die Ernsthaftigkeit des Neubeginns zu beweisen", sagt Rebecca Harms, Europaabgeordnete aus dem Wendland. Eigentlich müsste der Standort ihrer Meinung nach ganz aufgegeben werden. Dass ihr Parteifreund Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, gegenüber Röttgen nun sogar auf die Forderung nach einem Baustopp verzichtet hat, hat in der Partei für großen Ärger gesorgt - denn es widerspricht der offiziellen Beschlusslage.
Suche nicht bei null beginnen
Wenn die Grünen bei ihrer Haltung bleiben, wird sich Röttgen entscheiden müssen, was ihm wichtiger ist: der von den Atomfreunden seiner Fraktion mit Nachdruck geforderte Weiterbau in Gorleben oder ein parteiübergreifender Konsens bei der neuen Suche. Falls man sich auf einen "Neustart" einigen würde, müsste die Suche dennoch nicht bei null beginnen.
Sowohl für potenziell geeignete Standorte als auch für das Suchverfahren gibt es umfangreiche Vorarbeiten, auf die zurückgegriffen werden könnte. Im Auftrag der rot-grünen Regierung hatte ein Gremium von Experten, der "Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte" (AkEnd), von 1999 bis 2002 einen Katalog von Mindestanforderungen und Ausschlusskriterien definiert. Es wurde ein Verfahren entwickelt, bei dem zunächst viele Standorte theoretisch, dann mehrere durch oberirdische Untersuchungen und schließlich mindestens zwei durch untertägige Erkundungen verglichen werden.
Während das Konzept in Deutschland nie umgesetzt wurde, gilt es international als vorbildlich. Die Schweiz etwa richtet ihre Endlagersuche daran aus.
Salz, Ton, Granit
Zu den infrage kommenden Wirtsgesteinen - Salz, Ton und kristalline Gesteine wie Granit - hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) drei Studien gemacht, die mögliche Standorte ermitteln und die Vor- und Nachteile darstellen.
Salz gilt in ungestörtem Zustand als undurchlässig gegenüber Gasen und Flüssigkeiten, und es hat eine hohe Wärmeleitfähigkeit - was wichtig ist, weil der Atommüll über einen langen Zeitraum Hitze abgibt. Zudem hat Salz die Eigenschaft, Hohlräume schnell wieder zu schließen. Dadurch wäre eingelagertes Material zwar besonders sicher verwahrt, könnte aber von späteren Generationen nur unter sehr hohem Aufwand wieder zurückgeholt werden, falls das irgendwann nötig oder sinnvoll erschiene. Mögliche Standorte liegen ausschließlich in Norddeutschland.
Ton hat ebenfalls eine sehr geringe Durchlässigkeit. Als Vorteil gilt, dass es nicht wasserlöslich und sehr haltbar ist. Allerdings leitet Ton die Wärme schlechter ab als Salz, so dass die Abfälle bei der Einlagerung bereits stärker abgekühlt sein müssten. Auf Ton als Wirtsgestein setzen bei ihrer Endlagersuche die Schweiz und Frankreich. In Deutschland liegen geeignete Formationen vor allem in einem breiten Band in Norddeutschland sowie im Grenzgebiet von Baden-Württemberg und Bayern.
Kristallingesteine wie Granit sind ebenfalls sehr stabil; sie leiten die Wärme aber ebenfalls schlechter. Zudem müsste sichergestellt werden, dass es keine Risse gibt, durch die Flüssigkeit eindringen könnte. Ein Endlager in Kristallingestein wird derzeit in Finnland gebaut. Mögliche deutsche Standorte liegen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern.
Gorleben "nicht untersuchungswürdig"
Am besten analysiert sind in Deutschland Salzstöcke. 1995 hatte die Bundesanstalt anhand wissenschaftlicher Kriterien mögliche Alternativen zu Gorleben gesucht. Die vier zur weiteren Untersuchung empfohlenen Standorte liegen alle in Niedersachsen (siehe Karte). Gorleben selbst war damals nicht bewertet worden, weil der Standort bereits untertägig erkundet wurde. Doch der Geologe Detlef Appel, der auch Mitglied des AkEnd war, hat die Kriterien der BGR auf Gorleben angewendet. Mit einem klaren Ergebnis: Gorleben wäre als "nicht untersuchungswürdig" eingestuft worden, weil kein ausreichendes Deckgebirge vorhanden ist.
Das wäre dann schon der zweite Test gewesen, den Gorleben nicht bestanden hat. Schon bei der ersten Auswahl im Jahr 1976 war der Salzstock im Wendland zunächst nicht in die engere Wahl gekommen, sondern erst im Nachhinein durch politischen Druck nominiert worden. Eine angebliche Nachuntersuchung, das hat der Untersuchungsausschuss jüngst ermittelt, hat es nie gegeben.
Strahlenschutzamtsleiter König ist zwar nicht dafür, Gorleben als möglichen Standort aufzugeben, aber er teilt die Kritik am bisherigen Prozess: "Hier hat man vor 35 Jahren einen Standort ausgewählt nach einem Verfahren, das nicht vollständig nachvollziehbar ist", sagte er der taz. "Das belastet die Situation bis heute."
Ob Gorleben während der Festlegung eines neuen Suchprozessen weitererkundet wird, ist offen. Ob der Standort in einem ehrlichen Vergleich mit anderen Standorten bestehen könnte, ebenfalls. Unter Tage ist von diesen Zweifeln nichts zu spüren. Dort drehen sich die Bohrer weiter durchs Salz.
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