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Studie zu Arbeitsmigration in der EUGehirne auf Wanderung

Hochqualifizierte Fachkräfte zieht es immer häufiger ins Ausland. Deutschland profitiert vom Braindrain, doch die Ungleichheit in der EU wächst.

Besonders Mediziner zieht es häufig da hin, wo der Lohn höher ist. Foto: dpa

Berlin taz | Der Anteil Hochqualifizierter an der Arbeitsmigration in Europa ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse einer vergleichenden Länderstudie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Montagabend in Berlin vorgestellt wurde. Im Zeitraum von 2008 bis 2013 erhöhte sich dieser Anteil von 27 auf 41 Prozent. Insbesondere aus den ost- und südeuropäischen Ländern suchen immer mehr Menschen mit einem Hochschulabschluss ihr Glück im Ausland.

„Brain Drain/Brain Gain“ lautet die Studie, die der taz vorab vorlag. Der Titel deutet an, dass diese Entwicklung Verlierer und Gewinner hervorbringt. Den Wegzug von Talenten (“Brain Drain“) haben die Forscher in Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Spanien und Portugal untersucht. Ihnen gegenüber stehen jene Länder, die von dem Zuzug gut ausgebildeter Arbeitskräfte (“Brain Gain“) profitieren. Zu ihnen gehören etwa Deutschland und Großbritannien.

Es sind vor allem zwei Gründe, die Menschen dazu veranlassen, ihr Heimatland zu verlassen, sagt Alexander Schellinger vom Referat „Internationale Politikanalyse“ der Friedrich-Ebert-Stiftung: die konstant hohen Arbeitslosenraten in vielen Ländern der Europäischen Union und das Lohngefälle zu den wirtschaftlich prosperierenden Staaten. Während in Südeuropa die Krise durchschlage, kann etwa Polens Arbeitsmarkt seit einiger Zeit nicht mit der verbesserten Ausbildung der jungen Generation mithalten. Auf der anderen Seite hat auch die verbesserte Anerkennung von Abschlüssen den Anreiz für Arbeitsmigration erhöht.

„Deutschland hat ein starkes Interesse, so viele hochqualifizierte Arbeiter wie möglich aufzunehmen“, sagt die Autorin der Studie, Prof. Céline Teney von der Universität Bremen. Nur so lasse sich dem demografischen Wandel und dem Mangel an Fachkräften entgegenwirken. Insofern sei Deutschland der große Gewinner der europäischen Arbeitsmarktströme.

Doch die Entwicklung verläuft keineswegs linear. So wandern seit 2007 etwa 2.000 Ärzte pro Jahr aus Deutschland ab, vor allem in die Schweiz, USA oder nach Österreich. Der Verlust von gut ausgebildeten Fachkräften in andere hochentwickelte Länder kann zum Teil durch Fachkräfte aus Osteuropa kompensiert werden. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Brain Drain Chain“, also einer Kettenreaktion.

Politik fehle Sensibilität

Am Ende der Nahrungskette steht dagegen ein Land wie Lettland. Seit dem Jahr 2000 sind mehr als 160.000 Menschen, etwa 12 Prozent der Bevölkerung, ausgewandert. Über die Hälfte ist unter 35 Jahre alt, viele sind hochqualifiziert. Aufgrund der anhaltenden Auswanderungswelle ist Lettland von einem Fachkräftemangel bedroht.

„Dies führt zu einer neuen Ungleichheit zwischen den EU-Staaten“, sagt Teney. Diese müsse auf europäischer Ebene als Problem anerkannt und geregelt werden, so die Forderung der Wissenschaftlerin. Doch eine Sensibilität für das Thema sei außer bei den Grünen und dem europäischen Gewerkschaftsbund nirgends zu erkennen, beklagt sich Schellinger.

Eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wie sie innerhalb der EU geregelt ist, sei kein probates Mittel, um dem Problem zu begegnen - das sei klar. Vielmehr müsse die „Sozialdimension auf europäischer Ebene gestärkt werden“, findet Teney. Damit sich Menschen nicht mehr zur Auswanderung gezwungen sehen, müsse eine Angleichung der Lebensverhältnisse stattfinden.

Besonders die Länderstudien zu Großbritannien und Polen weisen noch auf ein weiteres Probleme hin. Viele Fachkräfte werden nicht entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt und entlohnt, sondern gehen einfachen Beschäftigungen nach. Auch für Deutschland sieht Teney ähnliche Probleme. So könne die starke Zuwanderung von ausländischen Fachkräften in einzelnen Sektoren zu Lohndumping führen. Insbesondere Gewerkschaften müssten diesbezüglich wachsam sein.

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