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Hamburgs AfD-Fraktionschef Kruse gönnt sich drei Monate Kalifornien. Kein Problem, findet sein Stellvertreter.

Wir sind doch alle nur Gefangene hier auf unseren eigenen Wunsch: Jörn Kruse zieht‘s ins Hotel nach Kalifornien Foto: Lukas Schulze (dpa)

HAMBURG taz | Niemand scheint Jörn Kruse so recht zu vermissen, den Fraktionsvorsitzenden der AfD in der Hamburger Bürgerschaft. Für drei Monate ist er nach Kalifornien aufgebrochen, wie jetzt bekannt wurde. Der emeritierte Professor für Wirtschaftspolitik an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg begleitet seine Frau Carola, eine Erziehungswissenschaftlerin, die eine Gastprofessur an der Elite-Universität Stanford bei San Francisco angenommen hat.

Von der US-Westküste aus will Kruse aber weiterhin als Volksvertreter wirken: „Die Arbeit leidet nicht“, sagt Bernd Baumann, der als stellvertretender Vorsitzender zusammen mit Ex-Schill-Innensenator Dirk Nockemann nun die Fraktion leitet. „Wir sind täglich in Kontakt.“ Auf telefonische Anfragen der taz antwortete der 67-Jährige indes nicht.

Aus Sicht der Bürgerschaftskanzlei gibt es formal kein Problem: „Die Abgeordneten verfügen über ein freies Mandat“, sagt Ulfert Kaphengst, Sprecher von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Sie seien „nur ihrem Gewissen und ihren Wählern verantwortlich“. Insofern bestehe für Volksvertreter auch keine Anwesenheitspflicht in Plenarsitzungen und Ausschüssen. Ihre vollen Diäten erhielten sie weiterhin. Bei Kruse sind dies gut 8.000 Euro monatlich, da er als Fraktionsvorsitzender die dreifache Diät eines einfachen Parlamentariers erhält (siehe Kasten). Begründet wird die Höhe dieser Vergütung im Abgeordnetengesetz damit, dass der Posten des Fraktionschefs ein „Vollzeitjob“ sei – zumindest in der Theorie.

Kruse hat Parlamentspräsidentin Veit am 12. November 2015 über seine Auszeit informiert. Die habe das „zur Kenntnis genommen“, sagt ihr Sprecher Kaphengst, zu erlauben oder zu untersagen habe sie nichts. Kruse habe bislang keinen bleibenden Eindruck im Parlament hinterlassen, spottet FDP-Fraktionschefin Katja Suding: „Sein dreimonatiger Auslandsaufenthalt dürfte deshalb wohl kaum auffallen.“ Ähnlich sieht das auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Kienscherf. Einerseits sei die SPD „nicht traurig“, wenn die Opposition nicht vollzählig sei. Von ihren eigenen Abgeordneten aber würde sie „selbstverständlich erwarten, dass sie ihr Mandat aktiv ausüben“, sagt Kienscherf: „So etwas wäre bei uns nicht möglich“ und gegenüber den Wählern „nicht vermittelbar“.

Was die Bürgerschaft kostet

Die Bürgerschaft in Hamburg ist ein Teilzeit-Parlament, fast alle Abgeordneten sind neben ihrer Tätigkeit im Rathaus berufstätig.

71 von den mindestens 121 Abgeordneten werden direkt in Wahlkreisen gewählt, weitere 50 über die Landeslisten der Parteien.

Die Plenarsitzungen, rund zwei Dutzend pro Jahr, beginnen um 15 Uhr, Ausschüsse tagen selten vor 17 Uhr.

Monatlich 2.667 Euro brutto beträgt die Grunddiät eines Abgeordneten seit Beginn dieser Legislaturperiode im März 2015. Diese Diät ist zu versteuern.

Hinzu kommt eine Pauschale für Büromiete und Bürokosten von 980 Euro.

Doppelte Diäten in Höhe von 5.334 Euro brutto erhalten die VizepräsidentInnen und die stellvertretenden FraktionschefInnen.

Dreifache Diäten erhalten die Präsidentin der Bürgerschaft und die Vorsitzenden der sechs Bürgerschaftsfraktionen SPD, CDU, Grüne, Linke, FDP und AfD. Also: 8.002 Euro brutto.

Insgesamt summierten sich diese Beträge im Jahr 2014 auf 10,5 Millionen Euro.

So sieht das auch der Demokratieverein Abgeordnetenwatch. Kruses Sabbatquartal sei „dem Bild des Abgeordneten in der Öffentlichkeit nicht zuträglich“, sagt Roman Ebener vom Hamburger Landesverband. Aber das müsse Kruse gegenüber den Bürgern „selbst verantworten“, findet Ebener. Auf der Homepage von Abgeordnetenwatch fordert Parlamentspräsidentin Veit die Wähler auf: „Treten Sie in den Dialog mit den Menschen, die tagtäglich für Sie Politik machen.“ Das sollten die Bürger nach Meinung Ebeners ernst nehmen: „Stellen Sie auf Abgeordnetenwatch Herrn Kruse Fragen zu seinem Verhalten“, fordert er: „Das kann er auch in Kalifornien lesen und beantworten.“

Fraktionsvize Baumann hingegen versteht die Aufregung nicht. Kruse werde zu den beiden Doppelsitzungen der Bürgerschaft am 20. und 21. Januar sowie am 2. und 3. März zurückkommen und sich „aktiv einbringen“, kündigt er an. Kruse habe seine Absicht im vorigen Herbst mit der Fraktion einvernehmlich besprochen: „Es gab kein böses Blut.“ Zwar wäre es „schmerzhaft gewesen wäre, wenn ein Leistungsträger der Fraktion weg wäre“, sagt Baumann zweideutig, so aber gebe es „kein Problem“.

Der bisher einzige vergleichbare Fall eines langzeitabwesenden Abgeordneten datiert aus dem Herbst 2003. Damals verbrachte der „gnadenlose Richter“ Ronald Schill nach seinem Rauswurf aus dem Senat durch CDU-Bürgermeister Ole von Beust rund zwei Monate auf Kuba, um sich zu erholen und „den morbiden Charme des untergehenden Castro-Regimes zu genießen“. Bei seiner Rückkehr Ende November jedoch war fast niemand mehr da, der ihn mit offenen Armen willkommen hieß. Schon gar nicht sein Intimfeind: Dirk Nockemann.

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