Subkultur Heavy Metal: Autoritäten die Köpfe abbeißen
Wie hart bangt Metal im Globalen Süden? Beeindruckende Beispiele aus Indonesien, Brasilien, Togo und Kuba beweisen das subversive Potenzial des Genres.

Einer der jüngsten Highlights der an Highlights reich gesegneten Geschichte des indonesischen Metal ist das jüngst erschienene zweite Album der Death-Metal-Band Incinerated. „The Epitome of Transgression“ gelingt, was ansonsten die allerdings ungleich verkopfteren und meditativeren Krallice in New York hinbekommen: drei lange Stücke, die das Tempo beständig wechseln, aber trotzdem jeweils ein einzelnes, in sich homogenes Brett ergeben.
Blastbeat, Break, Einbruch, wieder alle los, alles verleimt von Grummelgitarre und mitteltief gestimmten Gekeife. Das ist alles mehrschichtiger, komplexer und aber auch unmittelbar magenmassierender als auf dem Incinerated-Debütalbum „Stellar Abomination“ (2020).
Besonders schön der Zwölfminüter „Deciphering the Signs of Salvation“, bei dem sich anfangs Virtuosität, Durchkomponiertheit, lustige Basslinien und Ranzsoundästhetik passgenau verbinden, wie sonst nur im Spätwerk der britischen Bolzköpfe Napalm Death, um dann nach dreieinhalb Minuten gemeinsam abzuheben.
Westliche Arroganz
Das Stück wirft beim Hören die Frage auf: Warum überrascht es eigentlich, dass Death Metal aus Indonesien so durchkomponiert, virtuos und wuchtig klingt wie jedes Genre-Meisterwerk aus New York? Was man als Sohn des Nordens für einige Jahrzehnte gratis leider mitbekam, war die westliche Arroganz.
Pop, also auch Metal, der aus den Ländern des Globalen Südens kommt, hörte man intuitiv als irgendwie leicht defizitär – als bestenfalls gelungene, im weniger guten Fall als skurrile Imitation der westlichen Originale.
Das ist zum Glück vorbei. Kulturelle Zeichen und musikalische Techniken lassen sich heute in einem weitaus größeren Maß und schneller verbreiten als zum Beispiel 1992. Wenn die musikalische Qualität offensichtlich unabweisbar wird, wird auch der retrospektive Blick weniger eurozentristisch und eindimensional doof.
Metal war schon zu Zeiten der indonesischen Militärdiktatur zentraler Bestandteil der Jugend- und Subkultur des Inselreichs und kulturell so bedeutsam wie in wahrscheinlich keinem anderen als Schwellenland geltenden Staat. Metalbands galten der Kulturpolitik unter Suharto als „Setan Barat“, westliche Teufel, Alben wurden vielfach zensiert oder in vorauseilendem Gehorsam gar nicht erst veröffentlicht.
Erweckungserlebnis mit Napalm Death
Zwei signifikante Momente symbolisieren die Spannbreite: 1990 kursierte das stilbildende Napalm-Death-Album „Harmony Corruption“ als Kassetten-Bootleg in der indonesischen Szene und wurde von vielen Fans, die kurz darauf selbst Bands gründeten, als Erweckungserlebnis beschrieben. Und 1993 kam es beim ersten Indonesien-Konzert von Metallica in Jakarta zu Ausschreitungen, die wiederum verstärkte Gängelung der gesamten Szene durch Staatsorgane zur Folge hatten.
So bewegt sich die Metal-Produktion in einem Land, in dem junge Menschen unter vergleichsweise repressiven Bedingungen leben müssen, zwischen der Aufnahme und Weiterverarbeitung von Signalen aus den Herkunftsländern (im Falle von Napalm Death Großbritannien) und der Auseinandersetzung mit Staatsorganen, die westliche Bands und Fans wenn überhaupt, dann nur ganz punktuell und sehr viel früher erlebt hatten. Wer Napalm Death in Birmingham hört, erlebt etwas anderes als jemand, der sie in Jakarta auf einem Tape entdeckt.
Interessant ist aber auch, wie der gesellschaftliche Kontext die Wahrnehmung von Hörer*innen des Globalen Nordens mitformen kann. Metal in seinen extremeren Spielarten, der unter repressiven oder gar diktatorischen Bedingungen erstanden ist, klingt anders als, um einmal das andere Extrem zu bemühen, wenn er aus einer US-Art-School kommt – allerdings erst, sobald man um diese Bedingungen weiß.
Das gilt auch noch bei einer Band, die ihre Musik in einer inzwischen immerhin illiberalen Demokratie mit Mehrparteiensystem wie dem heutigen Indonesien fabriziert. Vielleicht weil im Land inzwischen wieder abgeschnittene Schweineköpfe an kritische Journalist*innen verschickt werden – mit anschließender demonstrativer Billigung der Regierung.
Grindiges aus dem Brasilien der Achtziger
Die Musik von Incinerated wirkt kontextabhängig dringlicher, bedrohter und damit auch bedrohlicher als der Metal aus westlichen Produktionsstätten. Es gilt aber mehr noch für den Rückblick auf die Metal-Produktion aus den postkolonialen Ländern des Globalen Südens. Brasilien zum Beispiel: Holocausto und Vulcano, beide Mitte der achtziger Jahre, in den letzten Jahren der Militärdiktatur entstanden, klingen betont grindig und kunstlos, in dieser Hinsicht also konzeptuell vollständig stimmig und so, als würden sie, obwohl schon angeschossen, weiter durchs Land randalieren, um Autoritäten aller Art den Kopf abzubeißen.
Trotz aller Unterschiede in den politischen Systemen zeigen sich ähnliche Dynamiken auch in Westafrika – etwa bei Arka’n Asrafokor, der, so weit ich sehe, ersten in Togo entstandenen Extreme-Metal-Band, die allerdings dann mehr miteinander vermischt als im Genre gemeinhin üblich.

Ein Hybrid: Sie unterscheidet sich insofern von Incinerated wie auch von den brasilianischen Metal-Urgesteinen, indem sie lokale westafrikanische Musiktraditionen und Neunziger-Jahre-Crossover in ihre Version von extremer Musik eingewebt hat, gesungen und gebrüllt wird auf Ewe (eine der Sprachen Togos) und Englisch, mit einem Augenzwinkern Richtung Französisch.
Seit 2010 haben Arka’n Asrafokor zwei Alben, „Zã Keli“ (2019) „Dzikkuh“ (2024) veröffentlicht. Die Band nennt es Asrafocore, die Musik des Kriegers. 2022 und 2023 tourte die Band bereits zweimal durch Europa. Auch hier schwingt der Rahmen – Do it yourself, Bands können sich auf nur wenige bestehende Strukturen verlassen, das Land ist ein autoritärer, repressiver Einparteienstaat – beim Hören mit und vermutlich auch in der Produktion der Musik selbst.
Das Schillernde und Vielgestaltige der Songs von Arka’n Asrafokor lässt sich – analog zu den politischen Protesten auf der Straße seit 2024 – als energetischer Angriff auf einer einbetonierte politische Landschaft lesen.
Extreme-Metal mit Latin-Anteilen
Antiautoritäre Aggressionen schwingen auch verstärkt mit im Sound der 1996 gegründeten und damit ersten kubanischen, munter durch die Subgenres hüpfenden Extreme-Metal-Band Mephisto, die immer wieder Latin-Parts und Achtziger-Jahre-Keyboards in ihre Musik einbaut. Das Debütalbum, „Reborn from Ashes“, konnte erst 20 Jahre nach Bandgründung erscheinen, das zweite, „Pentafixion“, dann 2021.
Es kreischt und grunzt, den Metatext liefert Sänger Osney Cardoso Riaño für den subversionsinteressierten europäischen Hörer in einem Interview nach: „Wir kämpfen weiterhin gegen die Ablehnung von Metal, den die kubanischen Behörden und Medien nicht verstehen und ihn als ideologische Waffe des Feindes aus dem Norden sehen.“
Indonesien, Brasilien, Togo und Kuba sind Länder des Globalen Südens und in ihrer Geschichte sehr unterschiedlich, bei allen Überschneidungen in ihrer Gegenwart als postkoloniale Länder.
Was die Metal-Bands dieser Länder verbindet und von denen aus den Ländern des Globalen Nordens unterscheidet, ist die Produktion unter erschwerten Bedingungen, die Qualität der Musik und der Eindruck einer Dringlichkeit, die nicht zwangsläufig musikimmanent sein muss, sondern sich auch aus dem Wissen (und sei es aus dem Halbwissen) von Hörerin und Hörer um den gesellschaftlichen Kontext speisen kann. First world problems und Saturiertheit hier, Repression und politischer Kampf dort.
Noch ein paar Jahre, und man kann, wenn es schlecht läuft, Metal aus den von Donald Trump regierten USA vielleicht auf ähnliche Weise hören.
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