Umfrage zur Berufsausbildung: Lieber gleich Kohle verdienen
Viele junge Menschen wollen keine Ausbildung machen, sondern direkt arbeiten. Die Studie zeigt: Ihnen fehlt oft persönliche Beratung.

Die Autor:innen der Studie sehen diese Zahlen mit Sorge: „Im schlechtesten Fall verbleiben die jungen Menschen nicht nur kurz- sondern mittel- und langfristig in solchen Helferjobs und stehen den Unternehmen somit nicht als qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung“, heißt es im Bericht. Mit Folgen vor allem für sie selbst: Menschen ohne Berufsabschluss haben ein hohes Risiko, arbeitslos zu werden.
Dieses Risiko gehen bereits heute viele 20- bis 34-Jährige ein. Nach den Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) ist unter ihnen aktuell fast jede:r Fünfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung, das sind hochgerechnet knapp 2,9 Millionen Menschen. Vor zehn Jahren waren es noch „nur“ rund 1,9 Millionen. BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser bezeichnete diese Entwicklung als „No-Go für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland“.
Wie zu erwarten, ist das Bildungssystem für die Chancen auf eine abgeschlossene Berufsausbildung maßgeblich. Je höher der Schulabschluss, desto geringer ist das Risiko, später zu den sogenannten nicht formal Qualifizierten (nfQ) zu gehören. Der überwiegende Teil dieser Gruppe hat gar keinen Schulabschluss. Und die Quote der Schulabbrecher:innen ist in fast allen Bundesländern zuletzt gestiegen und lag 2023 bundesweit bei 7,3 Prozent.
Vage Versprechen von Union und SPD
In ihrem Sondierungspapier hatten Union und SPD noch versprochen, die Zahl der Schulabgänge ohne Abschluss „deutlich zu senken“. Im Koalitionsvertrag findet sich der Satz nicht mehr, die Bundesregierung verspricht aber immerhin, die Jugendberufsagenturen, an die sich junge Menschen mit Fragen wenden können, sowie die Berufsorientierung an Schulen zu stärken. Konkreter sind CDU, CSU und SPD bisher nicht geworden.
Wie groß der Nachholbedarf ist, zeigt die Bertelsmann-Umfrage: Zwei von drei Schüler:innen fühlen sich nicht gut über eine spätere Berufswahl informiert. Die fehlende Orientierung ist für die Betroffenen die größte Hürde für die Aufnahme einer Berufsausbildung (38 Prozent) und liegt damit noch vor Punkten wie die geringen Vergütung für Azubis (34 Prozent) oder unattraktive Ausbildungsplätze in der Region (32 Prozent).
Ein Beratergremium der Länder – die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) – bezeichnete die bisherige Berufsorientierung kürzlich als „unzulänglich“ und schlug etwa vor, diese in die Lehrkräftebildung zu integrieren.
Auch Helen Renk, Co-Autorin der Bertelsmann-Studie, sieht Handlungsbedarf: „Junge Menschen wünschen sich mehr Unterstützung durch persönliche Beratung innerhalb und außerhalb der Schule“, sagte Renk der taz. Vor allem eine Stärkung der Jugendberufsagenturen im Hinblick auf ein flächendeckendes und qualitativ hochwertiges Beratungsangebot fände sie hilfreich. Es brauche einen Ort, wo jungen Menschen geholfen werde, unter rund 23.000 Studiengängen und knapp 330 Ausbildungsberufen den passenden zu finden.
Die Schule ist dieser Ort offensichtlich nicht.
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