Studie zu Sicherheit in Neukölln: Parakulturelle Missverständnisse
Mit einer Bürger*innenbefragung soll in Neukölln das Sicherheitsgefühl erst ermittelt und dann gestärkt werden. Das ist sehr subjektiv.
Vom Neuköllner Stadtteil Neukölln bestehen ja außerhalb von diesem immer noch teils äußerst merkwürdige Vorstellungen – je weiter weg, desto doller, ist mein Gefühl, das sich kürzlich bei einem Besuch im hessisch-rheinland-pfälzischen Grenzgebiet nachhaltig bestätigte. Meine Antwort auf die Frage, wo in Berlin ich denn wohne, wurde mit den halb bewundernden, halb mitleidigen Blicken quittiert, die auch Kriegsflüchtlingen oft zukommen: Mein Gott, was sie alles durchgemacht haben müssen! Und doch so tapfer!
Das anknüpfende Gespräch über „Was da bei euch so los ist“ stellte sich dann als riesiges Missverständnis heraus: Während ich dachte, mit den Anwesenden über steigende Mieten, Verdrängung und zu viele Touristen zu reden – „Richtig schlimm!“, – sprachen diese von zu vielen Flüchtlingen, generell zu viel „Arabern“ und vor allem „Südosteuropäern“ – „die Schlimmsten!“ –, die eine junge Frau eine Treppe heruntergetreten hätten. Dieser Vorfall lag zum Zeitpunkt des Gesprächs über zwei Jahre zurück, steht den Menschen im mittleren Westen aber offenbar immer noch plastisch vor Augen.
Dabei redeten wir im Grunde ja über dasselbe, von dem man nur eben jeweils andere Vorstellungen haben kann: über Angst und Sicherheit, deren Kehrseite. Die Angst, sich bald gar keine Wohnung mehr leisten zu können – mein Thema; die Angst, diese nicht gefahrlos verlassen zu können – ihrs.
Genau damit will sich jetzt auch der Bezirk Neukölln beschäftigen: dem subjektiven Angstgefühl seiner Bürger*innen. Wie sicher fühlen sich diese in ihrem Umfeld? Was muss besser werden? 5.000 zufällig ausgewählte Mitglieder von Neuköllner Haushalten haben deshalb in den vergangenen zwei Wochen mehrseitige Fragebögen zugeschickt bekommen, in denen sie dazu Stellung nehmen können.
Zugewandert oder nicht ist wumpe
Die Untersuchung, die zeitgleich in Essen und Dresden stattfindet, wird von den Technischen Universitäten in Berlin und Dresden durchgeführt, auch die Deutsche Hochschule der Polizei gehört zu den Projektpartnern. „SiQua – Sicherheitsanalysen und -vernetzung für Stadtquartiere im Wandel“, so ihr Titel, und sie hat laut Webseite (si-qua.de) das Ziel, „die Präventionsarbeit in durch Zuwanderung sich transformierenden Stadtquartieren zu unterstützen und somit zur Stärkung der Sicherheit beizutragen“.
Das Mitglied meines Haushalts, das sich an der Befragung beteiligen darf, ist ein Mensch mit Migrationshintergrund in einem Alter, in dem man sein Umfeld selten bei Tageslicht sieht. „Fühlen Sie sich unsicher durch a) offenen Drogenverkauf, b) vermüllte Straßen, c) Einbrüche in ihrem Haus?“ Das Nachtwesen schnaubt.
Glücklicherweise kann man auch selbst was schreiben. Die subjektive Gefährdungslage ist hier klar: „Inkompetente Fahrradfahrer“. Halt: Zugewandert oder nicht? „Is wumpe. Hauptsache, sie fahren mit Licht!“
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