Studie zu Wetterphänomen „El Niño“: Christkind wird heftig
Einer Studie zufolge wirkt das Wetterphänomen „El Niño“ schlimmer als bislang angenommen. Es sei für die Gesellschaft eine existenzielle Bedrohung.
Im „El Niño“-Zyklus schwächeln die Passatwinde aber, der Ozean vor der Küste Perus erwärmt sich so stark, dass sich die obere Wasserschicht nicht mehr mit dem kühlen, nährstoffreichen Tiefenwasser vermischen kann. Deshalb stirbt dort das Plankton ab, was den Zusammenbruch ganzer Nahrungsketten nach sich zieht.
Der Name dieser Wetteranomalie leitet sich von „El Niño de Navidad“ ab – dem neugeborenen Christkind. Peruanische Fischer registrierten im 17. Jahrhundert erstmals, dass um die Weihnachtszeit plötzlich keine Fischschwärme mehr vor ihrer Küste waren. Dazu kamen einige andere Besonderheiten, heftigere Stürme beispielsweise, zerstörerische Regenfälle, längere, heißere Hitzewellen mit Ernteausfällen und Hunger.
Zwar legten Messdaten in den vergangenen Jahrzehnten nahe, dass die Heftigkeit von Wetterextremen wie Hitzewellen und Sturzfluten im Zusammenhang mit El Niño zugenommen haben. Wegen der komplexen Abläufe, die den El-Niño-Effekt erzeugen, konnten Klimamodelle jedoch bislang nicht belastbar voraussagen, wie die Klimaerhitzung genau auf die Passatwindschwäche reagiert.
Durchbruch der Forschung
US-amerikanischen Wissenschaftlern könnte jetzt ein Durchbruch bei dieser Frage gelungen sein: Demnach werden El-Niño-Ereignisse immer extremer, und zwar so, dass sie für die jeweiligen Gesellschaften zur existentiellen Bedrohung werden. „Wenn diese Extremereignisse häufiger werden, hat die Gesellschaft möglicherweise nicht genug Zeit, sich zu erholen, wieder aufzubauen und anzupassen, bevor der nächste El Niño auftritt“, erklärt einer der Studienautoren, Pedro DiNezio von der Universität von Colorado.
Für ihre Arbeit, die in dieser Woche im Fachblatt nature erschienen ist, blickten die Wissenschaftler 20.000 Jahre zurück, also in eine Zeit, in der die letzte große Eiszeit Europa und Nordamerika mit einem gigantischen Gletscher bedeckte. Ihre Daten gewannen die Forschenden vom pazifischen Meeresgrund aus Überresten von sogenannten Foraminiferen – winzigen Einzellern, die eine Schale aus jenen Chemikalien bauten, die es damals im sie umgebenden Meerwasser gab. So konnten die Forschenden Wassertemperaturen rekonstruieren, und wie sich El Niño während dieser kalten Periode verhielt, und dadurch auch die Genauigkeit ihrer eigenen Klimamodelle testen. Und siehe da: Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre und der Intensität, Extremität und Häufigkeit zu El Niño.
Vielleicht erst seit zwei Dekaden wird in der Wissenschaft besser verstanden, dass die Auswirkungen von El Niño nicht nur lokal wirken. Beispielsweise werden dadurch die Niederschläge des indischen Monsuns intensiver, Regen in Ostafrika dagegen geringer, was dort Dürren zur Folge hat. El Niño beeinflusst die Strömungspumpe in der Antarktis und heizt die Arktis weiter auf. Deshalb gilt es in der Wissenschaft als ungemein wichtig, den Einfluss der Erderhitzung auf das Phänomen zu entschlüsseln und Prognosen treffen zu können, die ein weiterer Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre zur Folge hat. Freilich erwartet in der Wissenschaft niemand, dass Entwarnung gegeben werden kann. Die Frage ist eher: Wie stark bringt El Niño unter dem Einfluss des Klimawandels gewohnte Wettermuster aus dem Takt?
Zuletzt begann ein El Niño im vergangenen Jahr, damals sagte der Deutsche Wetterdienst einen sehr starken Anstieg der Globaltemperatur auf 1,5 Grad 2024 voraus. Das ist tatsächlich eingetreten. Und es gab einige höchst ungewöhnliche extreme Wetterereignisse, die dem Phänomen zugeschrieben werden – beispielsweise Regenfluten in der Wüste auf der arabischen Halbinsel. Die Arbeit der US-Forscher könnte helfen, künftig derartige Extreme zu qualifizieren. Oder um es mit den Worten von Studienmitautor DiNezio zu formulieren: „Jetzt, da wir verstehen, wie diese Extremereignisse entstehen, brauchen wir nur noch denWillen, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.“
Dieser Wille ist natürlich weltweit weiterhin nicht in Sicht. Aktuell ist „das Christkind“ am Abklingen, ab November könnte das Wetterphänomen in sein Gegenteil, „La Niña“, umschlagen: Dieser „Mädchen“-Effekt kehrt die Entwicklung im äquatorialen Pazifik um. Der östliche Pazifik kühlt sich sehr stark ab, in Indonesien wird dann besonders viel Regen erwartet, während es in Südamerika kaum noch Niederschlag gibt.
Auch die – ursprünglich kühlen – La-Niña-Jahre sind durch die globale Erhitzung mittlerweile wärmer geworden. Allerdings ist hier noch weniger klar, welche Folgen das für die lokalen Gesellschaften mit sich bringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann