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Studie zu Diversität im JournalismusVielfalt unerwünscht

Chef*innen mit Migrationsbiografien sind im Journalismus eine Seltenheit. Das zeigt eine neue Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen.

Viele Redaktionen hadern noch mit Diversität Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Berlin taz | Im Sommer 2018 erzählten Menschen in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #MeTwo, darunter zahlreiche Journalist*innen, von ihren Rassismuserfahrungen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) reagierte damals mit einer Resolution auf diese Debatte. Darin heißt es, der DJV mache sich „für eine größere Vielfalt in deutschen Medien stark“. Man appelliere an Medienunternehmen, bei der Auswahl ihrer Beschäftigten auf Diversität zu achten.

Wurden die Forderungen des DJV seitdem umgesetzt? Und wie divers sind deutsche Redaktionen tatsächlich?

Die erwartbare und dennoch traurige Wahrheit ist: Die deutsche Journalismusbranche ist weit davon entfernt, die gesellschaftliche Realität abzubilden. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Untersuchung der Organisation der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM).

„Viel Wille, kein Weg. Diversity im deutschen Journalismus“ heißt die Studie. Der Fokus liegt auf denen, die im Journalismus Entscheidungsmacht haben: den Chefredakteur*innen. Untersucht wurde zunächst, wie divers die Chefetagen der Medienhäuser sind, um im zweiten Schritt zu erfragen, wie diese Führungskräfte zu Diversity in den Medien stehen.

Keine Datengrundlage

126 Chefredakteur*innen der 122 reichweitenstärksten regionalen und überregionalen Medien haben die NdM befragt. Dazu zählen Medienhäuser wie Zeit, Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel, WDR, ARTE, Prosieben, Deutsche Welle und Deutschlandfunk.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Von 126 befragten Chefredakteur*innen sind 118 Deutsche ohne Migrationshintergrund. „Sie sind eine homogene Enklave“, heißt es. Lediglich 6 Prozent der Chefredakteur*innen haben also einen Migrationshintergrund. Besonders diskriminierte Gruppen seien hier überhaupt nicht vertreten, „kein Chefredakteur und keine Chefredakteurin, der oder die schwarz ist, aus einer muslimisch geprägten Familie oder einer der größten Einwanderergruppen (türkisch, polnisch, russischsprachig) stammt.“

Besonders an der Recherche der NdM ist sicherlich, dass solche Daten erstmals für Deutschland erhoben wurden. Und hier sind wir auch gleich bei einem Problem, das sich in diesem Zusammenhang zeigt. Zwar mag erschreckend sein, dass die Chefetagen deutscher Medienhäuser vornehmlich weiß und deutsch sind, nur: Wen überrascht das? Viel erschreckender ist daher, dass es bislang wenig bis keine validen Untersuchungen und Zahlen gab, die Aufschluss über die Zusammensetzung von Redaktionen hätten geben können.

Blinde Flecken

Hier zeigt sich etwas, das im Zusammenhang mit Diskriminierungsstrukturen häufig auftritt. Untersucht wird eben meist, wer den Untersuchenden am nächsten ist. Das ist in Deutschland immer noch eine weiße, deutsche Mehrheit ohne Einwanderungsgeschichte. Der Tenor war lange Zeit: Weshalb sollte man sich um etwas bemühen, das einen selbst nicht betrifft?

„Wer nicht gezählt wird, zählt nicht“, zitiert die Studie der NdM aus einem Handbuch über Gleichstellungspolitik. Und weiter: “Ohne die Vermessung von Diskriminierung ist die Förderung von Inklusion und Gleichberechtigung gerade auch in großen Organisationen nur schwer möglich, weil sie für Nicht-Betroffene unsichtbar bleibt.'“

Solange Redaktionen also keinen Einblick in die Hintergründe ihrer Kolleg*innen haben, fällt es schwer, über Maßnahmen zur Förderung von Diversity oder Inklusion zu sprechen. Interesse daran, künftig Daten zur Diversität zu erheben, zeigten die wenigsten Medienunternehmen, heißt es in der Studie. Gerne wird „mit dem Datenschutz oder auch mit dem Schutz vor Diskriminierung“ argumentiert.

Vielfalt als Normalität

Menschen mit Migrationsgeschichten galten viele Jahrzehnte in Redaktionen als „exotisch“. Das hat sich zum Glück geändert. Heute sind migrantische Journalist*innen sichtbar: als Kolumnist*innen, Nachrichtensprecher*innen, Moderator*innen.

Ein positiver Befund der Untersuchung ist deshalb, dass Diversität von fast allen befragten Chefredakteur*innen gewollt ist. Am Ende scheitert es aber an der Umsetzung. Es fehlt an Strategien, um Journalist*innen mit diversen Hintergründen zu fördern. Es wirkt zuweilen so, als habe man verinnerlicht, dass Diversität für das gute Image eines Medienhauses wichtig sei. Aber aufrichtig und nachhaltig daran arbeiten, das wollen die wenigsten.

Wer Vielfalt in seinen Redaktionen möchte, muss aber aktiv etwas dafür tun. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen haben deshalb Empfehlungen für Redaktionen erarbeitet, die dabei helfen können, die Realität im eigenen Haus zur Normalität zu machen.

Im Kern empfehlen die NdM dabei drei Dinge: Chef*innen müssen sich für Vielfalt einsetzen, Daten über Diversität müssen erhoben werden und die Medienhäuser müssen neue Wege in den Journalismus öffnen.

Denn Fakt ist: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ein Viertel der Menschen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Sie in die Redaktionen zu holen, ist längst überfällig.

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5 Kommentare

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  • Migrant_Innen sind nicht die einzige unterrepräsentierte Gruppe im deutschen Journalismus. Der durchschnittliche deutsche Journalist entstammt allen Forschungsergebnissen zufolge ökonomisch einem Haushalt der mittleren bis oberen Mittelklasse und soziologisch einem eher urbanen, eher zu grün neigendem Milieu. Karrieren werden stark von entsprechenden Kontakten und Beziehungen, auch des eigenen Milieus, geprägt und sind mittlerweile auch stark akademisiert. Damit ist dieser Durchschnittsjournalist keineswegs repräsentativ für die Bevölkerung. Weder Arbeiterkinder noch Quereinsteiger sind in den Redaktionen stark vertreten.

  • Ist das Gezanke und Gerangel um die subventionierten medienmacher Fleischtöpfe* Niemandem peinlich?



    *GEZ, Projektmittel, Fördermittel

  • Es spricht nichts dagegen, und sogar einiges dafür, wenn der Anteil von ChefredakteurInnenen mit Migrationshintergrund größer wäre. Warum dies nicht der Fall ist, das bedarf einer genauen empirischen Klärung, und dürfte nicht einfach und apriori monokausal mit 'Diskriminierung' zu erklären sein. Ebensowenig wie der unterproportionale Anteil von Frauen in bestimmten Berufen, (oder der überproportionale Anteil in anderen), monokausal auf Diskriminierung der Frauen (oder der Männer) zurückgeführt werden kann. 'Diskriminierung' kann ein Faktor sein, ist in der Regel aber der einzige, und muß noch nicht einmal der Hauptfaktor sein.







    Eine unterkomplexe Diagnose führt auch zu inadäquaten (politischen) Handlungsempfehlungen. 'Sie in die Redaktionen zu holen', greift zu kurz (wo sollte dies ganz praktisch ansetzen?) - und hat im übrigen einen paternalistischen Anklang.

    Möglicherweise gibt es da ja auch ein Angebotsproblem, dessen Ursachen vielfältig sein können - aber genau dies wäre empirisch zu klären.

  • „Wer nicht gezählt wird, zählt nicht“

    Wurde denn gezählt, wie viele einen ostdeutschen Hintergrund haben?



    So weit ich weiß, ebenfalls unterrepräsentiert.

  • Anpassungsdruck

    Auch eigenes Denken ist oft unerwünscht. Da kommt es eher auf die Meinung des Chefredakteurs bzw. des Verlegers an und auf gute Beziehungen. Es wird oft nach dem Munde geredet, besonders in Krisenzeiten...