Sturzorgie bei der Tour de France: Schmierige Straßen
Zum verregneten Auftakt der Tour de France können sich die Profis kaum auf den Rädern halten. Drei Fahrer scheiden aus, andere fahren verletzt weiter.
Schnell hatte Simon Geschke im Ziel in Nizza wieder die Maske übergestreift. Das Rennen hatte er natürlich ohne das Mund-Nasen-Textil bestreiten dürfen. Der Mixed Zone mit den Reportern näherte er sich aber wieder im vorgeschriebenen Pandemie-Outfit. „Ich bin froh, dass ich ohne Sturz durchgekommen bin. Denn die Straßen waren extrem glatt. Selbst beim Antreten nach der Kurve hat man gemerkt, wie das Hinterrad durchdreht“, sagte er der taz.
Geschke gehörte zu den wenigen Fahrern, die an diesem regnerischen Auftakt keine Berührung mit dem Asphalt hatten. Richtig schlimm ging es für John Degenkolb aus. Der Frankfurter verpasste nach seinem Sturz das Zeitlimit und war am Sonntagmittag schon am Flughafen. „Ich bin super enttäuscht, dass meine Tour de France jetzt schon zu Ende ist“, teilte er per Videobotschaft mit. „Der Sturz war eigentlich hinter mir. Aber dann schlitterte jemand von hinten in mich rein und riss mir das Rad weg. Ich konnte nichts machen“, beschrieb er den Hergang.
An beiden Knien und beiden Ellenbogen verletzt, machte er sich an die Aufholjagd. Aber der Schmerz vor allem im rechten Knie war so stark, dass er die Pedale nicht wie gewohnt treten konnte und das Zeitlimit zwei Minuten überschritt. Ebenfalls ausgeschieden sind wegen Sturzverletzungen sein Lotto-Soudal-Teamkollege Philippe Gilbert und der Spanier Rafael Valls.
Ihr Pech ließ vergessen, dass wenige Stunden zuvor noch eine andere Sorge das Peloton belastet hatte. Es war die Sorge um einen möglichen Tour-de-France-Ausschluss wegen eines positiven Coronatests. Zahlreiche positive Fälle hatte es gegeben, unter anderem bei den Teams Israel Start-Up Nation, Bora-hansgrohe, AG2R und Lotto Soudal. In all diesen Fällen brachten nachfolgende Tests aber negative Resultate. Dies war auch bei den beiden Betreuern aus Degenkolbs Rennstall Lotto Soudal so, die sogar die Tour noch vorm Start verlassen hatten. Auch sie, wie auch die ebenfalls nach Hause geschickten Zimmerkollegen, lieferten negative Ergebnisse.
Falsch positive Tests
Die beiden – falsch positiven – Fälle führten immerhin nicht zum Ausschluss des gesamten Rennstalls. Diese Regel gilt nur bei der laufender Tour. Sie wurde auf Druck vieler Teams aber abgeschwächt. „Jetzt ist es so, dass bei zwei positiven Fällen in sieben Tagen das Team die Tour verlassen muss“, erklärte Ralph Denk, Teamchef von Bora-hansgrohe, das Procedere. Denk zeigte sich auch erfreut, dass jetzt Nachtests bei positiven Ergebnissen möglich sind. „Man steht dabei zeitlich ziemlich unter Druck für die nächste Etappe. Wenn die Zeit reicht, dann wird es eine Nachtestung geben. Wenn nicht, ist man raus. Aber das ist schon einmal ein guter Kompromiss“, meinte Denk.
Ansonsten bot der Grand Depart eine Mischung aus bekannten und gänzlich neuen Bildern. Es gab eine VIP-Zone mit Ehrengästen im Zielbereich, sie war aber kleiner als sonst. Kleiner dimensioniert war auch die Werbekarawane. Nur wenige Fahrzeuge durften Werbegeschenke unters Volk bringen. Die gewohnten Klatschpappen waren nicht darunter. Das führte zu einer Atmosphäre, in der man sein eigenes Wort mal wieder verstehen konnte. Gewöhnlich ist dies in den heißen Zonen an Start und Ziel einer Touretappe nicht der Fall. Man fühlte sich eher auf einem Klassik Open Air als bei einem Mega-Radsportevent, das übrigens der norwegische Sprinter Alexander Kristoff gewann.
Unter Pandemiegesichtspunkten kann man den Auftakt durchaus als geglückt betrachten. Die Maschine ist ins Rollen gekommen. Und wer Zweifel daran hatte, für den hielt der französische Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer eine patriotische Antwort bereit. Die Tour sei, so meinte er, „ein Zeichen, dass wir mit dem Leben weitermachen, ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft“. Das neue Normal in Gelb also. Alt und vetraut waren hingegen die vielen Stürze auf regennasser Straße.
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